Marxismus in der Krise

27.09.2012, Lesezeit 6 Min.
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„Die Euro-Zone bleibt der springende Punkt, das Epizentrum der Krise“, sagte OECD-Chefökonom Padoan anlässlich der Veröffentlichung des OECD-Zwischenberichts zur Prognose der Wirtschaftsentwicklung der G7-Staaten[1]. „Die globale Wirtschaft verliert an Fahrt, da wichtige Länder in Europa in eine Rezession rutschen, die jetzt weltweite Auswirkungen hat“, lautete der Satz, den wohl die gesamte bürgerliche Presse Deutschlands zitternd zitierte, denn die OECD sieht auch die bundesdeutsche Wirtschaft in die Rezession gehen. Zwar konnte die deutsche Industrie ihre Exportverluste durch Geschäfte außerhalb der Eurozone ausgleichen, doch zeigen die Nachrichten aus China, dass dies keinerlei langfristige Lösung für die Kapitalverwertung der deutschen Bourgeoisie ist. Trotz dieses Ausweichens auf andere Märkte schaut die Welt auf Europa, als dem für die weitere Entwicklung der Krise bedeutendstem Schauplatz.

Die Analyse der Situation ist eine der Säulen des revolutionären Marxismus, der wir auch in dieser Ausgabe Artikel widmen. Leider beschränkt sich die revolutionäre Linke in ihren Analysen meist auf eine beschreibende Rolle und bietet, wenn überhaupt, dann nur „jetzt wohl mögliche“ Wege an, tut so, als wäre sie selbst und die ArbeiterInnenklasse nicht ein zentraler Faktor im Verlauf der Krise. Die strategische Frage, die Kernfrage des Kommunismus (als wissenschaftlichem Sozialismus), wird durch eine Fülle von Taktiken ersetzt, die keine organische Verbindung zwischen Minimal- und Maximalprogramm herstellen.

Nachdem im vergangenen Jahr die Empörten auf der Puerta del Sol in Madrid und weltweit Teile der revolutionären MarxistInnen in die Gefilde postmoderner Ideologien führte (was nicht zum ersten Mal geschah), hat der Kampf der asturischen BergarbeiterInnen die Kraft der lohnabhängigen Klasse als Bezugspunkt aller Bewegung gegen die Krise bewiesen.

Natürlich lachen viele Linke, gerade hierzulande, immer noch abschätzig oder wehklagen angesichts einer ArbeiterInnenklasse, die weit entfernt von der Erfüllung ihrer historischen Aufgabe scheint. Abgesehen davon, dass die VertreterInnen des Opportunismus die Augen vor der Sprunghaftigkeit der politischen Entwicklung verschließen, besteht natürlich sehr wohl eine Krise der proletarischen Subjektivität, des Bewusstseins unserer Klasse über ihre Interessen, ihre Macht und ihre daraus hervorgehenden Aufgaben. Es ist somit die Aufgabe aller RevolutionärInnen, ein Verständnis über die Entwicklungen der Klassenverhältnisse zu erarbeiten und dies mit dem Ziel der Machteroberung der ArbeiterInnenklasse der Errichtung eines ArbeiterInnen-Halbstaats, der Diktatur des Proletariats als Voraussetzung für die Schaffung einer freien klassenlosen Gesellschaft zu verbinden. In jedem Kampf müssen RevolutionärInnen darauf hinwirken, dass die Kämpfenden selbst demokratisch über den Kampf entscheiden. Ziel ist die Schaffung von Organen der Selbstorganisation und Selbstverwaltung, mit Wählbarkeit und auch jederzeitiger Abwählbarkeit der VertreterInnen, als erste Keimformen von Räten, die den Kampf für ArbeiterInnenmacht auf nationaler Ebene und darüber hinaus vorantreiben. Dies ist knapp zusammengefasst, was wir sowjetische Strategie nennen. Die Diskussion der Frage der Strategie stellt für RIO und für unsere gesamte internationale Strömung, die Trotzkistische Fraktion – Vierte Internationale (FT-CI), die wichtigste Diskussion für eine Neugruppierung der revolutionären Linken dar.

Denn viele Kräfte des revolutionären Marxismus haben sich in Taktiererei verloren, scheuen sich, offen die Notwendigkeit des massenhaften und gewaltsamen Sturzes der bestehenden Ordnung zu erklären, als notwendige Antwort der LohnsklavInnen auf die Krise, und kapitulieren vor der Versuchung, linksreformistische Zwischenlösungen zu propagieren. Gerade am Beispiel Griechenlands wird dies deutlich, wo selbsternannte VorkämpferInnen der sozialistischen Revolution in der Situation extrem zugespitzter Klassenverhältnisse – Lichtjahre entfernt von der revolutionären Kühnheit einer Rosa Luxemburg –, den ArbeiterInnen und Jugendlichen verkünden, SYRIZA sei die richtige Wahl und eine ArbeiterInnenregierung ließe sich vom Parlament aus bilden. Eine Mode, der selbst linkere Teile des trotzkistischen Spektrums verfallen, statt zu versuchen, mit den fortschrittlichsten Sektoren der Kämpfe Schritte zur Vorbereitung der Machteroberung zu machen. Denn ein Bruch mit SYRIZA und bürgerlichen „Krisenlösungen“ ist nötig, die ArbeiterInnen brauchen ein eigenes unabhängiges Programm zur Ergreifung von Maßnahmen gegen die Folgen der Krise der Banken und Konzerne.

Statt mit ihrem programmatischen Inhalt immer da zu sein, wo die Massen gerade bzw. noch sind, ist es die Methode der FT, darauf zu achten – ohne Verwässerung des revolutionären Programms – mit den fortschrittlichsten, kämpferischsten Teilen der ArbeiterInnenklasse und der Jugend zu fusionieren. Es ist nämlich keinesfalls die Methode des Übergangsprogramms (welches wir kürzlich als Broschüre neu herausgegeben haben), sich dem Massenbewusstsein anzupassen, sondern dort anzusetzen, mit einer Taktik, die Teil einer revolutionären Strategie sein muss. Das ist leichter gesagt als getan, gerade weil im real existierenden Trotzkismus seit mehr als einem halben Jahrhundert eine Tradition der zentristischen Anpassung besteht, die auch äußerst sektiererische Politik mit einschließt.

Nicht unabhängig davon erkennt ein großer Teil der revolutionären Linken die Notwendigkeit einer Umgruppierung, des Zusammenschlusses zu schlagkräftigeren Formationen an. Doch auch hier zeigt sich die mangelnde Überzeugung vom revolutionären Programm und die Bereitschaft, Teile dessen zu verstecken oder gar aufzugeben. Die notwendige Umgruppierung ist nicht eine organisatorische, sondern eine politische: Die Antwort auf die Zersplitterung und Schwäche der radikalen Linken ist die Wiedererlangung der politischen und programmatischen Basis des revolutionären Marxismus; notwendig für den Sieg über das System der Banken und Konzerne ist der politische Wiederaufbau der Vierten Internationale. Diese Diskussion wollen wir auch mit der vierten Ausgabe vorantreiben.

Fußnoten

[1]. Handelsblatt: „OECD erwartet Rezession in Deutschland“. 6. September 2012. Padoans Formulierung erinnert damit an den Artikel „An den Grenzen der bürgerlichen Restauration“ in Klasse gegen Klasse Nr. 1.

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