Lizenz zum Töten – Polizei ermordete Oury Jalloh

18.11.2017, Lesezeit 4 Min.
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2005 verbrannte der junge Geflüchtete Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Ein neues Gutachten beweist, dass er angezündet wurde – die Mörder*innen waren Polizist*innen. Trotz der Beweise hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt.

Am 7. Januar 2005 verbrannte Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Seit fast 13 Jahren kämpfen seine Familie, Freund*innen und Unterstützer*innen um Gerechtigkeit. Hartnäckig gingen sie immer wieder durch die juristischen Instanzen, ließen Gutachten erstellen und riefen zu Demonstrationen auf. Doch die Mörder*innen des damals 36-jährigen Geflüchteten sind immer noch auf freiem Fuß – gedeckt durch die Justizbehörden Sachsen-Anhalts.

Neues Gutachten

Um die Todesursache zu klären, leitete die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau 2014 ein neues Ermittlungsverfahren ein. Ein Gutachten von Sachverständigen aus den Bereichen Brandschutz, Medizin und Chemie, das von einer Fremdeinwirkung bei der Brandentwicklung ausging, hatte die Staatsanwaltschaft nicht veröffentlicht, obwohl es ihr seit Oktober 2016 vorliegt. Die Ergebnisse waren erst durch die ARD-Sendung Monitor bekannt geworden. In einer Pressemitteilung schrieb Monitor am Donnerstag:

Die Experten hatten in ihren Stellungnahmen ausgeführt, dass sich der Zustand der Zelle und des Leichnams Jallohs nach dem Brand nicht ohne Einsatz geringer Mengen von Brandbeschleuniger wie etwa Leichtbenzin erklären lasse. Auch sonst deute vieles darauf hin, dass der Brand von dritter Hand gelegt worden sei. Zudem sei die Theorie der Selbstanzündung so gut wie auszuschließen: Oury Jalloh sei vermutlich bei Brandbeginn komplett handlungsunfähig oder sogar bereits tot gewesen, so dass die Annahme, er habe das Feuer selbst gelegt, nicht stichhaltig sein könne.

Trotz des Gutachtens stellte die Staatsanwaltschaft Halle, die den Fall übernommen hat, die Ermittlungen im Oktober 2017 ein. Eine Anfrage der Linkspartei auf Akteneinsicht im Magdeburger Landtag wurde von den Regierungsparteien CDU, SPD und Grünen abgelehnt.

Die offizielle Version lautet nach wie vor, Jalloh selbst habe mit einem Feuerzeug die Matratze angezündet, auf der er gefesselt war, obwohl die Matratze einen feuerfesten Bezug hatte. Erst später tauchte ein Feuerzeug auf, das bei der Besichtigung des Tatortes nicht gefunden wurde.

Ein Polizist hatte zwei mal den Feueralarm weggedrückt, als Jalloh starb. Er und sein Dienstgruppenleiter wurden 2007 vor dem Landgericht Dessau angeklagt wegen des Vorwurfs der Körperverletzung mit Todesfolge beziehungsweise fahrlässiger Tötung. Obwohl selbst der vorsitzende Richter die Falschaussagen der Polizisten bemängelt hatte, wurden sie freigesprochen. Staatsanwaltschaft und Nebenklage gingen in Berufung.

Nach der Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof, wurde der Dienstgruppenleiter im Revisionsverfahren vor dem Landgericht Magdeburg 2012 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen je 90 Euro (insgesamt 10.800 Euro) verurteilt. Die Urteilsbegründung: Unterlassene Hilfeleistung durch das „Ignorieren“ des Feueralarms. Die Gewerkschaft der Polizei hatte die Verhandlungs- und Anwaltskosten für den verurteilten Polizisten übernommen.

Staatlicher Rassismus

Mittlerweile sind fast 13 Jahre vergangen, in denen sich die Angehörigen Lügen anhören, die Verschleppungstaktik der Behörden erdulden und sich sogar selbst kriminalisieren lassen mussten. Die Polizei hatte 2012 bei einer Demonstration die Parole „Oury Jaloh, das war Mord!“ kurzerhand für strafbar erklärt. Sie beschlagnahmte Transparente mit dieser Aufschrift und prügelte dabei zwei Demoteilnehmer ins Krankenhaus.

Jallohs Fall zeigt die ganze Brutalität des staatlichen Rassismus. Kontrollen, Stigmatisierung und Polizeigewalt gegen nicht-weiße Personen sind in Deutschland an der Tagesordnung. Wie auch beim Terror des NSU verschleiern Polizei, Gerichte, Staatsanwaltschaften und politische Entscheidungsträger*innen die Tat mehr, als sie aufzuklären. Und wie auch beim NSU, der jahrelang vom Verfassungsschutz aufgebaut wurde, stecken staatliche Repressionsorgane mit faschistischen Mörder*innen unter einer Decke. Die neuen Gutachten wurden erst wegen der jahrelangen Hartnäckigkeit der Familie und Unterstützer*innen Jallohs angefertigt. Weil die Täter*innen immer noch auf freiem Fuß sind, kämpfen sie gegen deren Lizenz zum Töten.

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