Kreißsaalschließung Neuperlach: So bringt der Hebammen-Protest die SPD ins Schwitzen

24.11.2022, Lesezeit 5 Min.
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Dieter Reiter bei einer Wahlkampfveranstaltung 2014. Bild: Wikimedia Commons

Die Münchner SPD spricht sich für den Erhalt der Geburtenstation im Krankenhaus Neuperlach aus. Doch die Stadtratsfraktion hat sich noch nicht öffentlich positioniert. Es braucht jetzt weiter Druck.

Innerhalb weniger Tage sammelten die Hebammen der Geburtenstation Neuperlach tausende Unterschriften, damit ihre Einrichtung nicht schließen muss – wie es ein Beschluss des SPD-geführten Stadtrates von 2015 vorsieht. Die Öffentlichkeitsarbeit der Kolleginnen veranlasste die SPD vergangene Woche zu einer Reaktion: Der Landtagsabgeordnete Markus Rinderspacher aus dem Stimmkreis München Ramersdorf sprach sich für den Erhalt des Kreißsaal aus. Die SPD Trudering-Riem veröffentlichte vergangene Woche eine Erklärung von ihm und seiner Parteikollegin Helena Schwinghammer, Fraktionsvorsitzende des örtlichen Bezirksausschusses. Darin heißt es:

„Die beiden sozialdemokratischen Politiker stellen damit einen Beschluss des Münchner Stadtrats aus dem Jahr 2015 in Frage. Demnach soll im Jahr 2024 die Geburtshilfe Neuperlach im Klinikum am Standort Harlaching integriert werden. Allerdings sieht der Beschluss eine Evaluierung für das Jahr 2023 vor und steht damit unter einem Vorbehalt.“

SPD-Stadtratsfraktion will sich noch nicht festlegen

Mittlerweile hat auch ein Parteitag der Münchner SPD sich für den Erhalt der Station ausgesprochen. Es ist zu begrüßen, dass sich Teile der SPD so schnell in dieser Frage positionieren. Doch ausgerechnet die Stadtratsfraktion, von der am Ende Erhalt oder Schließung abhängen, hielt sich bisher bedeckt. In einer Anfrage der Münchner Abendzeitung sagte Anne Hübner, SPD-Fraktionsvorsitzende, die Versorgungssituation werde gerade geprüft. Festlegen wolle sie sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

Dies verwundert nicht: Es war die SPD im Münchner Stadtrat, die 2015 mit ihrem Stadtratsbeschluss erst die Schließung der Geburtsstation ins Spiel gebracht hatte. Der Beschluss vom Parteitag übt nun einen gewissen Druck auf die Fraktion aus, doch verbindlich ist dies nicht. Die Bedarfsprüfung ist für März 2023 geplant.

Die geplante Schließung von Neuperlach folgt durchaus der Linie der Bundespartei: So ist SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein Befürworter von Zentralisierungen. Seit 2015 wurden 87 Kreißsäle bundesweit geschlossen. Zuletzt wollte er die Finanzierung von Hebammen aus dem Pflegebudget streichen. Nach starkem Protest, unter anderem einer Unterschriftenliste mit über 1,5 Million Unterzeichnenden ruderte er vorerst zurück, auch wenn dieses gesetzlich noch nicht erfolgt ist. Doch zeigt das Beispiel, dass auf das Gesundheitsministerium kein Verlass ist, wenn es um die Geburt und die Belange von Hebammen geht.

Die Hebammen in Neuperlach haben mit ihrer Petition für den Erhalt des Kreißsaals mittlerweile über 16.000 Menschen erreicht. Ohne diese eigene Initiative hätte sich die SPD vermutlich öffentlich mit dem Thema gar nicht auseinandersetzen müssen. Entsprechend darf auch nicht locker gelassen werden, wenn es darum geht, die Schließung des Kreißsaals in München-Neuperlach zu verhindern.

Die Situation an den Münchner Krankenhäusern ist durch das profitorientierte Gesundheitssystem nach fast drei Jahren Pandemie in höchstem Maße angespannt. Ingrid Greif, Gesamtbetriebsrätin der München Klinken (MÜK) beschrieb die Lage mit den Worten: „Die Pflege kann nicht mehr“. Genau wie die Bundesregierung hat auch die Münchner SPD die Profitlogik im Gesundheitswesen in den letzten Jahrzehnten nicht angetastet. Die Folge: Personal- und Fachkräftemängel, Outsourcing und schlechte Ausbildungsbedingungen.

Selbstorganisiert weiter Druck aufbauen

Es braucht also weiter Druck, um den Kreißsaal zu erhalten, doch wie kann er hochgehalten werden? Zum Beispiel durch eine gewerkschaftliche Beteiligung. Letzte Woche stimmte die Mitgliederversammlung der MÜK erfreulicherweise ebenfalls für eine gewerkschaftliche Unterstützung der Petition. Durch eine gewerkschaftliche Beteiligung wächst die Aufmerksamkeit für den Kampf und belässt ihn nicht nur auf einer parlamentarischen Ebene. Im gewerkschaftlichen Rahmen lässt sich der Kampf für den Erhalt des Kreißsaales mit anderen Kämpfen im Gesundheitssystem verbinden und seine Bedeutung für alle Beschäftigten hervorheben.

Derweil hat die Stadtratsfraktion von DIE LINKE./Die PARTEI einen Antrag eingereicht zum Erhalt des Kreißsaals eingebracht, der den Stadtrat zudem aufruft, die Finanzierung der Geburtshilfeabteilungen der MÜK zu prüfen. Es ist notwendig, dass die Regierungskoalition von SPD und Grünen dem Erhalt zustimmt und eine breite Debatte unter den Beschäftigten der Krankenhäuser, Gewerkschaften, Verbänden und politischen Parteien stattfindet, um die Gesundheitsversorgung in der Stadt auf solide Füße zu stellen.

Es sind große Erfolge des selbstorganisierten Kampfes der Hebammen, dass bereits zwei Parteien auf den öffentlichen Druck reagiert haben, sich auf die Seite der Forderungen der Kolleginnen gestellt haben und das Thema nun dem Stadtrat vorliegt. Es gilt jedoch weiter in der Öffentlichkeit Druck zu erzeugen und  bundesweit öffentlich zu machen,, dass die Schließung von Kreißsälen eindeutig ein Thema ist, das das ganze Land betrifft.

Zudem finden im Frühjahr die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst statt, die inzwischen längst nicht mehr nur durch höhere Lohnforderungen geprägt sind, sondern ein Ort, um bessere Arbeits- und Versorgungsbedingungen im Gesundheitssystem zu thematisieren. Durch die Möglichkeit zu streiken, kann der Druck für solche Forderungen noch deutlich verstärkt werden.

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