Können sich Freelancer gewerkschaftlich organisieren?

03.08.2017, Lesezeit 4 Min.
Übersetzung:
1

Freelancer sind selbstständige Arbeiter*innen. Doch können sie sich auch gewerkschaftlich organisieren?

In den großen Medien der USA werden die Menschen der „Millenial“-Generation mit einigen Gemeinsamkeiten beschrieben: Sie sind zwischen 1980 und 1995 geboren, also zum Zeitpunkt des Aufstiegs des digitalen Zeitalters. Sie nutzen die sozialen Netzwerke, sympathisieren mit sozialen Bewegungen und sind politisch aktiv, sie haben keine sichere Anstellung, sind zwar gut ausgebildet, doch finden nur schwer Arbeit.

In zahlreichen Ländern war diese Generation Teil sozialer Bewegungen wie der 15-M-Bewegung im Spanischen Staat, #OccupyWallStreet in den USA oder demokratischen Bewegungen in Mexiko. Außerdem waren sie Teil der politischen Kampagnen des Neoreformismus wie Bernie Sanders in den USA und Podemos im Spanischen Staat. Neue Studien ergeben, dass sie „neuen Denkformen“ zugeneigt sind und den Sozialismus dem Kapitalismus besser betrachten (43 Prozent gegenüber 32 Prozent).
Ein bedeutender Teil dieser Generation arbeitet als sogenannter „Freelancer“. Ohne Sicherheit und Festanstellung arbeiten sie als Grafikdesigner*innen, Verkäufer*innen, Programmierer*innen, Journalist*innen, Anwälte, angestellte Lehrer*innen, Befristete. Sie sind billige Arbeitskraft. Vom Postmodernismus beeinflusste Autor*innen wie Toni Negri in seinem Werk „Imperium“ sind sie das Kognitariat.

Zurück zum Proletariat

In den Vereinigten Staaten finden die Freelancer der „Millenials“-Generation, also der Generation des neuen, 21. Jahrhunderts, eine Organisationsform des 19. Jahrhunderts gut: die Gewerkschaft. Dies erscheint für diejenigen widersprüchlich, die in diesen Sektoren eine neue „Klasse“ ausmachten, das „Kognitariat“ oder das „Prekariat“ (Guy Standing).

Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 entstand in den USA eine neue politische Generation, die sich gegen die negativen Effekte stellte, welche die Krise auf die Arbeiter*innenklasse hatte. Schon 2012 entschieden sich Fotograf*innen, Anwälte, Designer*innen, Programmierer*innen, Journalist*innen und Spezialist*innen dazu, eine neue Gewerkschaft zu gründen, die sie „Freelance Union“ nannten. So wollten sie für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.

Mit Sitz in Brooklyn hat diese Gewerkschaft heute mehr als 350.000 Mitglieder. Das ist nur geringfügig weniger als die Gesamtzahl aller Gewerkschaften der Automobilbranche in den USA. Diese ungewöhnliche Gewerkschaft setzte durch, dass ihre Mitglieder Arbeitsverträge erhielten, nach Stunden bezahlt werden, eine Krankenversicherung erhalten und sogar Rentenansprüche bekommen.

Doch jedes reale Phänomen hat auch seine Widersprüche. In einem Artikel von Jacobin wird die Funktionsweise dieser Gewerkschaft kritisiert: „Sie funktioniert weniger wie eine traditionelle Gewerkschaft sondern eher wie eine Non-Profit NGO, die eine Dienstleistung anbietet. Sie hat kein von den Mitgliedern gewähltes Exekutivkomitee, sondern es befinden sich beeindruckende Expert*innen wie der Chef eines internationalen Technologie-Start-Ups oder ein Angestellter von Goldman Sachs im Vorstand.“

„Keine dieser Organisationen kann in einem klassischen Sinne als Gewerkschaft bezeichnet werden und hat keine wirkliche Macht, um Löhne festzulegen. Um dahin zu kommen müssten sie sich noch weiter zentralisieren“, hebt ein anderer Artikel von Jacobin hervor.

Auch wenn die „Freelance Union“ Teil der NGOisierung der US-amerikanischen Politik ist, handelt es sich trotzdem um ein interessantes Phänomen. Die Prekarisierung zwingt die Menschen dazu, für grundlegende Forderungen zu kämpfen: Sozialversicherung, Grundrechte und einen gerechten Lohn.

Nach Karl Marx ist eine Gewerkschaft eine „Sicherheitsgesellschaft von den Arbeitern. (…) Das Ziel der Gewerkschaften ist es zu verhindern, dass die Löhne unter die traditionell in verschiedenen Industriezweigen gezahlte Summe fällt und das der Preis der Arbeitskraft unter ihren Wert fällt.“

Die „Freelancer“ sind neue Kinder der Arbeiter*innenklasse mit niedrigen Löhnen, sie sind die Klassengeschwister der Industriearbeiter*innenklasse. Wir müssen darüber nachdenken, wie sie zu organisieren sind.

Mehr zum Thema