Kitas werden bestreikt

09.11.2014, Lesezeit 6 Min.
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// Was bedeuten die kommenden Tarifverhandlungen im Sozial- und Erziehungsdienst? //

Hetze gegen Streiks läuft meist nach einem einfachen Muster ab: Bürgerliche Medien unterstellen den KollegInnen, sie verdienten doch ganz gut und überhaupt ginge es AltenpflegerInnen oder ErzieherInnen viel schlechter. Das Maulheldentum der Kommentarspalten wird sich aber wohl kaum noch daran erinnern, wenn Anfang des nächsten Jahres gerade die ErzieherInnen ebenfalls für ihre Interessen eintreten.

Die KollegInnen im Sozial- und Erziehungsdienst können sich nämlich in der Tat kaum für paradiesische Arbeitsbedingungen bedanken. Brutto verdienen sie etwa 2.000 Euro im Monat im Durchschnitt, fast ein Drittel verdient weniger, dabei arbeiten viele in Teilzeit und mit befristeten Verträgen. Laut einer Umfrage des DGB ist die Arbeit so belastend, dass nur 13% der KollegInnen nach Dienstende keine gesundheitlichen Beschwerden haben.1 Jetzt schon kommt in deutschen Kindergärten etwa einE ErzieherIn auf knapp sechs Kinder. In allen Altersgruppen betreuen die KollegInnen mehr Kinder als empfohlen.2 Dabei fehlt aber immer mehr Berufstätigen die Möglichkeit, ihre Kinder in die professionelle Betreuung einer KiTa zu geben.

97% Frauen

Letzteres ist aber durchaus nicht der einzige Grund, warum die kommenden Auseinandersetzungen mit den Kapitalistinnen eine gesellschaftliche Bedeutung haben. So sind – je nach Schätzung – etwa 97 % der KollegInnen Frauen. Die Arbeit der ErzieherInnen ist ein deutliches Beispiel nicht nur für das weibliche Gesicht der Prekarisierung, sondern auch dafür, in welchem Maße sexistische Unterdrückung dazu dient, Reproduktionsarbeit für das Kapital möglichst kostenneutral zu gestalten. Die Auseinandersetzungen haben also auch eine Bedeutung für die „Care-Debatte“, die in feministischen Kreisen diskutiert wird.

Für die KollegInnen gilt, arbeiten sie im öffentlichen Dienst, nicht nur der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TvöD), sondern ebenfalls die Entgeltordnung des Sozial- und Erziehungsdienstes (EGO SuE). Die EGO, die die Einstufung und damit die Entlohnung der verschiedenen Tätigkeiten und (Dienst-)Altersgruppen regelt, kann 2015 erstmals gekündigt werden. Dann kann sie neu verhandelt werden – es stehen also Tarifverhandlungen an.

Dabei beabsichtigt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zum Einen etwa eine höhere Eingruppierung und damit Bezahlung der ErzieherInnen einzufordern, zum Andern eine Berücksichtigung moderner Berufsbilder in den Sozial- und Erziehungsdiensten.

Unsere Ziele?

Um das zu bestimmen, haben sich die zuständigen BürokratInnen der GEW bereits während der Tarifrunde 2014 des Öffentlichen Dienstes in Klausur begeben und Fakten geschaffen. Erst jetzt wollen sie „die Diskussion in den Einrichtungen anstoßen“ über die Fragen „Was sind unsere Ziele? Was müssen wir tun, um diese zu erreichen?“3 Es ist richtig und wichtig, dass der Kampf so breit wie möglich von den KollegInnen diskutiert wird. Notwendig wäre es aber, dass von Anfang an die KollegInnen selbst demokratisch bestimmen, welche Forderungen wie an die kommunalen Bosse gestellt werden.

Freilich – das würde eine eigenständige, kämpferische Aktivität der Basis bedingen. Am Ende ist aber genau das nicht im Interesse des GEW-Apparates. Dessen Perspektive ist eine ganz andere: Statt massive Mobilisierungen und Kampagnen – auch in Richtung beispielsweise von Eltern oder Auszubildenden – fordert die GEW „seit langem, den Erzieherberuf als qualifizierten pädagogischen Beruf anzuerkennen, ihn z. B. durch eine Hochschulausbildung aufzuwerten und entsprechend zu bezahlen.“4 Man fordert also verstärkte soziale Selektion beim Zugang zum Beruf – und impliziert im gleichen Atemzug die heute arbeitenden KollegInnen wären nicht hoch qualifiziert und würden keine gute Arbeit machen. Notwendig wäre im Gegenteil zu kämpfen und all denjenigen, die den Beruf der Erzieherin/des Erziehers ergreifen wollen, diese Möglichkeit zu geben. Denn heute ist der Zugang schon stark limitiert: In der rein schulischen Ausbildung bekommen die Auszubildenden kein Gehalt. Sie müssen sich mit Bafög, Zahlungen der Eltern oder Nebenjobs über dem Wasser halten.

Auch im Sinne eines Bündnisses, um die kommende Streikfront der KollegInnen zu stärken, könnte gemeinsam mit ErzieherInnen in Ausbildung deswegen die Perspektive einer bezahlten Ausbildung eingefordert werden – gleichzeitig mit der massiven Schaffung von Arbeitsplätzen, die zum Einen eine Reduktion der Belastung für die KollegInnen bedeuten, zum Andern einen gemeinsamen Kampf mit Eltern für eine Ausweitung von kostenlosen KiTa-Plätzen ermöglichen würde.

Noch zu wenig

Bisher lässt sich feststellen, dass die Bürokratie der GEW noch zu wenig bewegt. Der Kampf der SozialarbeiterInnen und ErzieherInnen besitzt eine gewaltige Bedeutung. Ausreichende und gut bezahlte ErzieherInnen zu haben, liegt im Interesse aller, die heute teilweise verzweifelt nach Kindergartenplätzen suchen. Zum Andern ist ein Kampf gegen die unterirdischen Arbeitsbedingungen in der hauptsächlich von Frauen getragenen Reproduktionsarbeit letztlich nicht nur ein ökonomischer Kampf, sondern ein höchst politischer Kampf gegen sexistische Überausbeutung.

Kommt es zu Streiks, werden die KollegInnen seitens der bürgerlichen Presse und des Staates mit erpresserischer Propaganda konfrontiert werden, sie ließen die Kinder allein, und ähnliches. Deswegen ist es notwendig, eine breite Solidaritätsbewegung aufzubauen. Studierende, Eltern, Auszubildende, klassenkämpferische FeministInnen können gemeinsam mit den KollegInnen im nächsten Jahr den Kampf im Sozial- und Erziehungsdienst zum Erfolg machen.

Wir wollen revolutionäre Gruppen, feministische Gruppen und Gewerkschaftsjugendgruppen heute aufrufen, mit uns zu diskutieren, was getan werden kann und muss, um eine solche Bewegung auf die Beine zu stellen.

Fußnoten

1. GEW: Wie Erzieherinnen ihre Arbeitsbedingungen beurteilen. http://www.gew.de/Binaries/Binary40336/Brosch%C3%BCre_DGB-index_Arbeitspapier_Erzieherinnen-kurz%20%C3%BCbera..pdf.

2. Dr. Karsten Herrmann: Personalschlüssel / Fachkraft-Kind-Relation. http://nifbe.de/component/themensammlung/item/55-themensammlung/rahmenbedingungen/personal-tarife/9-personalschluessel

3. Bernhard Eibeck: Mehr Geld. E+W 03/2014

4. GEW. Ebd.

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