Judith Butler: Der 7. Oktober war ein „Akt des bewaffneten Widerstands“

07.03.2024, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag
Übersetzung:

Nach deren Auftritt bei einer Veranstaltung gegen die Instrumentalisierung des Antisemitismus und für Solidarität mit Palästina am vergangenen Sonntag wird Aktivist:in und Intellektuelle:r Judith Butler von Reaktionär:innen in Frankreich, Deutschland und den USA attackiert.

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Judith Butler 2015 in Buenos Aires. // Foto: Wirestock Creators (Shutterstock)

Seit vergangenen Sonntag ist die:der amerikanische Philosoph:in und Aktivist:in Judith Butler, Mitglied von Jewish Voices for Peace, das Ziel von Drohungen und Angriffen aufgrund deren Stellungnahmen zu Palästina bei einer Veranstaltung unter dem Titel „Gegen Antisemitismus und seine Instrumentalisierung, für den revolutionären Frieden in Palästina“. Die Veranstaltung wurde von dem französischen Medium Paroles d’Honneur gemeinsam mit anderen Organisationen wie der Französischen Jüdischen Union für den Frieden (UJFP), der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA), der antifaschistischen Gruppe Action antifasciste Paris-Banlieue oder Révolution Permanente, der französischen Schwesterorganisation und -zeitung von Klasse Gegen Klasse, organisiert.

Im Anschluss an die Online-Übertragung der Konferenz haben mehrere Medien und öffentliche Persönlichkeiten die:den amerikanische:n Philosoph:in angegriffen. They wurde insbesondere beschuldigt, den Angriff vom 7. Oktober gerechtfertigt zu haben. They hatte deutlich erklärt, dass der 7. Oktober im Zusammenhang mit dem von Israel gegen die Palästinenser:innen geführten Kolonialkrieg zu sehen ist. Er müsse daher als „Akt des bewaffneten Widerstands“ betrachtet werden, unabhängig von politischen Positionen zur Hamas und der Anwendung solcher Methoden.

„Wir können unterschiedliche Positionen über die Hamas als politische Organisation sowie über bewaffneten Widerstand haben. Aber ich denke, dass es ehrlicher und historisch korrekter ist, zu sagen, dass der Aufstand vom 7. Oktober ein Akt des bewaffneten Widerstands war“, sagte they und betonte, dass die Angriffe vom 7. Oktober „schrecklich“ gewesen seien. Eine Position, die von vielen Denker:innen und Gelehrten geteilt wird, die die Wichtigkeit betonen, die Gleichzesetzung der Taten der Hamas mit „Terrorismus“ abzulehnen, wie zum Beispiel Alain Gresh.

Diese Stellungnahme, in der daran erinnert wird, dass die Unterstützung des palästinensischen Widerstands nicht gleichbedeutend mit der Unterstützung der Hamas und ihrer Politik ist, hat bei vielen Unterstützer:innen des Staates Israel Empörung ausgelöst.

Insbesondere auf Seiten der Rechten und der extremen Rechten schlug das Statement Wellen, wie beim Bürgermeister von Cannes, David Lisnard, beim Politiker Julien Dray, bei der rechten Journalistin Eugénie Basté oder auch bei der extrem rechten Nachrichtenseite Fdesouche. Die Kontroverse wurde auch in Medien wie Le Figaro oder Europe 1 sowie von Figuren der extremen Rechten in den USA wie dem transfeindlichen und antifeministischen Aktivisten Ben Shapiro aufgegriffen. Und auch in Deutschland ist die Hetzkampagne gegen die Amerikanerin angekommen. So sieht man sie in der taz als „Heilige eines antisemitischen Mainstreams“, der Tagesspiegel belehrt, vor Butler „sollte man sich eher fürchten“. Auch vom nd bis zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung schließt man sich der Hexenjagd an.

Es ist nicht das erste Mal, dass Judith Butler zur Zielscheibe von Medienhetze und Drohungen wegen deren Positionen zu Palästina oder auch zur patriarchalen Unterdrückung wurde. Die Veranstaltung am Sonntag wurde bereits einmal von der Pariser Stadtverwaltung im Dezember verboten. Nach dem Ausbruch von Angriffen und Morddrohungen gegen die:den Philosoph:in in dieser Woche kündigte die Pariser Eliteuniversität École normale supérieure im letzten Moment an, zwei seit mehreren Wochen geplante Vorträge mit Judith Butler abzusagen, ohne die Gründe dafür zu nennen.

Die Angriffe auf Judith Butler reihen sich ein in die Kriminalisierung der Palästinasolidarität. Als Mitglied der antizionistischen jüdischen Organisation Jewish Voice for Peace, als LGBTQ-Aktivist:in und Vertreter:in der Gender Studies ist they eine weltweit bekannte und beliebte Zielscheibe für Reaktionär:innen aller Art. Die Offensive gegen die:den Philosoph:in geschieht im Vorfeld des 8. März und vor dem Hintergrund der jüngsten Drohungen von Aurore Bergé gegen feministische Organisationen, die den Staat Israel und seine Kolonialpolitik anprangern. Die französische Ministerin für Solidarität Bergé hatte zuletzt gedroht, feministischen Organisationen, die die israelische Politik kritisieren, Gelder zu streichen. Und auch in Deutschland reiht sich die Kampagne in eine Welle der Repression gegen palästinasolidarische Stimmen in den letzten Monaten ein. Damit ist der Angriff auf Butler offensichtlich Teil eines umfassenderen Bestrebens, Stimmen, die sich mit Palästina solidarisieren, zum Schweigen zu bringen.

In einem Kontext, in dem der von Israel am palästinensischen Volk begangene Völkermord mit einem immer abscheulicheren Ausbruch von Gewalt und Gräueltaten fortgesetzt wird, machen sich die Verbündeten des Kolonialstaats in Frankreich wie in Deutschland weiterhin zum Sprachrohr der zionistischen Propaganda, indem sie jegliche Unterstützung für Palästina kriminalisieren. Es ist von entscheidender Bedeutung, unsere Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu bekräftigen, die Komplizenschaft des französischen und deutschen Staates anzuprangern, aber auch all jene zu verteidigen, die den Mut haben, Stellung zu beziehen. Und das alles trotz des Drucks des französischen und deutschen Staates, die in den letzten Monaten gegen Gewerkschafter:innen, Aktivist:innen oder Abgeordnete vorgingen.

Auch wenn wir die Methoden und das Projekt der Hamas in keiner Weise teilen, ist es grundlegend, für das Recht zu kämpfen, den Kampf des palästinensischen Volkes zu unterstützen. Die Verteidigung einer elementaren Analyse der Situation in Palästina ist kein Verbrechen, die palästinensische Sache zu unterstützen auch nicht! Solidarität mit Judith Butler!

Dieser Artikel erschien zuerst am 6. März bei Révolution Permanente auf französisch. Im Zuge der Übersetzung wurden Ergänzungen vorgenommen.

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