Israels Impf-Apartheid

07.01.2021, Lesezeit 5 Min.
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Bild: Chatham House, CC-BY-2.0

Israels rechtsgerichtete Regierung wird für ihre effiziente Impfstoffeinführung gelobt. Aber was ist mit den fünf Millionen Palästinenser:innen unter der israelischen Besatzung?

Der Impfstart in den Vereinigten Staaten und anderen imperialistischen Ländern war ein Desaster. Inmitten all der schlechten Nachrichten hat sich ein Land positiv abgehoben: Israel. Unter der rechtsextremen und notorisch korrupten Regierung von Benjamin Netanjahu, hat Israel etwa ein Prozent seiner Bevölkerung pro Tag geimpft. Mit Stand vom 2. Januar hatten mehr als eine Million Menschen in Israel eine erste Dosis des Impfstoffs erhalten, das sind zwölf Prozent der neun Millionen Einwohner des Landes,. Im Gegensatz dazu wurden in den USA bis zum gleichen Tag nur etwas über vier Millionen Menschen geimpft – das sind gerade einmal etwas mehr als ein Prozent der Bevölkerung.

Diese Statistiken ignorieren jedoch eine unbequeme Tatsache: fünf Millionen Palästinenser:innen leben unter israelischer Besatzung in der Westbank und im Gazastreifen. Sie haben zwar ihre eigene Regierung, ihre Grenzen werden aber von Israel kontrolliert und Gaza damit ein Freiluft-Gefängnis. Die israelische Armee unterhält ein permanentes Besatzungsregime, das auch für das Eintreiben – und Einbehalten – von Steuern zuständig ist.

Fast 500.000 israelische Siedler:innen leben in den palästinensischen Gebieten, wobei Ost-Jerusalem nicht mitgerechnet ist. Diese Siedler:innen leben zwar in der Regel nur wenige Meter von Palästinenser:innen entfernt, genießen aber völlig andere Rechte – was das alte Regime in Südafrika einst Apartheid nannte. Das gilt auch für die Pandemie, wie der Guardian berichtet:

Israel transportiert Ladungen des Impfstoffs von Pfizer/BioNTech tief ins Westjordanland. Diese werden dort aber nur an jüdische Siedler verteilt und nicht an die rund 2,7 Millionen Palästinenser, die in der Umgebung leben und unter Umständen noch Wochen oder Monate warten müssen.

Mit anderen Worten: Israel arbeitet hart daran, seine Bürger:innen zu impfen, nicht aber die Millionen von unterdrückten Menschen, die unter dem Stiefel der Besatzung leben. Dies ist ein Beispiel von Impf-Nationalismus und den tödlichen Ungleichheiten zwischen imperialistischen und abhängigen Ländern – hier besonders eklatant, weil diese Ungleichheiten Seite an Seite existieren. Die Electronic Intifada berichtet beispielsweise, dass Israel seine Strafgefangenen impfen wird – aber nicht die sogenannten Sicherheitsgefangenen, die allesamt Palästinenser:innen sind.

Die rechtsgerichtete Jerusalem Post reagierte auf die Flut von Artikeln über die Ungleichheit von Impfungen, indem sie – vorhersehbarerweise – alle Kritiker:innen des Antisemitismus bezichtigte. Diese falsche Behauptung ist besonders zynisch für eine Zeitung, die mit prominenten Antisemit:innen wie Viktor Orbán aus Ungarn befreundet ist. Die Rechte versucht, Antisemitismus radikal neu zu definieren: Jede:r, der:die die israelische Regierung kritisiert, wird als antisemitisch abgestempelt, jedoch werden selbst die größten Judenhasser:innen verteidigt, wenn sie Netanjahu freundlich gesinnt sind.

Der verblüffende Artikel der Post vermeidet jedwede Erwähnung der mehr als 50 Jahre andauernden Besatzung, als ob Palästina ein separates und unabhängiges Land wäre, das an Israel angrenzt. Die Genfer Konvention verpflichtet Besatzungsmächte, für die „öffentliche Gesundheit und Hygiene im besetzten Gebiet“ Sorge zu tragen, insbesondere für die „Verabschiedung und Anwendung der prophylaktischen und präventiven Maßnahmen, die zur Bekämpfung der Ausbreitung ansteckender Krankheiten und Epidemien notwendig sind.“ Dennoch erwartet Israel von der Palästinensischen Autonomiebehörde, die völlig von Israel abhängig ist, dass sie Impfstoffe von internationalen Geber:innen wie der von der WHO geführten Partnerschaft Covax organisiert. Das Büro der WHO in Jerusalem sagt, dies könne bis Mitte 2021 dauern.

Okkupierte Völker für ihr eigenes Elend verantwortlich zu machen, ist nichts Neues. Die marokkanische Monarchie, die sich kürzlich mit Israel solidarisiert hat, stellt ähnliche Behauptungen über das Leiden der Menschen in der okkupierten Westsahara auf.

Als Arbeiter:innen in imperialistischen Ländern haben wir die humanistische Pflicht, für eine gerechte Verteilung von Impfstoffen in der ganzen Welt zu kämpfen. Alles andere würde bedeuten, dass die unterdrückten Menschen der Logik des Kapitalismus zum Opfer fallen – und das wiederum wird die internationale Solidarität im Keim ersticken, die wir zur Bekämpfung dieser und anderer Pandemien brauchen. Dazu gehört der Kampf für die Enteignung aller Gesundheits- und Pharmakonzerne und ihre Unterstellung und Kontrolle durch die Arbeiter:innenklasse. Es beinhaltet auch die Aufhebung jeglichen Patentschutzes von Impfstoffen – die ohnehin mit öffentlichen Geldern entwickelt wurden –, um deren Produktion anzukurbeln. Und schlussendlich bedeutet es, für das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser:innen, der Saharawis und anderer besetzter Völker zu kämpfen.

Die Impf-Apartheid, die wir gerade in Palästina beobachten, ermahnt uns dazu, für ein vereintes, demokratisches, sozialistisches Palästina mit gleichen Rechten für alle einschließlich der palästinensischen Flüchtlinge, denen die Rückkehr erlaubt werden muss, zu kämpfen. Wenn wir Israels angeblich „effiziente“ Einführung von Impfstoffen betrachten, basiert dies auf „effizienten“ Systemen zur Besatzung und Kolonialisierung. Und angesichts einer globalen Krise wie die Covid-19-Pandemie bietet auch der „effizienteste“ Ethnonationalismus keine Lösungen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 04. Januar auf Left Voice.

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