„Unsere Bewegung ist feministisch.“ – Interview mit einer Hebamme aus Vivantes

02.10.2021, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Tom Maelsa

Die Streiks in Berliner Kliniken gehen weiter, während die Klinikleitungen und die RRG-Regierung die Verhandlungen blockieren. Wir haben einer streikenden Hebamme einige Fragen gestellt. Wie wirken sich die schlechten Arbeitsbedingungen auf Geburten aus? Warum ist der Krankenhausstreik ein feministischer Kampf? Wie kann die Bewegung bundesweit ausgeweitet werden?

Wie heißt du und wo arbeitest du?

Ich bin Luisa Strunk und ich arbeite als Hebamme im Auguste-Viktoria-Klinikum. Das ist eines von neun Vivantes Krankenhäusern. Vivantes ist einer der größten kommunalen Arbeitgeber Berlins. Ich bin aktiv bei der Berliner Krankenhausbewegung und bei den jungen und werdenden Hebammen.

Ihr seid gerade im Streik. Was sind eure Forderungen und wie lange streikt ihr schon?

Wir streiken jetzt mittlerweile seit 22 Tagen, nachdem eine 100-tägige Frist verstrichen ist, in der wir den Streik angekündigt haben, Angebote gemacht haben, in Verhandlung gehen wollten und natürlich nichts passiert ist.

Unsere Forderungen als Berliner Krankenhausbewegung lassen sich ganz allgemein auf drei Forderungen herunterbrechen: Primär geht es um eine feste Personalbemessung individuell für jede Station und für jeden Bereich, die eine gute und sichere Patientenversorgung gewährleistet. Als Zweites geht es um eine Entlastung für alle Angestellten, die in unterbesetzten Schichten arbeiten und zwar in Form eines Freizeitausgleichs. Das soll so aussehen, dass wir Belastungspunkte sammeln, wenn wir in schlecht besetzten Schichten arbeiten. Ab einer gewissen Punktezahl gibt es eine Freischicht. Und Drittens sind ja nicht nur wir Pflegekräfte und Hebammen im Streik, sondern auch Angestellte der Tochterunternehmen, also Reinigungskräfte, Beschäftigte aus dem Labor, die Reha, die Hausmeister und so weiter. Und die fordern einen TVöD für alle – also den gleichen Tarifvertrag wie die, die direkt bei den Krankenhäusern angestellt sind. Denn die Angestellten dieser Tochterunternehmen werden viel schlechter bezahlt als ihre Kolleg:innen, die TVöD haben. Da geht es um bis zu 900 Euro Differenz im Monat. Und das alles bei einem kommunalen Träger, das geht gar nicht!

Wir Hebammen fordern ganz spezifisch für die Kreißsäle eine Eins-zu-Eins Betreuung. Das heißt, wir wollen, dass der Personalschlüssel so aufgestockt wird, dass wir dem Großteil der Frauen eine Eins-zu-Eins Betreuung unter der Geburt gewährleisten können, Wir wollen auch wieder mehr berufsspezifische Aufgaben übernehmen können und damit mehr Zeit haben für die Gebärenden und Schwangeren Personen. Denn momentan sind ungefähr 40 Prozent aller Tätigkeiten in unserem Dienst nicht fachspezifisch. Dafür wünschen wir uns einen vermehrten Einsatz von medizinischen Fachangestellten und von administrativen Kräften, die diese Tätigkeiten übernehmen. Wir brauchen auch mehr Reinigungskräfte, denn gerade in kleineren Häusern müssen wirklich wir Hebammen noch die Kreißsäle schrubben. So gehen wertvolle Personalressourcen verloren.

Inwiefern betreffen die Ziele, für die die Berliner Krankenhausbewegung kämpft auch die Bedürfnisse von Hebammenarbeit?

Bei allem geht es einfach einerseits immer um Patientensicherheit. Und andererseits darum, dass wir unseren Beruf so ausführen können, dass wir ihn auch 40 Jahre lang machen können. Derzeit ist es sowohl bei den Hebammen als auch bei den Pflegekräften so, dass immer mehr Menschen aus dem Beruf aussteigen. Hebammen arbeiten im Durchschnitt nur noch sieben Jahre im Kreißsaal. Die allermeisten arbeiten in Teilzeit, einfach weil es gar nicht möglich ist, dieses Stresslevel durchzuziehen. Viele, vor allem junge Kolleginnen, sehen eben auch nicht ein, dass sie weiter unter diesen Arbeitsbedingung arbeiten sollen.

Mir ist auch wichtig, dass wir natürlich eine ganz andere Art der Geburtshilfe gelernt haben in der Ausbildung. Wir sind Fachpersonal, wir wissen sehr gut, wie wir unseren Job machen sollen. Wenn uns aber die Strukturen dazu zwingen, ihn schlecht zu machen, dann nagt das sehr an der Seele, sage ich mal. Und wir gehen nicht selten nach Hause und fragen uns, was haben wir hier eigentlich gemacht. Das ist keine gute Geburtsbetreuung mehr, keine individuelle, keine den Familien zugewandte Geburtsbetreuung, sondern ein Abfertigen. Es werden dabei Familien, es werden Frauen massiv in ihrer Integrität gestört. Wir können die Bedürfnisse von den einzelnen Menschen nicht wirklich wahrnehmen, weil einfach die Strukturen dafür nicht geschaffen werden.

Und deshalb ist auch die Berliner Krankenhausbewegung eine super Möglichkeit, für unsere Forderung nach einer Eins-zu-Eins Betreuung zu streiken. Diese Forderung ist ja auch nicht aus der Luft gegriffen, wir fordern das nicht, weil es so schön kuschelig und nett ist, sondern laut den aktuellsten Leitlinien, die wissenschaftlich basiert sind, ist das die einzige Form, wie man sicher Geburtshilfe betreiben kann. Und da geht es wirklich um die Gesundheit, sowohl psychisch als auch physisch – und nicht darum, dass irgendwie jemand kuschelig gebären kann.

Die Krankenhausbewegung gibt uns da eine wahnsinnige Kraft, weil natürliche wir Hebammen eine verhältnismäßig kleine Berufsgruppe sind und wir jetzt die Chance sehen gemeinsam mit der Stärke der Pflegekräfte und der Töchter unsere Ziele durchzusetzen. Diese Chance wollen wir nutzen, letztlich auch im Interesse der besseren Versorgung der Berlinerinnen und Berliner.

Was erwartet ihr von den Verhandlungen mit den Arbeitgebern?

Von den Verhandlung erswarten wir erstmal, dass überhaupt ernsthafte Verhandlungen mit uns geführt werden, nachdem vor allem Vivantes – die Charité war da erstmal ein bisschen offener, aber auch da läuft es schleppend – erst überhaupt nicht mit uns verhandeln wollte. Erst meinten sie, sie dürfen es nicht, dann wollten sie nicht, dann “konnten” sie nicht. Jetzt haben sie sich mit uns an den Verhandlungstisch gesetzt und legen uns absolut dreiste Vorschläge vor, in denen die Personalbemessung teilweise schlechter ist als sowieso schon.

Damit sprechen sie uns ja auch die Kompetenz ab, über unsere Arbeit Bescheid zu wissen, zu wissen, was eine gute Patientenversorgung braucht. Wir wollen ernst genommen werden und als Fachpersonen anerkannt werden für das, was wir tun. Das bedeutet auch, wegzukommen von einer Profitorientierung und eben wirklich die Gesundheit der Patient:innen im Fokus zu haben. Das erwarten wir und wir erwarten dass ein guter Tarifvertrag Entlastung und ein TVÖD für die Töchter abgeschlossen wird und nicht irgendwas dahin geschmiert.

Was bekommt ihr für Rückmeldungen von Gebärenden und Schwangeren?

Einerseits gibt es ganz viel positives Feedback von Schwangeren, die sagen uns, wie wichtig sie das finden. Gerade von Menschen, die in letzter Zeit Eltern geworden sind und das am eigenen Leib spüren mussten, was eine Unterbesetzung im Krankenhaus bedeutet, hören wir das, die nicht so gebären konnten, wie sie sich das vorgestellt haben, die alleine waren unter der Geburt und die die Dringlichkeit dieses Problems erlebt haben. Und andererseits sehen wir natürlich auch Schwangere, die jetzt nicht zum Anmeldegespräch in den Kreißsaal kommen können, weil die Anmeldung bestreikt wird oder die in einer anderen Klinik ihr Kind gebären müssen. Und das ist Scheiße für sie, wir verstehen, dass das belastend ist. Es ist aber auch ohne Streik häufig so, dass wir Patientinnen verlegen müssen und wir versuchen es dann zu erklären und meistens haben eigentlich alle Verständnis und finden es auch gut. Denn am Ende streiken wir für alle, die nach ihnen kommen. Oder auch sie selber, wenn sie noch mal ein Kind bekommen.

Wie denkt ihr kann eine bundesweite Ausbreitung der Bewegung entstehen?

Von Hebammen kriegen wir wirklich deutschlandweit und sogar international ganz viel Zuspruch und Mut, das ist wirklich total toll. Viele sind motiviert, mit auf diesen Zug aufzuspringen und das auch als Anlass zu nehmen, etwas an ihren Arbeitsbedingungen zu ändern.

Also erstmal sagen wir ihnen, dass sie mit Verdi irgendwie Kontakt aufnehmen müssen.Wir haben jetzt erstmal ausgehend von Berlin die Möglichkeit, ein Exempel zu statuieren, in Verhandlung mit einem riesigen Arbeitgeber, um einfach zu zeigen, was man reißen kann, wenn man gewerkschaftlich organisiert ist und streikt. Und wie stark man ist, wenn alle Beschäftigten im Krankenhaus an einem Strang ziehen. Das ist total toll. Deshalb ist es wichtig, dass sich Hebammen und Pflegekräfte gewerkschaftlich organisieren, die Hebammen sind es noch recht wenig bundesweit. Verdi führt für uns die Verhandlungen und deshalb müssen wir auch dort organisiert sein, um etwas zu ändern.

Es geht darum, für die eigenen Interessen einzustehen, auch wirklich dafür zu kämpfen und sich nicht entmutigen zu lassen. Denn es gibt Widerstand. Uns wurde von vielen Seiten Druck gemacht, von den Klinikleitungen, von den Geschäftsführungen, es wurden Leute mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bedroht. Wir haben bisher jeden Downer überwunden, einfach weil wir viele sind und weil wir Unterstützung von Verdi haben. Nur wenn wir den Arbeitskampf führen, kommen wir raus aus dem Hamsterrad. Da sind leider viele Kolleginnen gefangen noch, was ich total nachvollziehen kann. Man ist so erschöpft von der Arbeit, dass man überhaupt keine Zeit und Muße hat, jetzt auch noch Kraft aufzubringen für Veränderungen. Aber da kommt man nicht drum rum. Für uns macht es keiner, wir müssen es selber in die Hand nehmen.

Ihr streikt ja für eine bessere Betreuung, inwieweit versteht ihr das auch als feministisch?

Die Bewegung ist natürlich feministisch, weil es erst mal eben gerade im Kreißsaal primär um Frauengesundheit geht. Das ist natürlich ein Thema, das wie in vielen anderen Bereichen auch gesellschaftlich erstmal hinten runterfällt. Es wird Frauen häufig einfach abgesprochen, was für eine elementare Lebenserfahrung so eine Geburt ist und wie prägend eine Geburt sein kann. Deshalb ist auch eine selbstbestimmte und individuelle Geburtsbegleitung so wichtig. Es ist eben nicht damit getan, dass da irgendwie das Kind entbunden wird, sondern dass Frauen selbstbestimmt mit die Entscheidungen treffen. Und dazu gehört auch, dass sie dabei von medizinischem Personal unterstützt werden in allen ihren Entscheidungen, und nicht aus Angst oder Zeitmangel die eigentlichen Bedürfnisse untergehen.

Außerdem ist der Hebammenberuf immer noch ein Frauenberuf. Ich finde das zwar schade, aber es ist nunmal so, dass fast nur Frauen Hebammen sind. Dazu kommt, dass es ein Care-Beruf ist, wie die Pflege natürlich auch. Und der wird als solcher immer noch viel zu schlecht bezahlt, bekommt viel zu wenig Anerkennung. Wir müssen einfach raus aus dieser Bubble, dass wir das ja irgendwie machen, weil wir uns so gerne kümmern und weil wir so gerne Chichi machen. Nein, das ist ein Knochenjob, den hier alle erledigen. Und der verdient einfach Anerkennung, sowohl finanziell als auch gesellschaftlich.

Wie kann man euch unterstützen?

Erstmal geht ganz viel über Social Media. Wir wünschen uns, dass einfach noch viel mehr Medien den Streik aufgreifen. Denn erstaunlicherweise haben dafür, dass wird schon über drei Wochen im Streik sind, die großen Medien relativ wenig berichtet. Da brauchen wir einfach mehr Aufmerksamkeit. Jede:r kann anfangen über Social Media uns jungen Hebammen und der Berliner Krankenhausbewegung zu folgen und unsere Posts teilen. Und wir suchen Kontakt zu Journalisten und Journalistinnen, wir geben Interviews, wir machen alles dafür, dass unser Streik ein bisschen publik wird. Und natürlich für alle, die in Berlin leben: Kommt zu den Kundgebungen, kommt zu den Demos!

 

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