Interview: Frauen in der Krise in Portugal

03.04.2013, Lesezeit 5 Min.
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Die Vorgaben der Troika treffen vor allem Frauen, die im Berufsleben stehen. Ein Gespräch mit Ana Paula Amaral, pensionierte Englischlehrerin und Aktivistin der Bewegung "Que Se Lixe a Troika" ("Zum Teufel mit der Troika") sowie der "Movimento Alternative Socialista" (Bewegung Sozialistische Alternative) in Lissabon.

Unter den Folgen der Wirtschaftskrise leiden die Frauen besonders – wie stellt sich die Lage in Portugal dar?

Arbeitende Frauen bekommen bei uns im Durchschnitt 18% weniger Lohn als Männer. Sie bekommen die weniger qualifizierten Jobs, oft in Verbindung mit traditionellen Rollenbildern für Frauen (wie Reinigung und Betreuung), und sind stärker von Arbeitslosigkeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen.

Dabei sind sie besser ausgebildet: 59% der Frauen in Portugal haben einen Hochschulabschluss, im Vergleich zu 41% der Männer. Doch das ist kein Vorteil am Arbeitsmarkt, im Gegenteil: in besonders qualifizierten Berufen verdienen sie sogar 28% weniger. Und zwei Drittel der Erwerbslosen mit Hochschulabschluss sind Frauen.

Diese Diskriminierung trifft alte Frauen besonders, in erster Linie Bäuerinnen. In den Dörfern gibt es mehr arme Frauen – ihre Durchschnittsrente ist 304 Euro, im Vergleich zu 516 Euro bei Männern. Sie sind häufiger Analphabetinnen und, obwohl sie auf dem Feld und zu Hause arbeiten, gehören ihnen nur sehr selten die Höfe. Der Besitzer ist fast immer der Ehemann oder der Sohn.

Und wie wirkt sich das massive Kürzungsprogramm aus, das die Troika verordnet hat?

Die Auswirkungen der Sparpolitik der Regierung von Passos Coelho sind brutal für alle, besonders für Frauen. Weil sie weniger Einkommen haben, sind die Kürzungen für sie am schlimmsten. Da die Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst (in Schulen, Krankenhäusern usw.) überwiegend von Frauen besetzt sind, sind sie auch eher von Entlassungen betroffen, wenn es Haushaltskürzungen gibt. Das gab es zwar regelmäßig, seitdem Portugal 1986 der EU beigetreten ist – aber unter der Troika aus EU, EZB und IWF wird das verschärft.

In dieser Situation gehen immer mehr Frauen in die Prostitution, um sich über Wasser zu halten. Hilfsdienste für Mütter in schwierigen Situationen berichteten zunehmend von diesem Phänomen. Es handelt sich um eine neue Art von Prostitution: Frauen, die arbeitslos werden oder sich von ihren Partnern trennen, prostituieren sich zeitweise, um ihre Kinder zu ernähren. Das ist eine Folge der Wirtschaftskrise und der Sparpolitik.

Zwingen die Kürzungen im Sozialsystem die Frauen nicht auch zu mehr unentgeltlicher Arbeit, etwa bei der Kinder- oder Altenbetreuung?

Auf jeden Fall. In Portugal sind die meisten Kindertagesstätten privat und sehr teuer. Die durchschnittliche Monatsgebühr für eine Kita beträgt rund die Hälfte des monatlichen Mindestlohns! Für eine Mutter zweier Kinder, die den Mindestlohn hat, lohnt es sich also überhaupt nicht, ihre Kinder zur Kita zu schicken. Deshalb geben Frauen mit Kleinkindern vermehrt ihren Beruf auf. Diese Tendenz hat sich auch durch die Sparpolitik verstärkt.

Genauso müssen arbeitende Familien ihre Eltern und Großeltern aus Altersheimen herausnehmen und zu Hause betreuen. Denn die Altersheime sind auch in erster Linie privat – außerdem werden die Pensionen der Alten damit zu einer kleinen Hilfe für den Haushalt. Frauen müssen mehr unbezahlte Hausarbeit leisten, gerade bei der Betreuung der Kinder und der Altern.

Wie ändert sich dadurch das gesellschaftliche Rollenbild der Frau?

Die portugiesische Revolution von 1974 hat dazu beigetragen, dass die Frauen viele Rechte bekamen, die sie vorher nicht hatten. Aus juristischer Sicht gab es viele Fortschritte, und im gesellschaftlichen Bild der Frau hat sich auch einiges geändert. So studieren heute mehr Frauen als Männer – vor der Revolution wäre das undenkbar gewesen.

Doch die Sparpolitik drängt die Frauen wieder aus dem Arbeitsmarkt heraus. Zum Beispiel werden junge Frauen bei Bewerbungsgesprächen immer häufiger gefragt, ob sie verheiratet sind oder einen Kinderwunsch haben. Wenn sie "ja" sagen oder – schlimmer noch – sichtlich schwanger sind, bekommen sie den Job nicht. Das passiert, obwohl es seit der Revolution einen weitgehenden Schutz für Schwangere und Mütter gibt. Doch weil die Verträge sowieso befristet und prekär sind, werden gesetzliche Regelungen durch die Unternehmer einfach ignoriert. Frauen, die auf diese Art und Weise diskriminiert werden, haben kein Geld, ihre Rechte einzuklagen.

Generell ist die Arbeitslosigkeit der Frauen höher: Wenn sie auf der Arbeit fehlen, weil ihre Kinder krank sind, werden sie immer häufiger entlassen – obwohl das verboten ist. Männer fehlen aus diesem Grund seltener bei der Arbeit, denn Frauen bekommen die Verantwortung für die Kindererziehung aufgebürdet.

Am 2. März gingen bis zu einer halben Million Menschen in ganz Portugal auf die Straße gegen die Troika. Wie beteiligen sich Frauen an der Protestbewegung?

Portugiesische Frauen sind in den ersten Reihen der Proteste. Man sieht ganz klar in den Bildern und Berichten in den Zeitungen, dass wir Frauen in großer Zahl neben arbeitenden Männern gegen die Regierung und die Troika kämpfen.

Wir können die Probleme der Frauen nicht in einer Gesellschaft lösen, in der Ausbeutung und Profitstreben die Wirtschaft bestimmen. Die Ungleichheit zwischen arbeitenden Männern und Frauen wird angekurbelt, um die Interessen der UnternehmerInnen und BankerInnen zu fördern. Deswegen müssen wir gemeinsam für eine neue Gesellschaft kämpfen.

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