Interview: „Empörte“ und ArbeiterInnen im Spanischen Staat

30.06.2011, Lesezeit 5 Min.
1

Die Bewegung der „Empörten“ im Spanischen Staat ist nicht nur eine Jugendbewegung – AktivistInnen wollen stärker mit den Beschäftigten zusammenarbeiten. Ein Interview mit Sara Povo aus Saragossa, Aktivistin der „Bewegung des 15. Mai“, Mitglied der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CGT und der trotzkistischen Gruppe Clase contra Clase, Schwesterorganisation von RIO in der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale (FT-CI).

Seit Wochen demonstrieren Hunderttausende Menschen im gesamten spanischen Staat gegen die Kürzungspläne der Regierung. In welchem Zustand befindet sich die sogenannte Bewegung des 15. Mai?

Bei der letzten Großdemo Mitte Juni kamen 500.000 „Empörte“ auf die Straße. In Madrid, dem Epizentrum der Proteste, gab es sechs Demonstrationszüge aus verschiedeneren Stadtvierteln, die vor dem Kongreß aufeinander trafen, mit mehr als 150000 Menschen. In Barcelona waren es 275000, und in vielen anderen Städten wie Valencia, Sevilla oder Saragossa waren die Demonstrationen ebenfalls massenhaft.

In den vergangen Tagen hat die Repression gegen diese Bewegung stark zugenommen. Wie wird damit umgegangen?

Es kam bereits direkt nach den ersten Demonstrationen in Madrid am 15. Mai zu brutalen Übergriffen. Das war der Grund, warum einige Demonstranten sich entschieden haben, auf dem zentralen Platz „Puerto del Sol“ zu zelten. Dieses Phänomen breitete sich schnell auf ziemlich alle Städte aus, und die Zeltstädte wurden zu sowas wie „Generalstäbe“ der Protestbewegung, die mit großen Versammlungen die verschiedenen Gruppierungen zusammenbrachten.

Am 15. Juni gab es eine Aktion vor dem Parlament in Barcelona, die auf der Massenversammlung der „Plaça de Catalunya“ beschlossen worden war. Den Abgeordneten sollte der Zugang zum Parlament versperrt werden, um die Abstimmung über Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich zu verhindern. Teilweise mussten ParlamentarierInnen mit Hubschraubern zur Arbeit gebracht werden. Der Staat reagierte auf diese Infragestellung der „Demokratie der Reichen“ mit einer Kriminalisierung der Proteste insgesamt. Leider fruchtete das bei den reformistischsten Teilen der Bewegung, und sie distanzierten sich von den angeblichen „GewalttäterInnen“.

Dabei ist die eigentliche Gewalt die Kürzungspläne, die Massenarbeitslosigkeit und die Korruption. Auf den letzten Demos hörte man immer wieder die Parole: „Fünf Millionen Arbeitslose – das ist doch Gewalt!“

Die Forderungen der Mehrheit dieser Bewegung, etwa der Ruf nach einer Reform des Parteiengesetzes, sind weiterhin sehr gemäßigt. Wird es dabei bleiben?

Tatsächlich sind die Aufrufe zu den Demonstrationen nicht gerade radikal. Doch der Massencharakter der Bewegung ist Ausdruck von Wut, die sich seit vielen Jahren aufgestaut hat, besonders seit Beginn der Wirtschaftskrise. In Spanien gibt es fünf Millionen Arbeitslose, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 40 Prozent.

Das Regime kann der Bewegung aufgrund der wirtschaftlichen Situation nicht viele Zugeständnisse machen. Vor diesem Hintergrund gibt es Teile, die ihre Forderungen und auch ihre Methoden radikalisieren. Bei der Großdemo am 19. Juni waren die Forderungen nach Arbeit, Wohnungen usw. mindestens genauso präsent wie die Forderungen nach „echter Demokratie“, auch Rufe nach einem Generalstreik sind immer öfter zu hören.

Die Bewegung wird in der Presse als eine „Jugendbewegung“ beschrieben. Wie steht es um die Beteiligung von ArbeiterInnen?

In der Zeltstadt von Barcelona gibt es eine ArbeiterInnenkommission, die große Betriebe besucht, die sich im Kampf befinden, wie etwa Alstrom, Derbi, Seat, Sharp oder die Krankenhäuser, die gegen die Privatisierung des Gesundheitssystems in Katalonien kämpfen. Auf der Plaça de Catalunya gab es schon ein erstes ArbeiterInnentreffen mit 300 TeilnehmerInnen, und in diesen Tagen soll es ein zweites geben. Seit kurzem gibt es auch eine Website der „Empörten ArbeiterInnen“.

Im nahegelegenen Terrassa demonstrierten tausend Studierende vor einem Krankenhaus, um die Beschäftigten zu unterstützen.

Wie entstand die ArbeiterInnenkommission in Ihrer Stadt, in Saragossa?

Ein zentrales Motiv für Gründung der Kommission war die Rolle der ArbeiterInnen in den demokratischen Protesten gerade in Ägypten. Erst als die Beschäftigten in den Unternehmen sich am Widerstand gegen Mubarak beteiligten und zu Streiks aufriefen, konnte dieser auch gestürzt werden.

Wie die Jugendlichen im Mai ’68 in Frankreich zu den Fabriken gegangen sind, wollten wir unsere Unterstützung für die Arbeitskämpfe zeigen und sie auffordern, sich unserer Bewegung anzuschließen.

In den letzten Wochen haben wir Aktionen zur Unterstützung der Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr und der LeiharbeiterInnen im öffentlichen Dienst organisiert . Bei der Großdemo am 19. Juli organisierten wir auch einen klassenkämpferischen Block, in dem BusfahrerInnen von der Firma TUZSA Seite an Seite mit prekär beschäftigten Jugendlichen vom Pizzalieferanten Telepizza liefen.

Die Zusammenführung der Bewegung des 15. Mai mit der ArbeiterInnenbewegung ist essentiell, wollen wir die Kürzungspläne der Regierung wirklich aufhalten. Wir müssen den sozialen Frieden durchbrechen, den die großen Gewerkschaftsverbände CCOO und UGT mit der Regierung ausgehandelt haben. Das eröffnet die Perspektive des Generalstreiks, um die Kürzungspläne wirklich aufzuhalten.

dieses Interview auf Indymedia
dieses Interview in der jungen Welt

(Sara Povo sprach auf Diskussionsveranstaltungen von RIO am 24.6. in Berlin und am 25.6. in München)

Mehr zum Thema