„Ich bin die am wenigsten antisemitische Person, die Sie in Ihrem Leben je gesehen haben“

22.02.2017, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

Eine gefährliche und reaktionäre Deutungshoheit über den Begriff Antisemitismus ließ sich letzten Mittwoch in Washington, Wien und Berlin beobachten. Trump zum Beispiel ist ein Antisemit, aber ein gern gesehener Freund des zionistischen Staates.

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Sicherlich haben manche Leser*innen schon die Nase voll von der sogenannten „Antisemitismus-Debatte“. Das kann ich ihnen auch nicht übel nehmen. Doch was in der „Debatte“ fast immer ausgeblendet wird, ist die reaktionäre Deutungshoheit über den Begriff Antisemitismus. Denn nicht nur werden Palästina-solidarische Positionen durch den Begriff immer wieder diskreditiert. Reaktionär*innen waschen damit auch immer wieder ihre menschenverachtenden Positionen rein.

Um das zu veranschaulichen, wollte ich einige Vorkommnisse der letzten Woche kurz umreißen. Denn es bringt nichts, darüber zu schweigen. Ich lade Euch dazu ein, mit mir eine kurze Weltreise zu unternehmen. Wir besuchen mehrere Schauplätze – alle am vergangenen Mittwoch.

Washington

Unsere erste Station ist Washington, wo sich zwei Anführer der westlichen Welt treffen – der US-Präsident Donald J. Trump und der israelische Regierungschef Benjamin „Bibi“ Netanjahu (von Trump auch liebesvoll, oder vielleicht wegen des Überflusses an „B“, „Betanyahu“ genannt). Erstes Highlight dieser Folge der Reality-Show Namens „Trumps Amtszeit“ war ein Bruch mit einer langen Tradition des US-Imperialismus, als Trump deklarierte, ihm wäre eine Zwei- oder Einstaatenlösung egal.

Keine Angst! Trump ist nicht bei FOR-Palestine eingetreten, sondern meinte viel mehr, ihm sei es egal, ob Israel auch offiziell zum Apartheidstaat wird und das Westjordanland annektiert – solange sich irgendein Abbas findet, der das Ganze als einen „guten Deal“ absegnet.

Doch das für uns hier Interessante passierte hinterher. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz stellte ein Journalist die Frage, wie Trump den jüngsten Anstieg antisemitischer Vorfälle und Angriffe in den USA sieht. Dazu gehört eine Reihe von Bombendrohungen gegen jüdische Einrichtungen. Seine Antwort war wirklich einmalig: Trump ignorierte die Frage, um von seinem ruhmreichen Wahlsieg zu erzählen. Sein Gelaber über das Electoral College schloss er mit einer Erwähnung seines (rechtsradikalen) jüdischen Schwiegersohns, konvertierter Tochter und Enkelkinder. Vom Antisemitismus – genau wie bei seiner Erklärung zum internationalen Gedenktag des Holocausts – war keine Rede.

Am nächsten Tag richtete ein amerikanischer jüdisch-orthodoxer Journalist eine ähnliche Frage an Trump. Jetzt war seine Antwort viel deutlicher – „Setzen Sie sich hin, ich verstehe die Frage schon“, unterbrach er den Journalisten. „Ich bin die am wenigsten antisemitische Person, die Sie in Ihrem Leben je gesehen haben.“ Dann bezeichnete er den Journalisten noch als Lügner, bevor er sich selbst auch zu der am wenigsten rassistischen Person der Welt ernannte.

Und Trump hat recht. Er ist überhaupt kein Antisemit. Wir sind im Jahr 2017, und es gibt eine einfache Methode, Antisemit*innen von Nicht-Antisemit*innen zu unterscheiden. An unserem ereignisvollen Mittwoch, bei besagter Pressekonferenz, konnte Netanjahu diese Diskussion sehr einfach erläutern: „Ich kenne Präsident Trump seit vielen Jahren“ ,sagte er. „Es gibt keinen größeren Unterstützer des jüdischen Volkes.“ Wirklich? Morddrohungen, „Heil Trump“ und Bannon hin oder her – wer Antisemit ist, bestimmt der Zionismus. Die Frage ist beantwortet, die Welt kann sich weiterdrehen.

Wien

Weiter nach Österreich, wo die israelische Justizministerin Ayelet Shaked für einen Vortrag an der Universität Wien eingeladen war. Shaked ist für ihren offenen Rassismus berühmt, beispielsweise durch einen Facebook-Post, in dem sie Genozid an Palästinenser*innen propagierte, um die zukünftige Geburt von „kleinen Schlangen“ zu verhindern.

Nachdem mehrere Akademiker*innen und Gruppierungen vergeblich versucht hatten, die Problematik der Einladung der Universität klar zu machen, entschieden sich Aktivist*innen, ihre Stimme auf der Veranstaltung zu erheben. Sie haben Shakeds Vortrag wiederholt unterbrochen, das Publikum auf ihre rassistischen Äußerungen und die Politik ihrer Regierung aufmerksam gemacht und sie zur Stellungnahme aufgefordert. In einem Interview mit der regierungsnahen Zeitung „Yisrael Hayom“ berichtete Shaked, sie sei auf der Veranstaltung antisemitisch angegriffen worden. Wer Antisemit ist, bestimmt der Zionismus.

Berlin

Selber Tag, immer noch im deutschsprachigen Raum – beim Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin findet eine große Podiumsdiskussion zu den Antisemitismus-Vorwürfen gegen eine Palästina-solidarische Dozentin statt. Wie hier schon berichtet, fand eine Diskussion nicht wirklich statt. Vielmehr wurde bestimmt, was an der deutschen Akademie an Redefreiheit erlaubt ist und was nicht.

Der stellvertretende Geschäftsführer des Instituts, Professor Bernd Ladwig, fasste es zusammen: Kritik an Israel ist Bestandteil „antisemitischer Umwegskommunikation“ und kommt bei ihm „nicht ins Haus“. Jüdische Personen, die dagegen protestierten, dass der verehrte deutsche Professor sie dazu zwingt, ein Feigenblatt für ein rassistisches Kolonialregime zu sein, interessierten den Akademiker kaum. Auch hier gilt die Regel: Wer Antisemit ist, bestimmt der Zionismus – und die Kinder und Enkelkinder der deutschen Faschismusgeneration.

Wieder daheim

Und so endet unser kleiner Ausflug durch den vergangenen Mittwoch. Was uns als Linke nur übrig bleibt, ist die einfache Frage: Positionieren wir uns auf der Seite der Trumps, Netanjahus, Shakeds und Ladwigs dieser Welt? Oder kämpfen wir für Gerechtigkeit und Freiheit, für eine Welt ohne Rassismus und Kapitalismus, ohne Antisemitismus und Zionismus? Die Antwort darauf bestimmen wir.

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