Große Koalition oder Linksregierung?

29.10.2015, Lesezeit 6 Min.
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// Portugal gilt unter den politischen Vertreter*innen der Bourgeoisie als Vorbild: Obwohl die rechte Regierungskoalition aus Sozialdemokratie (PSD) und Konservativen (CDS) in den letzten Jahren die harten Sparmaßnahmen der Troika durchführte, konnte sie erneut die Wahl gewinnen. Allerdings verlor sie die absolute Mehrheit. Damit gibt es Raum für verschiedene Szenarien. //

Portugal ist das ärmste Land Westeuropas und hat einen Schuldenberg von 129 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Jahren von 17,5 auf immer noch hohe 12,4 Prozent vor allem auf Kosten von Billigjobs und prekärer Beschäftigung zurückgegangen. Mehr als 500.000 qualifizierte Portugies*innen verließen das Land wegen fehlender Perspektiven. Die von Pedro Passos Coelho (PSD) angeführte Regierungskoalition hat in den letzten Jahren als beste Schülerin der Troika deren Privatisierungsvorgaben sogar übertroffen und harte Spardiktate durchgesetzt.

Trotz dieser sozialen Situation konnte sich Passos Coelho bei den vergangenen Parlamentswahlen erneut als Sieger feiern. Mit 38,5 Prozent der Stimmen ist die aus PSD und CDS bestehende Wahlfront Vorwärts Portugal klar die stärkste Kraft.. Allerdings brach sie im Vergleich zur letzten Parlamentswahl im Jahr 2009 um satte 11,87 Prozentpunkte ein und verlor so die absolute Mehrheit.

Die stärkste Oppositionspartei wurde die Sozialistische Partei (PS) von Antonio Costa, die zwar 12 Sitze dazu gewann, jedoch mit 32,2 Prozent deutlich weniger Stimmen als erwartet bekam und damit als eine der Verliererinnen der Wahlen gilt. Während die Konservativen die Austeritätspolitik fortsetzen wollen, strebt Costas Partei an, diese schrittweise abzuschwächen und verträglicher zu gestalten.

Die zwei anderen im Parlament vertretenen linken Kräfte konnten ebenfalls zulegen: Das Bündnis zwischen der Kommunistischen Partei (KP) und den Grünen, Demokratische Einheitskoalition (CDU), kam auf stabile acht Prozent. Der Bloco de Esquerda, Schwesterpartei von Linkspartei, Syriza und Podemos, konnte seinen Stimmenanteil sogar verdoppeln und war mit 10,1 Prozent der Stimmen und 19 Abgeordneten zum ersten Mal stärker als die CDU.

Verschiedene Konstellationen

Der Bloco trat mit einem neoreformistischen Anti-Austeritätsprogramm zu der Wahl an und holte vor allem die Stimmen ehemaliger PS-Wähler*innen. Die PS regierte von 2005 bis 2011 unter José Sócrates und führte Kürzungen und Sparmaßnahmen durch. Gegen Sócrates wird seit 2014 wegen Korruption und Steuerbetrug ermittelt. Deshalb wurde die PS von vielen als Vertreterin eines korrupten kapitalistischen Regimes wahrgenommen.

Die CDU hingegen fordert den Austritt aus der Europäischen Union (EU) und der Eurozone und eine Rückkehr zum nationalen Kapitalismus in Form eines „Plan B“, wie ihn verschiedene reformistische Figuren wie Jean-Luc Melénchon, Oskar Lafontaine oder die griechische Volkseinheit (LAE) fordern.

Damit ergibt sich aus der Wahl eine widersprüchliche Konstellation: Obwohl die Regierungspartei und ihre harte Austeritätspolitik nicht besiegt werden konnte, gibt es eine „linke Mehrheit“ aus PS, dem Bloco und der CDU. Und auch wenn die reformistischen Kräfte leicht zulegen konnten, befinden sich die traditionellen Parteien nicht in einer Krise wie im Spanischen Staat oder Griechenland. Doch auch in Portugal herrscht eine Repräsentationskrise, die sich in einer Wahlbeteiligung von nur 60 Prozent ausdrückte.

Die PS hatte die Zügel in der Hand und verhandelte nach der Wahl sowohl mit Passos Coelho als auch mit dem Bloco und der Kommunistischen Partei. Coelho hatte einige Programmpunkte der PS wie die Erhöhung des Mindestlohns aufgenommen und war dazu bereit, über „alles zu diskutieren, um die Stabilität des neuen politischen Zyklus zu sichern“. Andererseits war eine grundlegende Voraussetzung für eine Regierungsbildung der „Respekt der Spielregeln und Bedingungen, denen Portugal als Mitglied der EU ausgesetzt ist“. Somit wurde ein klares „Nein“ zum beschleunigten Ende der Austerität, wie es die Sozialist*innen fordern, abgelehnt.

Eine Regierungskoalition zwischen den beiden größten Parteien, eine portugiesische „Große Koalition“, würde die PS jedoch in eine politische Krise stürzen, weil sie sich im Wahlkampf ausdrücklich gegen eine neue Regierung von Passos Coehlo ausgesprochen hatten.

Nach stockenden Verhandlungen brachte das die Leitung der PS in den letzten Tagen dazu, die Gespräche mit den Konservativen zu beenden und den letzten Schliff an die „linke Regierung“ aus PS, Bloco und CDU anzulegen.

Der Bloco stellt als einzige Bedingung das Ende des von der PS vorgeschlagenen Kürzungsprogramms in Höhe von 1,6 Milliarden Euro und einen Plan, der Massenentlassungen im Gegenzug zu höheren Entschädigungen vorsieht, fallen zu lassen. Auch die Anführerin Catarina Martins sprach sich für eine „stabile Linksregierung“ aus, die „vom Programm der PS ausgeht, aber darüber hinaus einige Garantien nach links gibt, die zum Wiedergewinn der Kaufkraft und zur Sicherung der Arbeitsplätze beitragen“. Die KP titelte in einem Artikel ihrer Zeitung: „Sie können mit der PC [KP] rechnen“. Sie gab damit alle ihre Wahlversprechen auf. Damit rechtfertigen beide linken Gruppierungen auf ihre Art Pakte mit einer Partei, die genauso wie die ehemalige Regierung Teil einer korrupten politischen Kaste ist, die gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung regiert.

Und nun?

Der PS könnte eine Koalition mit der CDU und dem Bloco unter ihrer Führung zu Gute kommen. In diesem Sinne sagte der sozialistische Abgeordnete Soares, dass die „einzige stabile und dauerhafte Lösung eine politische Verständigung zwischen der PS, dem Bloco und der CDU ist“.

Nichtsdestotrotz sorgt diese Möglichkeit innerhalb der PS und auch bei den Konservativen und dem Establishment für große Verstimmungen. Deshalb blockierte der Staatspräsident, wie er am Donnerstag in einer Fernsehansprache ankündigte, eine „linke“ Regierungsbildung und ernannte den Konservativen Passos Coelho erneut zum Regierungschef. Er sagte, dass die letzte Wahl zwar beim Parlament liege, doch kündigte er drohend an, dass die „Zukunft Portugals“ außerhalb der EU und dem Euro „katastrophal“ wäre.

Mit besonderem Interesse wird das Geschehen im Spanischen Staat verfolgt, wo am 20. Dezember ebenfalls ein neues Parlament gewählt wird. Auch dort fanden reformistische Projekte wie Podemos verstärkt Zulauf und die konservative Regierung schickt sich – in einem Kopf-an Kopf-Rennen mit der Sozialdemokratie – an, trotz herber Verluste erneut die stärkste Partei zu werden.

Deshalb hatte es sich der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy zur Aufgabe gemacht, seine portugiesischen Kolleg*innen zu unterstützen, indem er sagte, dass „die Partei mit den meisten Stimmen auch regiert“. Der sozialdemokratische Vorsitzende Sánchez unterstütze eine mögliche „Linksregierung“ – auch er hält sich die Hintertür offen, mit Podemos zu koalieren, um an den Regierungssitz zu kommen.

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