Gorillas: Wie bekämpfen wir die Entlassungen? Über die Notwendigkeit, die Isolation zu durchbrechen
Der Arbeitskampf beim Lieferdienst Gorillas steht an einem Scheideweg: Gelingt es den entlassenen Arbeiter:innen, ihre Arbeitsplätze zurückzuerobern? Oder schafft es das Management, die Belegschaft zu spalten? Ein Vorschlag, wie ein gemeinsamer Kampf gelingen kann.

Das Lieferdienst-Startup Gorillas hat Anfang Oktober 350 außerordentliche Kündigungen ausgesprochen. Viele der gekündigten Kolleg:innen haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten an Streiks und Protesten für bessere Arbeitsbedingungen beteiligt – selbstorganisiert und größtenteils ohne offizielle Unterstützung von DGB-Gewerkschaften. Mit Klasse Gegen Klasse begleiten wir ihren Kampf seit Monaten.
Die skandalöse Antwort von Gorillas auf die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen – die Massenentlassung von hunderten prekär beschäftigten Gorillas-Arbeiter:innen – ist nur die hässlichste Fratze dieses Unternehmens, das als neuer Stern am Himmel der Plattform-Ökonomie gehypt wurde. Gorillas’ Rezept: Technologie des 21. Jahrhunderts in Verbindung mit Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts. Arbeiter:innen werden „auf den Müll“ geworfen, sobald sie erkranken, sich verletzen oder das absurde Arbeitstempo nicht aushalten – und wenn sie sich kollektiv wehren, flattert sofort die außerordentliche Kündigung ins Haus.
Deshalb rufen Arbeiter:innen und Unterstützer:innen zu einer Boykott-Kampagne des Lieferdienstes sowie zu Spenden für die Streikkasse auf, die wir mit voller Kraft unterstützen müssen. Die Boykott-Kampagne muss dazu dienen, den Kampf gegen die Entlassungen aufzunehmen und den Widerstand der Beschäftigten mit einem möglichst großen öffentlichen Druck zu verbinden.
Denn angesichts der hunderten Entlassungen befindet sich der Arbeitskampf bei Gorillas an einem Scheideweg: Gelingt es den Arbeiter:innen, ihre Arbeitsplätze zurückzuerobern und den Angriff abzuwehren? Oder schafft es das Gorillas-Management, sich mit dieser schamlosen Union-Busting-Methode, den Kampf zu zerschlagen?
Wie schlagen wir den Angriff auf den Gorillas-Streik zurück?
Um den Angriff zurückzuschlagen, reichen die bisherige Organisierung und die bisherigen Unterstützungsstrukturen nicht aus. Es ist zwar gut und richtig, den einzelnen Kolleg:innen arbeitsrechtlich zur Seite zu stehen, wie es die die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) und die „aktion ./. arbeitsunrecht“ tun. Aber aufgrund des restriktiven deutschen Streikrechts ist es schwer, dass die Kündigungen aufgrund der Teilnahme an „wilden“ Streiks vor Gericht als unrechtmäßig eingestuft werden. Es ist selbstverständlich notwendig, diesen juristischen Kampf zu organisieren und einen Präzedenzfall für die Stärkung des Streikrechts zu schaffen. Doch das wird Jahre dauern und einen langen Atem benötigen. Für den Kampf der heute unmittelbar betroffenen Kolleg:innen und vor allem, um die Fortschritte der vergangenen Monate in der Organisierung der Gorillas-Beschäftigten zu verteidigen, ist es notwendig, über diese juristische Strategie hinaus zu gehen.
Dasselbe gilt für die Organisierung der geplanten Betriebsratswahlen. Es wäre falsch, die Wahlvorbereitungen ohne Weiteres abzubrechen, da die Gründung eines Betriebsrats ein wichtiger Ankerpunkt der Kolleg:innen im Kampf für ihre Arbeitsbedingungen sein kann – das weiß auch das Gorillas-Management und will deshalb die Wahl des Betriebsrats komplett unterbinden. Die Geschäftsführung hat dafür sogar eine einstweilige Verfügung eingereicht. Es ist also notwendig, diesen Union-Busting-Angriff zurückzuschlagen. Doch damit der Betriebsrat wirklich zu einem Stützpunkt im Kampf für die gesamte Belegschaft wird, gibt es zwei Voraussetzungen: Zum Einen müssen der Wahlvorstand und der dann gegründete Betriebsrat den Kampf gegen die Entlassungen jetzt als zentrale Aufgabe begreifen – andernfalls verschließen sie die Augen vor dem zentralen Angriff der Bosse und verspielen damit jegliche Legitimität. Zum Anderen darf die Kündigungswelle nicht dazu führen, dass dem Betriebsrat fortan nur noch Menschen angehören, die dem Management nahestehen, weil alle anderen hinausgeworfen oder eingeschüchtert wurden. Im Gegenteil müssen der Wahlvorstand und der zukünftige Betriebsrat alles daran setzen, dass der Betriebsrat die Vertretung sowohl der weiter bei Gorillas Beschäftigten als auch der Entlassenen wird.
Kurzum: Es ist notwendig, heute einen politischen und gewerkschaftlichen Kampf gegen die Entlassungen bei Gorillas zu organisieren. Unmittelbar braucht es dafür eine große Versammlung aller Entlassenen zusammen mit allen noch bei Gorillas Beschäftigten, um eine gemeinsame Strategie des Kampfes zu diskutieren. Es reicht nicht aus, den Aktivismus im Gorillas Workers Collective (GWC) zu konzentrieren, sondern es müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um alle 350 Entlassenen zu erreichen – egal ob und wo sie gewerkschaftlich organisiert sind oder nicht – und eine vereinte Kampffront gegen die Entlassungen aufzubauen. Eine solche Versammlung könnte eine Verstärkung der Boykott-Kampagne, regelmäßige Demonstrationen, weitere Warenhaus-Blockaden und auch die Verbindung mit anderen kämpfenden Sektoren debattieren und über einen Kampfplan abstimmen, um die Entlassungen zurückzuschlagen.
Eine gemeinsame Front statt Isolation
Der Sektor, in dem Gorillas operiert, macht den Kampf gegen Entlassungen denkbar schwer: Die Arbeitsbedingungen sind so prekär, dass sicherlich viele Entlassene kein großes Interesse daran haben, ihren beschissenen Arbeitsplatz zu verteidigen, und sich schnell einen anderen – oft genauso prekären – Job suchen werden. Und die hohe Fluktuation macht es schwer, langfristig stabile Strukturen aufzubauen. Die großen Gewerkschaftsapparate wie ver.di berufen sich gern auf diese Schwierigkeit, um ihren Unwillen in der Organisierung dieses Sektors zu rechtfertigen. Doch genauso wie es falsch wäre, ihnen diese Ausrede schulterzuckend durchgehen zu lassen, ist es fatal, nicht zu versuchen, eine der größten Gewerkschaften mit fast zwei Millionen Mitgliedern in eine gemeinsame gewerkschaftliche Front zu zwingen, um die Angriffe zurückzuschlagen.
Deshalb muss eine Versammlung aller Entlassenen und noch bei Gorillas Beschäftigten auch Druck auf die ver.di-Führung aufbauen, den Kampf mit allen Mitteln zu unterstützen. Schließlich sind auch einige ver.di-Mitglieder unter den Entlassenen. Es wäre ein Fehler, die Kolleg:innen zwischen Entlassenen und weiterhin Beschäftigten oder anhand ihrer Zugehörigkeit zu ver.di oder zur FAU oder ihrer fehlenden Gewerkschaftsmitgliedschaft zu spalten. Genau diese Spaltung will das Gorillas-Management ja erreichen.
Umso wichtiger ist es, dass alle Organisationen, die den Kampf bisher begleitet und unterstützt haben, gemeinsam auf den Aufbau einer solchen Versammlung und eines Kampfplans gegen die Entlassungen hinarbeiten. Das gilt insbesondere für die FAU, die den Arbeitskampf mitorganisiert, sich als Gewerkschaft aber bisher auf Rechtsberatung und die Organisierung eines Teils des Gorillas Workers Collectives beschränkt hat. Es gilt auch für die „aktion ./. arbeitsunrecht“, die sich zwar nach eigener Aussage für eine „Belebung der Streikkultur in Deutschland“ und für „aktive Gewerkschaften“ einsetzt, sich aus unserer Sicht aber nicht vornimmt, die materiellen Kräfte aufzubauen, um den bürokratischen ver.di-Apparat dazu zu zwingen, gegen die Entlassungen alle Hebel in Bewegung zu setzen.*
Das GWC ist nur ein kleiner Teil der Belegschaft. Um die Entlassungen und weitere Angriffe auf die Masse der Beschäftigten zurückzuschlagen, reicht es nicht länger aus, nur diejenigen mit dem größten politischen Bewusstsein für den Kampf zu organisieren. Im Gegenteil ist es notwendig, die gesamte Belegschaft von Gorillas gegen die Entlassungen zu vereinen, und ebenso die Koordination mit Beschäftigten anderer Lieferfirmen und anderer Sektoren im Kampf aufzubauen. Der Kampf gegen das Gorillas-Management kann trotz aller radikaler Kampfmaßnahmen nicht isoliert von der Mehrheit der Belegschaft – und zwar Fahrer:innen und Lagerarbeiter:innen, obwohl sie zum Teil sehr unterschiedliche Bedingungen haben – und isoliert vom Rest der Lieferarbeiter:innen und anderen Sektoren gewonnen werden. Es braucht eine Einheitsfront aller Beschäftigten, Unterstützer:innen und der Gewerkschaften. Ein erster Schritt dafür ist eine Versammlung, wie wir sie oben beschrieben haben. Lasst uns alles daran setzen, sie in die Tat umzusetzen!
Für die Einheit der Klasse kämpfen: Linker Radikalismus oder der Kampf um die Hegemonie
Diese Perspektive vertreten wir nicht nur für den konkreten Kampf gegen die Entlassungen bei Gorillas. Wir halten den Kampf für die Einheit der Klasse für eine strategische Voraussetzung, um das gesamte System der kapitalistischen Ausbeutung zu überwinden.
Historisch organisierte der Anarchosyndikalismus, wie ihn beispielsweise die FAU vertritt, nur kleine radikale Fraktionen von Belegschaften, während die große Mehrheit der Beschäftigten mit rückständigeren politischen Ideen außenvorblieb. Was auf den ersten Blick radikaler erscheint, ist aber letztlich zum Reformismus verdammt: Die Mehrheit der Beschäftigten bleibt – organisiert oder nicht – unter dem Einfluss des Reformismus und der bürokratischen Apparate, während die radikalen Teile der Belegschaft sich von ihnen isolieren. Damit wird letztlich die Spaltung reproduziert, die die Gewerkschaftsbürokratien im Interesse des Kapitals durchsetzen und aufrechterhalten.
Unsere Perspektive ist eine andere: Wir kämpfen für die Überwindung der (sozialen, ökonomischen, aber auch politischen) Zersplitterung der Arbeiter:innenklasse und für den Aufbau breiter Organe der Einheitsfront im Kampf, wo alle Beschäftigten – unabhängig von legalem Status, Arbeitsvertrag, Gewerkschaftszugehörigkeit etc. – zusammen über die Geschicke des Kampfes entscheiden. Zugleich kämpfen wir innerhalb dieser Organe gegen die Gewerkschaftsbürokratie und für einen revolutionären Flügel, der sich vornimmt, die Gewerkschaften aus den Händen der Bürokratie zurückzuerobern.
Im Falle von Gorillas würde das bedeuten, sich nicht damit zufrieden zu geben, dass ein paar Dutzend Kolleg:innen im Gorillas Workers Collective aktiv sind, sondern alle Hebel in Bewegung zu setzen, dass alle Beschäftigten und alle Entlassenen in Versammlungen gemeinsam darüber diskutieren und entscheiden, wie der Kampf weitergeführt werden kann. Dazu gehört auch, den Kampf dafür zu führen, dass ver.di mit seinen zwei Millionen Mitgliedern den Kampf bei Gorillas bis zum Ende aufnimmt. Leider gibt es in der FAU Positionen, entweder ver.di und ihre Mitglieder aus dem Arbeitskampf fernhalten zu wollen, oder den sozialpartnerschaftlichen Bürokratismus des ver.di-Apparats zwar verbal zu kritisieren*, aber bei dieser Kritik stehenzubleiben, ohne alles zu versuchen, um die ver.di-Mitglieder gegen ihre bürokratische Führung und für eine Einheitsfront im Kampf zu organisieren.
Diese Diskussion ist so alt wie die Existenz der Gewerkschaftsbürokratie selbst. Während der Anarchosyndikalismus und auch der Stalinismus der „Dritten Periode“ die Gründung von „roten Gewerkschaften“ abseits der großen Mehrheit der Arbeiter:innenklasse vorgeschlagen hat, schlug Lenin die Entwicklung revolutionärer Strömungen innerhalb der reformistischen Gewerkschaften vor. Heute sind die Gewerkschaftsbürokratien unvergleichlich stärker als zu Lenins Lebzeiten, weshalb die Notwendigkeit, die Bürokratien als wichtige Stützen des imperialistischen Regimes zu überwinden, umso dringender geworden ist.
Diese Aufgabe ist auch deshalb von zentraler Bedeutung, weil prekäre Sektoren wie beispielsweise bei Gorillas zwar eine große Radikalität entfalten können, ihnen aber die materielle Kraft fehlt, die zentralen Sektoren der imperialistischen Wirtschaft lahmzulegen. Dazu braucht es den Schulterschluss mit den Arbeiter:innen dieser Bereiche – wie Metall- und Elektroindustrie, Logistik, aber auch im Gesundheitssektor –, in denen die Gewerkschaftsbürokratie einen großen Einfluss hat. Umgekehrt können die explosiveren Kämpfe und Methoden der prekären Sektoren genau diese Bereiche in Bewegung setzen.
Es ist unmöglich, die Zersplitterung der Arbeiter:innenklasse zu überwinden, ohne die Gewerkschaftsbürokratie zu überwinden. Doch dafür braucht es einen politischen Kampf, der die Gewerkschaftsapparate zwingt, mit am Tisch zu sitzen und die Beschlüsse mit umzusetzen. Denn wenn sie sich konsequenzlos der Verantwortung im Kampf entziehen kann, ist der Mehrheit der Arbeiter:innen – nicht nur in einem Betrieb, sondern der organisierten Arbeiter:innenbewegung insgesamt – die Rolle der Bürokratie nicht begreiflich zu machen und eine wirklich demokratische Selbstorganisierung durchzusetzen, die über eine kleine Avantgarde hinausgeht. Deshalb setzten wir uns dafür ein, die #BoycottGorillas-Kampagne zusammen mit den Basismitgliedern der DGB-Gewerkschaften durchzuführen: etwa mit der Berliner Krankenhausbewegung.
*In der ursprünglichen Version dieses Artikels wurde behauptet, die „aktion ./. arbeitsunrecht“ würde den ver.di-Apparat als bürokratisch anklagen und leite daraus ab, dass sich ver.di aus dem Kampf heraushalten solle. Weiter wurde behauptet, es gebe bei der „aktion ./. arbeitsunrecht“ Positionen, entweder ver.di und ihre Mitglieder aus dem Arbeitskampf fernhalten zu wollen oder den sozialpartnerschaftlichen Bürokratismus des ver.di-Apparats zu kritisieren. Dies trifft nicht zu. Die „aktion ./. arbeitsunrecht“ hat sich nicht in diesem Sinne geäußert. Wir haben dies korrigiert und entschuldigen uns für den Fehler.
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