Gegen Diskriminierung auf dem Feld!

08.04.2013, Lesezeit 5 Min.
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// Die Geschichte des kämpfenden homosexuellen Schiedsrichters Halil Ibrahim Dinçdağ //

Der türkische Schiedsrichter Halil Ibrahim Dinçdağ wurde im Jahr 2009 nicht mehr als Schiedsrichter engagiert, nachdem seine homosexuelle Orientierung dem türkischen Fußballverband bekannt geworden war.

Wegen der homophoben Stimmung hatte er seine Homosexualität zunächst verheimlicht. Erst als er zum Militärdienst eingezogen werden sollte, bekannte er sich vor der Ärztekommission zu seiner Homosexualität, um dem Dienst an der Waffe zu entgehen. Zwei Monate später, nachdem er dem Fußball-Landkreisverband den Befreiungsschein vorgelegt hatte, wurde ihm vom diesem mitgeteilt, dass er nicht mehr beauftragt wird, offizielle Spiele zu pfeifen. Laut dem Verband sei er nicht für Spiele geeignet, weil er den Militärdienst verweigert hätte. Später gab der Verband als offiziellen Grund „mangelnde Fitness“ an. Dinçdağ wurde auch zur Aufstiegsprüfung zur höheren Liga nicht zugelassen. In zunächst letzter Hoffnung, seinen Beruf weiter ausüben zu können, stellte er beim türkischen Fussballverband einen Zulassungsantrag, der jedoch ebenfalls abgelehnt wurde.

Kurz nach dem Antrag auf Zulassung wurden in den türkischen Medien Schlagzeilen über einen homosexuellen Schiedsrichter veröffentlicht, später auch unter Nennung seiner Heimatstadt sowie der Abkürzung seines Namens: H.I.D. Da es in der Stadt keinen anderen Schiedsrichter gibt, der sich H.I.D. abkürzen ließe, war Halil dechiffriert. Er musste sich im Fernsehen als homosexuell outen, was auch dazu führte, dass er seine Familie und sein soziales Umfeld hinter sich lassen und nach Istanbul ziehen musste, um Anfeindungen zu entgehen. Auch vom lokalen Radiosender Bayrak FM, bei dem er jahrelang als Radiomoderator gearbeitet hatte, wurde ihm gekündigt.

Dinçdağ klagte vor Gericht gegen die Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte und strengte eine Klage zur Wiedereinstellung als Schiedsrichter an. Dieser Prozess dauert seit 2009 an. Dinçdağ gab bekannt, er werde notfalls auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Er bekam in diesem Zeitraum sowohl von türkischen als auch von ausländischen Fußballfans sowie von einigen LGBT[1]-Organisationen Unterstützung.

Die Geschichte von Halil führt uns zur Frage der Ursachen und Folgen von Homophobie. Ausgehend von der Familie entstand das herrschende, heterosexistische Geschlechterregime, das das ganze gesellschaftliche Feld auf die männlich-weibliche Dualität beschränkte. LGBT-Menschen wurden dabei als abweichend begriffen und dadurch von der Gesellschaft ausgegrenzt. Diese Exklusion führte in den extremsten Fällen zu Pogromen gegen LGBT-Menschen. Der gesellschaftliche Druck auf LGBT-Menschen und die heterosexuelle Zwangsmonogamie entspringen ursprünglich der Entstehung der bürgerlichen Familie mit dem Privateigentum und der Erbschaft als Grundlage. Die Monogamie ordnete die Frau aufgrund der ökonomischen Machtverhältnisse dem Mann unter, und der Kapitalismus drängte der Frau die Notwendigkeit auf, eine Haussklavin zu sein. Die Frau in einer bürgerlichen Ehe hatte die Aufgabe der Fruchtbarkeit, der Kindererziehung und des Befriedigens der sexuellen Bedürfnisse des Mannes. Die ökonomische Hegemonie des Mannes ermöglichte ihm, die ökonomische Versorgung der Frau zu übernehmen.

Die fundamentale Reproduktionsfunktion der Familie schafft die ProduzentInnen und KonsumentInnen. Damit erfüllt der Familie eine Funktion als unverzichtbaren Bestandteil frühkapitalistischer Produktionsverhältnisse. Jedoch besteht heute, nach der Ausdehnung der kapitalistischen Produktionsweise im Zusammenhang mit der Erweiterung und Steigerung der Produktion, keine unbedingte Notwendigkeit mehr für die heterosexuelle Familie zur Aufrechterhaltung der Herrschaft des Kapitals. Sie erfüllt aber heute noch eine prägende gesellschaftliche Disziplinierungsfunktion, und in den Zeiten der Krisen wird diese Funktion aktualisiert.

Selbstverständlich hat der Überbau des Kapitalismus mit der Geschichte der organisierten LGBT-Bewegung Änderungen erlebt. In vielen Ländern haben die LGBT-Menschen Errungenschaften erzielt und ihre Rechte erkämpft. Doch die Diskriminierung von Homosexuellen ist nicht überwunden, denn die Gleichstellung ist nicht vollständig verwirklicht. Die herrschende Klasse hat nur die dem System angepassten Homosexuellen integriert. Noch heute wird vielen LGBT-Menschen eine geregelte Lohnarbeit verwehrt. Viele Arbeitsstellen und Institutionen bleiben ihnen verschlossen.

Auch die Diskriminierungen von Homosexuellen an den Arbeitsplätzen bringen die LGBT-Menschen oft in die Isolation. Ihnen bleibt teils nur ungeregelte Sexarbeit, die noch unmenschlicher als normale Lohnarbeit ist, und dabei gewerkschaftlich noch weitaus schlechter organisiert ist. Es ist kein Zufall, dass der Druck auf LGBT-Menschen in den Zeiten der kapitalistischen Krise steigt. Wenn die ArbeiterInnenklasse und die benachteiligten Teilen der Gesellschaft sich organisieren, setzt die herrschende Klasse als letzte Methode auf die faschistische Karte, einerseits um die organisierten ArbeiterInnenbewegungen zu zerschlagen, andererseits um ihre „Ordnung“ zu befestigen. Die in den Krisenzeiten gestärkten faschistischen Gruppierungen greifen gezielt LGBT-Menschen an. Die faschistische griechische Partei Chrysi Avgi ist eine solche Erscheinung.

Um den Kapitalismus zu überwinden, müssen die Lohnabhängigen aller Länder mit den unterdrückten Teilen der Gesellschaft eine Einheit bilden, denn nur vereint kann der Kapitalismus besiegt werden! In Betrieben, Schulen und Straßen muss die Homophobie und der Heterosexismus thematisiert und bekämpft werden! Nur die sozialistische Revolution kann die Grundlagen für eine wirkliche Gleichberechtigung verschiedener sexueller Lebensweisen ermöglichen! Sofortige Wiedereinstellung von Halil Ibrahim Dinçdağ als Schiedsrichter!

Fußnoten

[1]. Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender.

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