G20, PepsiCo und die Frage der Militanz

30.08.2017, Lesezeit 6 Min.
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Mögen auch die Diskussionen über die Gewalt bei den G20-Protesten nach über sieben Wochen etwas nachgelassen haben, so ist es sicher, dass Fragen der Gewalt und Militanz bei den nächsten Massenprotesten wieder in der Vordergrund rücken werden. Der heroische Kampf der Arbeiter*innen von PepsiCo in Argentinien liefert dabei wichtige Aspekte, die in der Diskussion in Deutschland vernachlässigt werden. Denn nicht jeder Steinregen auf Polizeikräfte ist gleich: es kommt auf die Wetterlage an.

Nachdem sich nun alle Polizeibehauptungen als blanke Lügen herausgestellt haben, ist es an der Zeit, in Ruhe die Ereignisse Revue passieren zu lassen und eine Bilanz zu ziehen. Besonders der Freitag Abend im traditionell linken Hamburger Viertel Sternschanze wurde kontrovers diskutiert. Bürgerliche Politiker*innen wie Katharina Barley (SPD) malten mit dem Schrecken der Ereignisse den Teufel an die Wand, indem sie etwa erklärten, dass die Ausschreitungen eine neue Qualität erreicht hätten. Als besonderes Beispiel diente dabei die Situation um den Neuen Pferdemarkt, wo einige Menschen über das Baugerüst auf das Dach kletterten und angeblich vorhatten, von oben aus die Polizei mit Steinen und Molotow-Cocktails anzugreifen. Unter anderem sei dies der Grund dafür gewesen, warum sich die Polizei für vier Stunden nicht in das Viertel traute und warum sogar einige Einheiten sich weigerten, den Vormarsch anzutreten. Die Situation wurde als so bedrohlich dargestellt, dass am Ende hochgerüstete paramilitärische Einheiten des SEK anrücken mussten, die dabei sogar eine Schussfreigabe hatten.

In der argentinischen Hauptstadt verteidigten die Arbeiter*innen von PepsiCo ihre besetzte Fabrik Stunden lang gegen die Polizei: mit brennenden Barrikaden und allerhand Wurfgeschossen von den Dächern der Fabrik.

In Hamburg es gelang ihnen relativ schnell, die Häuser am Schulterblatt zu räumen und weitere Wohnungen ohne Widerstand zu durchsuchen. Spätere Aufnahmen zeigten, dass, bis auf einen nicht explodierenden Böller, gar keine Gegenstände heruntergeworfen wurden. Dass nicht einmal alle auf dem Baugerüst festgenommenen Aktivist*innen waren, sondern auch vier russische Journalist*innen eingesperrt wurden. Dennoch reichten diese Lügen, um seitens der bürgerlichen Medien Hetze gegen Aktivist*innen zu betreiben und weitere Aufrüstung der Polizei zu rechtfertigen.

Sinn und Zweck

Ganz abgesehen davon, dass auch in Deutschland schon Steine und andere Gegenstände von Dächern aus im Kampf gegen die Polizei geschmissen wurden (wie etwa in den berühmten Häuserkämpfen in der Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain), besagt diese Aktion an sich zunächst nicht viel. Doch von wem und warum werden sie geschmissen? Gegen einen hochgerüsteten Staatsapparat, der mit Faschist*innen zusammenarbeitet und jeden Tag Menschen in den Tod abschiebt, ist Widerstand legitim. Der Widerstand kann verschiedene Formen annehmen und dabei auch Barrikaden und Häuserkämpfe beinhalten, aber vom Standpunkt des revolutionären Marxismus ist der Widerstand niemals losgelöst von den taktischen und strategischen Fragen des Klassenkampfes zu betrachten. Schon gar nicht sind diese Kampfformen Zwecke an sich. Sie sind vielmehr ein Zweck für sich zum Ziel.

Anhand der Barrikaden lässt sich dies am besten verdeutlichen: In der Pariser Kommune 1871 ein unverzichtbarer militärisch-taktischer Bestandteil des Kampfes gegen die Versailler Konterrevolution, war sie schon Ende des 19. Jahrhunderts zu diesem Zeitpunkt von den Marxist*innen verworfen, da die neuen Kampfformen der Massenstreiks am Horizont zu sehen waren. Friedrich Engels kritisierte zu Recht die alten anarchistischen Doktrinär*innen, die immer noch dem „Barrikadenfetischismus” anhingen. Ähnliches analysierte auch Wladimir Lenin in seinen Überlegungen zum Partisanenkrieg.

Für uns stellt sich also in erster Linie nicht die Frage, ob Barrikaden und Kämpfe von Dachhäusern aus per se gerechtfertigt sind, sondern welchen Zweck sie verfolgen und ggf. welche Stellung im Kampf sie verteidigen sollen. In der Sternschanze dienten sie einem defensiven Zweck, um die Polizei zurückzuhalten und ihr Vorrücken zu erschweren. Ein gerechtfertigter und vor allem verständlicher Akt, wenn mensch den schier endlosen Polizeiterror bedenkt.

Allerdings konnte nie davon die Rede sein, dass die Barrikaden die Staatsgewalt permanent aus der Sternschanze halten sollten. Ebenso lag dort keine Bastion, die aufgrund ihrer bedeutenden Rolle im Klassenkampf verteidigt werden sollte. Das ist jedoch bei einem Beispiel aus Buenos Aires ganz anders und dort zeigt sich auch der politisch-qualitative Unterschied in den jeweiligen Kämpfen.

Das Beispiel PepsiCo

Die politische Bedeutung dieses Kampfes, wo ein imperialistisches Unternehmen eine ganze Fabrik verlagern will, reicht so weit, dass in Buenos Aires 30.000 Menschen aus Solidarität zu den kämpfenden Arbeiter*innen auf die Straße gingen. Es sind 250 Arbeiter*innen, die sich gegen einen multinationalen Konzern mit zehn Milliarden US-Dollar zur Wehr setzen und gemeinsam mit etlichen Unterstützer*innen alle Mittel anwendeten, dass es nicht zur Räumung der Fabrik kam. Es war eine harte Schlacht, die von beiden Seiten mit allen Mitteln durchgeführt wurde. Ja, hier hatten Arbeiter*innen tatsächlich Dutzende Barrikaden errichtet, hier waren tatsächlich Arbeiter*innen auf dem Dach der Fabrik und warfen mit Gegenständen auf die Polizei, die erbarmungslos mit Schlagstöcken und Tränengas vorrückte.

Ein Kampf, der nicht nur um die Lebensgrundlagen der militanten Arbeiter*innen geht, sondern um die Moral der nationalen wie internationalen Arbeiter*innenklasse. Seit der neoliberale Präsident Mauricio Macri 2015 die Macht übernahm, hat es sage und schreibe 200.000 Entlassungen gegeben, aber es waren die Arbeiter*innen von PepsiCo, die sich mit einer solchen Militanz gegen diese schamlosen Attacken zur Wehr setzten. Und das vollkommen zu Recht, denn „[w]ir sind aber gewohnt, Angriffe nicht mit einer Verteidigung, sondern mit einem Gegenangriff zu beantworten” so Lenin in Was tun?.

Hier ging es um eine konkrete Stellung im andauernden Krieg der Klassen; hier geht es darum, dass revolutionäre Arbeiter*innen entlassen werden sollen, weil ihre politische Arbeit sich wie ein Lauffeuer unter der Arbeiter*innenschaft ausbreitet.

Die zwei Beispiele sollen also auf keinen Fall gegeneinander ausgespielt werden, sondern verdeutlichen, welchen unterschiedlichen politischen Charakter sie haben und zu welchem Zweck Barrikaden und Häuserkämpfe am meisten Sinn haben. Obwohl also beide Ereignisse nicht auf derselben Stufe stehen, bilden sie beide eine unverzichtbare Lektionen für die Ausgebeuteten und Unterdrückten im Kampf um ihre Befreiung.

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