Frauenwahlrecht in Saudi-Arabien: Ein Schritt aus der Unterdrückung?

21.12.2015, Lesezeit 4 Min.
Gastbeitrag

Am vergangenen Sonntag durften Frauen in Saudi-Arabien zum ersten Mal an Wahlen teilnehmen. Es war der letzte Staat weltweit, der Frauen dieses Recht untersagte. Befindet sich das Land auf dem Weg in die Emanzipation?

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Der neue saudische König Salman ibn Abd al-Aziz machte sich gleich zu Beginn seiner Herrschaft im Januar 2015 bekannt für Reformen. Kurz nach Amtsantritt änderte er die komplizierte Thronfolge, die selbst bei monarchieversierten Bunte-Leser*innen für Verwirrung sorgen sollte. Zudem behielt er eine Reform aus dem Jahr 2011 bei, die sein Vorgänger und Halbbruder Abdullah verabschiedet hatte: Frauen durften demnach am vergangenen Sonntag zum ersten Mal das aktive und passive Wahlrecht bei den Gemeinderatswahlen ausüben.

Saudi-Arabien war der letzte Staat weltweit, der Frauen dieses Recht untersagte. Am Sonntag traten unter den fast 7.000 Kandidat*innen für die 2.100 Sitze in den Gemeinderäten 979 Frauen an. 20 von ihnen wurden gewählt. In der absoluten Monarchie sind diese Räte die einzigen Gremien, die (teilweise) gewählt werden, wobei ein Drittel der Mitglieder vom König ernannt wird. Deren Befugnisse gehen kaum über die Gestaltung von Grünanlagen und den Straßenbau hinaus.

Leben unter männlicher Vormundschaft

Frauenrechte sind in Saudi-Arabien, das einer strengen, wahabitische Auslegung der Scharia untersteht, stark eingeschränkt. Kaum eine Aktivität können sie ohne die Zustimmung eines männliches Verwandten unternehmen: arbeiten, studieren, Auto fahren, reisen, einen Personalausweis beantragen oder zum Arzt gehen. Zudem müssen alle Frauen in der Öffentlichkeit einen Gesamtkörperschleier tragen (für Angela Merkel wird bei ihren Besuchen eine Ausnahme gemacht).

Diese Einschränkungen wirkten sich auch auf das Wahlrecht aus: Frauen, die zur Wahl antraten, konnten nicht mit dem Auto zu Wahlveranstaltungen fahren und durften nicht selbst Reden halten, sondern mussten einen Mann für sie sprechen lassen. Zur Wahl konnten sich Frauen nur mit Zustimmung eines Vormunds registrieren lassen, viele besitzen den dafür nötigen Personalausweis nicht.

Treuer Partner des Westens

Frauenrechte waren eine zentrale Forderung des Arabischen Frühlings, von dem in Saudi-Arabien wenig zu spüren war. Dennoch sah sich König Abdullah wegen der Bewegungen in anderen arabischen Staaten zu gewissen Zugeständnissen gezwungen: neben höheren Wohlfahrtsstaatsleistungen billigte er auch das Wahlrecht für Frauen. Damit wollte er nach innen Druck auslassen und sich nach außen als reformorientiert darstellen. Die kleine Reform was also Folge einer massenhaften Bewegung. Ohne ein solche Bewegung sind weitere Schritte wohl kaum zu erwarten.

Indes interessieren sich westliche Staaten wenig für die saudischen Verletzungen von Frauenrechten, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Zwar wurde dem saudischen Blogger Raif Badawi, der zu zehn Jahren Haft und 1.000 Peitschenhieben verurteilt wurden, vor kurzem der Sacharow-Preis des EU-Parlaments zugesprochen. Zu anderen Themen hält sich der Westen jedoch bedeckt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach bei seinem Besuch in Saudi-Arabien im Oktober Menschenrechtsfragen nicht an.

Bei anderen Staaten dienen Frauenrechte als Argument für militärische Interventionen – so wurde unter anderem der Krieg gegen Afghanistan verkauft –, doch Saudi-Arabien ist ein guter und wichtiger Partner der USA und der Europäischen Union. Zum einen als Wirtschaftspartner, Ölliferant und Abnehmer von Rüstungsexporten. Zum anderen als Handlanger für westliche Interessen im Nahen Osten und seit neustem wichtiger Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat.

Perspektiven saudischer Frauen

Die Frage bleibt, ob das neue Wahlrecht als kleiner Schritt aus der Unterdrückung oder als reine PR-Farce des Regimes anzusehen ist. Von einigen westlichen Medien wurde die Reform wegen der weiteren bestehenden Einschränkungen als zu vernachlässigen angesehen. Viele saudische Frauen bewerten die Wahlen jedoch als positiv und argumentieren, dass es ein weiterer Schritt in die männlich dominierte Öffentlichkeit ist.

Doch sollte das Zugeständnis nicht über die weiterhin harsche Unterdrückung hinwegtäuschen. Saudische Frauenrechtlerinnen kritisieren zudem die Berichterstattung aus westlicher Perspektive über sie, in der sie meist als Opfer dargestellt werden und weisen auf Errungenschaften hin, die Frauenkämpfe erreicht haben: Jurastudentinnen erkämpften die Zulassung als Anwältinnen, Studentinnen erreichten die Zugang zu Studiengängen, die bisher Männer vorenthalten waren.

Seit über zwei Jahren setzen sich Frauen trotz Fahrverbot hinters Steuer und posten Videos davon auf Youtube. Dabei stellen sie öffentlich das Bild von der passiven, ans Haus gebunden Frau in Frage.

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