FIFA-Gier: 6.500 migrantische Arbeiter:innen sterben für die Fußball-WM 2022

26.02.2021, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Noushad Thekkayil / Shutterstock.com

Laut Berichten der Zeitung The Guardian starben auf den Baustellen für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022, die in Katar ausgerichtet wird, mehr als 6.500 Arbeitsmigrant:innen.

Die Länder am Persischen Golf sind dafür bekannt, dass sie Arbeitsmigrant:innen für Bau- und andere Arbeiten unter einem System namens „Kafala“ anheuern unter sklavenähnlichen Zuständen. Seit Katar vor 10 Jahren als Austragungsort der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 auserkoren wurde, sind mehr als 6.500 Wanderarbeiter:innne aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka auf den Baustellen der Infrastruktur gestorben, wie die britische Zeitung The Guardian enthüllte.

Im Dezember 2010 feierten die Menschen auf den Straßen Dohas die Wahl Katars als Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft 2022. Die aus Regierungsquellen zusammengetragenen Ergebnisse machen deutlich, dass seitdem jede Woche durchschnittlich 12 Wanderarbeiter:innen aus diesen fünf südostasiatischen Nationen gestorben sind.

Daten aus Indien, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka ergaben, dass es im Zeitraum 2011-2020 5.927 Todesfälle unter Wanderarbeiter:innen gab. Unabhängig davon berichteten Daten der pakistanischen Botschaft in Katar über weitere 824 Todesfälle von pakistanischen Arbeiter:innen zwischen 2010 und 2020.

Laut The Guardian ist die Gesamtzahl der Todesfälle mit Sicherheit deutlich höher, da diese Zahlen nicht die Todesfälle der Arbeiter:innen aus Ländern wie den Philippinen und Kenia beinhalten, die ebenfalls Arbeiter:innen entsenden. Sie enthalten auch keine Todesfälle, die in den letzten Monaten des Jahres 2020 aufgetreten sind.

In den letzten zehn Jahren hat Katar ein beispielloses Bauprogramm in Angriff genommen, größtenteils in Vorbereitung auf das Fußballturnier 2022. Neben sieben neuen Stadien wurden Dutzende von Großprojekten fertiggestellt oder sind in Arbeit, darunter ein neuer Flughafen, Straßen, öffentliche Verkehrssysteme, Hotels und eine neue Stadt, die das WM-Finale ausrichten wird.

„Obwohl die Todesfälle nicht nach Beruf oder Arbeitsplatz geordnet sind, ist es wahrscheinlich, dass viele Arbeiter:innen, die starben, bei diesen WM-Infrastrukturprojekten beschäftigt waren“, sagt Nick McGeehan, Direktor von FairSquare Projects, einer Interessengruppe, die sich auf Arbeitsrechte in der Golfregion spezialisiert hat.

Es gab 37 Todesfälle unter Arbeiter:innen, die in direktem Zusammenhang mit dem Bau der WM-Stadien stehen, von denen 34 vom Organisationskomitee der Veranstaltung als „nicht arbeitsbedingt“ eingestuft werden. Expert:innen haben die Verwendung dieses Begriffs infrage gestellt, weil er in einigen Fällen zur Beschreibung von Todesfällen verwendet wurde, die sich am Arbeitsplatz ereigneten, darunter mehrere Arbeiter:innen die auf Stadionbaustellen zusammenbrachen und starben.

Die Ergebnisse entlarven Katars Versäumnis, die zwei Millionen Wanderarbeiter:innen (95 % der Arbeitskräfte des Landes) zu schützen oder gar die Ursachen für die hohen Todesraten unter den meist jungen Arbeiter:innen zu untersuchen (wenn sie sie nicht sogar vertuschen).

Hinter den Statistiken verbergen sich unzählige Geschichten von zerstörten Familien, die ohne ihre wichtigste Lebensgrundlage zurückgelassen wurden, die um eine Entschädigung kämpfen und die die wahren Ursachen für die Umstände des Todes ihrer Angehörigen nicht erfahren.

Ghal Singh Rai aus Nepal zahlte für seinen Job als Reinigungskraft in einem Camp für Arbeiter:innen, die das WM-Stadion in Education City bauen, fast 1.000 Pfund an Einstellungsgebühren. Eine Woche nach seiner Ankunft beging er Selbstmord. Ein weiterer Arbeiter, Mohammad Shahid Miah aus Bangladesch, erlitt in einer Unterkunft einen Stromschlag, nachdem Wasser in Kontakt mit freiliegenden elektrischen Leitungen gekommen war. In Indien hat die Familie von Madhu Bollapally nie verstanden, wie der gesunde 43-Jährige während seiner Arbeit in Katar eines „natürlichen Todes“ sterben konnte. Seine Leiche wurde auf dem Boden seines Schlafzimmers liegend gefunden.

Die erschreckende Zahl der Todesopfer in Katar zeigt sich in langen Listen mit offiziellen Daten, in denen die Todesursachen aufgelistet sind: multiple stumpfe Verletzungen durch einen Sturz aus großer Höhe; Erstickung durch Erhängen; unbestimmte Todesursache durch Verwesung aufgrund hoher Temperaturen. Aber unter den Ursachen sind die bei weitem häufigsten sogenannte „natürliche Todesfälle“, die oft auf akutes Herz- oder Atemversagen zurückzuführen sind.

Nach den Daten, die The Guardian erhalten hat, werden 69 Prozent der Todesfälle unter indischen, nepalesischen und bangladesischen Arbeiter:innen als „natürlich“ eingestuft. Allein bei den Inder:innen sind es 80 Prozent.

The Guardian berichtete zuvor, dass solche Klassifizierungen, die in der Regel ohne eine Autopsie vorgenommen werden, oft keine legitime medizinische Erklärung für die Ursache dieser Todesfälle liefern.

Im Jahr 2019 stellte die Zeitung fest, dass die intensive Sommerhitze in Katar wahrscheinlich ein wesentlicher Faktor für den Tod vieler Arbeiter:innen ist. Die Ergebnisse des Guardian wurden durch eine von der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen in Auftrag gegebene Untersuchung gestützt, die herausfand, dass Arbeiter:innen während mindestens vier Monaten im Jahr erheblichem Hitzestress ausgesetzt sind, in denen sie bei Temperaturen von über 50 Grad im Freien arbeiten und dabei bis zu 16 Stunden am Tag.

Die katarische Regierung bestreitet die Anzahl der Todesfälle nicht, rechtfertigt sie jedoch damit, dass sie der Anzahl der Arbeiter:innen entsprechend hoch sei und zudem die Zahlen der Angestellten einschließen, die auf natürliche Weise gestorben sind, nachdem sie viele Jahre in Katar gelebt haben.

Weitere Haupttodesursachen bei Inder:innen, Nepales:innen und Bangladescher:innen sind Verkehrsunfälle (12 Prozent), Arbeitsunfälle (7 Prozent) und Selbstmord (7 Prozent).

Die durch Covid verursachten Todesfälle, die in Katar extrem niedrig geblieben sind, haben die Zahlen mit etwas mehr als 250 Todesfällen unter allen Nationalitäten nicht wesentlich beeinflusst.

Die Untersuchung von The Guardian hat auch den Mangel an Transparenz, Strenge und Detailgenauigkeit bei der Erfassung von Todesfällen in Katar aufgezeigt. Die Botschaften in Doha und die Regierungen der Länder, die Arbeitskräfte entsenden, zögern mit der Weitergabe von Daten, möglicherweise aus politischen Gründen. Wo Statistiken zur Verfügung gestellt wurden, gibt es Unstimmigkeiten zwischen den Zahlen der verschiedenen Regierungsbehörden und es gibt kein Standardformat für die Aufzeichnung von Todesursachen. Eine südasiatische Botschaft sagte, sie könne keine Daten über Todesursachen weitergeben, weil „sie von Hand in einem Notizbuch aufgezeichnet wurden“.

Das Organisationskomitee der Fußballweltmeisterschaft in Katar sagte auf die Frage nach Todesfällen bei Stadionprojekten: „Wir bedauern alle diese Tragödien zutiefst und haben jeden Vorfall untersucht, um sicherzustellen, dass Lehren daraus gezogen werden. Wir haben in dieser Frage immer Transparenz gewahrt und bestreiten unzutreffende Behauptungen über die Zahl der bei unseren Projekten gestorbenen Arbeiter.“

In einer Erklärung sagte ein Sprecher des Weltfußballverbandes FIFA, dass er sich voll und ganz für den Schutz der Rechte der Arbeiter:innen bei FIFA-Projekten einsetzt. „Dank der sehr strengen Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen … ist die Unfallhäufigkeit auf den Baustellen der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft im Vergleich zu anderen großen Bauprojekten auf der ganzen Welt gering.“

Die Untersuchungen enthüllen jedoch die traurige Realität der Wanderarbeiter:innen in Katar und aus allen Nachbarländern. Aber nicht nur das, sondern auch das lukrative Fußballgeschäft, das auf dem Rücken von Tausenden von hyperausgebeuteten Arbeiter:innen ausgetragen wird, nicht nur in Katar, sondern bei jeder offiziellen Veranstaltung auf globaler Ebene.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Spanisch am 23. Februar 2021 auf La Izquierda Diario.

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