Ex-Verfassungsschützer referiert nahe NSU-Tatort über Rechtsterrorismus

09.11.2022, Lesezeit 4 Min.
Gastbeitrag

Ein ehemaliger Referatsleiter des Bereichs Rechtsextremismus des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) trat am vergangenen Montag bei einer Ringvorlesung an der Universität Kassel auf. Das ist ein Skandal.

1
Quelle: Shutterstock (Matej Kastelic)

Keinen Kilometer entfernt von dem Ort, an dem Halit Yozgat vom NSU ermordet wurde, referierte ein ehemaliger Verfassungsschützer über Rechtsterrorismus. Was zynisch klingt, ist in Kassel am 31.10. tatsächlich so geschehen. Im Rahmen der Ringvorlesung zum Thema Rechtsterrorismus an der Universität Kassel war bei der ersten inhaltlichen Sitzung der Soziologe und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber als Referent eingeladen. Die ersten beiden Sitzungen sollen dabei den Begriffsrahmen und die Hintergründe des Rechtsterrorismus klären.

Pfahl-Traughber ist Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung des Bundes und war von 1994 bis 2004 Referatsleiter Rechtsextremismus beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Bei den Teilnehmenden der Vorlesung kam der Referent nicht gut an. Über 10 Jahre lang war er als Referatsleiter maßgeblich für den Bereich Rechtsextremismus im Verfassungsschutz verantwortlich, also jener Institution, die Halit Yozgats Leben mit auf dem Gewissen hat. Im Rahmen des Vortrages erwähnte Pfahl-Traughber häufiger das Handeln der RAF, als auf die Mord-Serie des NSU einzugehen. Dies vermittelt eine Gleichsetzung von links- und rechtsextremistischen Taten und verstärkt das Bild der „Hufeisentheorie“. Auf kritische Nachfragen aus dem Publikum ging der Referent nicht ein. Stattdessen referierte er, dass es durchaus möglich sei, dass der Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme den Mord an Halit Yozgat nicht mitbekommen haben könnte, obwohl dies bereits von Forensic Architecture widerlegt wurde.

Die „Hufeisentheorie“, “wissenschaftlich” Extremismustheorie genannt, zeichnet sich durch eine Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus aus. Beide Phänomene sind demnach zwei Seiten derselben Medaille. Auch auf dieser Theorie basiert die Arbeit von staatlichen Institutionen wie dem Verfassungsschutz. Zudem hat der Verfassungsschutz eine historische Kontinuität zum Hitler-Faschismus, sowohl anfangs personell als auch in seiner Arbeitsweise gegen Linke. Wenn man sich den Rechtsterrorismus der letzten 30 Jahre in Deutschland (NSU, Hanau, Halle, etc.) ansieht, ist diese Theorie für die praktische Arbeit nicht nur weitestgehend unbrauchbar – sie ist offen reaktionär. Es wird eine Ideologie, die sechs Millionen Jüd:innen auf dem Gewissen hat, mit linken Strömungen, die die Menschheit vom Kapitalismus und seiner Unterdrückung befreien wollen, gleichgesetzt. Außerdem ist diese Theorie in wissenschaftlichen Kreisen sehr umstritten, da die Analysemöglichkeiten sehr begrenzt sind. Sie wird jedoch stetig reproduziert, da staatliche Institutionen auf ihrer Basis arbeiten und die Forschung in diesem Bereich weiter fördern und finanzieren. Dass der Verfassungsschutz von Rechten durchsetzt ist und Nazi-Terror-Banden wie den NSU finanziert, zeigt, wie verlogen diese Theorie ist. Nicht die „Demokratie“ der „Mitte“, sondern die Wirtschaftsinteressen des Staates und der Superreichen werden verteidigt.

Dass ein Vertreter dieser Ideologie als Grundstein dieser Vorlesung eingeladen wurde, ist falsch und hätte den Organisator:innen der Ringvorlesung schon in der Planung bewusst sein müssen. Deshalb muss darüber gesprochen werden, wie die Universität organisiert ist. Lehrpläne und Ringvorlesungen sollten von Studierenden und Lehrenden zusammen erarbeitet werden.

Pfahl-Traughber war hauptverantwortlich für den Bereich Rechtsextremismus, als der NSU bereits mordend durch Deutschland zog. Der Verfassungsschutz finanzierte den NSU mit und verfolgte auch klare Hinweise auf den NSU nicht, wie die Veröffentlichungen der hessischen NSU-Akten zeigen. Als damaligen Referatsleiter trifft auch Pfahl-Traughber eine Mitschuld. Die Organisator:innen hätten Pfahl-Traughbers erst gar nicht einladen sollen. Statt einen Repräsentant jener Institution, die Halit Yozats Leben mit auf dem Gewissen hat, einzuladen, sollten Wissenschaftler:innen referieren, die seriös zu dem Mord an Halit geforscht haben. Es gibt spannende Forschungen, die belegen, dass der Verfassungsschützer Temme den Mord mitbekommen hat. Warum gibt es keine offene Diskussion, welche Konsequenzen man daraus ziehen muss? Oder welche strukturelle Verbindung es zwischen staatlichen Institutionen wie dem Verfassungsschutz und rechten Terrorist:innen gibt? Der Vortrag von Pfahl-Traughbers muss jetzt auf jeden Fall kritisch aufgearbeitet und eingeordnet werden, sonst lässt man nur die Mittäter:innen an dem NSU-Mord an Halit sprechen, nicht aber die Hinterbliebenen und diejenigen, die seinen Mord wirklich aufklären wollen.

Hochschulpolitische Gruppen der Uni Kassel haben deshalb einen offenen Brief verfasst und eine Petition gestartet.

Wir gedenken den Opfern des NSU:
Enver Şimşek
Abdurrahim Özüdoğru
Süleyman Taşköprü
Habil Kılıç
Mehmet Turgut
İsmail Yaşar
Theodoros Boulgarides
Mehmet Kubaşık
Halit Yozgat

Mehr zum Thema