„Es wird vielerorts Tarifflucht betrieben“

13.09.2016, Lesezeit 5 Min.
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Beschäftigte des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin-Dahlem stehen kurz vor Ende ihres Arbeitskampfes. Ein Gespräch mit Lukas Schmolzi, Techniker und ver.di-Mitglied am Botanischen Garten in Berlin.

Seit anderthalb Jahren kämpft ihr dafür, dass das Prinzip „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ im Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin-Dahlem gelten soll. Nun habt ihr eine mündliche Zusage. Wie lief die Auseinandersetzung bisher?

Wir erhielten viel Unterstützung von Besucher*innen des Gartens, von Studierenden der Freien Universität und verschiedenen Organisationen. Sogar Gregor Gysi und Petra Pau von der Partei Die Linke schickten uns Solidaritätsbotschaften. Unser Alltag ist inzwischen geprägt von Protestaktionen, Teilnahmen an Aktionsbündnissen und Besuchen bei Politiker*innen. Die Streiks haben unsere Solidarität untereinander verstärkt und die Öffentlichkeit auf unsere Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht.

Also ein Erfolg auf ganzer Linie?

Die ungleiche Bezahlung besteht bis heute. Wir von der Betriebsgesellschaft, einer 100-prozentigen Tochter der Freien Universität, verdienen bis zu 42 Prozent weniger als unsere Kolleg*innen. So führen Gärtner*innen die gleichen Tätigkeiten direkt nebeneinander aus. Aber die, die bei der Tochterfirma angestellt sind, verdienen 37 Prozent weniger als die, die einen Vertrag direkt mit der Hochschule haben.

Kurz vor Weihnachten wurde uns als Reaktion auf unsere Forderungen mit Kündigung gedroht. Wir haben erlebt, wie zwei Mitarbeiter*innen im Besucherservice von dem damaligen Kanzler der FU im ersten Sondierungsgespräch als „ehrenlos“ beschimpft wurden. Die Situation eskalierte: Ende März 2016 hatte die Betriebsgesellschaft Beschäftigte aufgefordert, zu Hause zu bleiben und die Schlüssel abzugeben. Dies dürfte der traurige Höhepunkt des Tarifstreits gewesen sein und hatte die Wirkung einer simulierten Massenentlassung.

Jetzt steht ihr kurz vor einem Sieg. Was ist die Grundlage?

Ich bin sehr vorsichtig mit mündlichen Zusagen uns gegenüber geworden. Wir wissen von anderen Arbeitskämpfen, dass diese manchmal auch aus taktischem Kalkül gemacht werden. Doch man kann sagen: Wir haben das Zugeständnis über eine schrittweise Heranführung an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder bis 2020 erhalten.

Erfolgreich sind wir aber erst dann, wenn unser Tarifvertrag unterschrieben ist und umgesetzt wird. Ich bin der Meinung, dass sich die Zeiten geändert haben. Heutzutage geht es bei einem Arbeitskampf nicht nur darum, wieviel Prozentpunkte mehr Lohn man künftig bekommt. Die Herausforderung liegt darin, überhaupt in Verhandlungen zu kommen. Es wird vielerorts Tarifflucht betrieben. Nicht selten flankieren Arbeitgeber tarifliche Auseinandersetzungen mit weiteren Ausgründungen.

Warum habt ihr noch nichts Schriftliches?

Der Kommunale Arbeitgeberverband, KAV, möchte sich noch eine Expertise bei der Handelskammer einholen, ob die Stelle in unserer Kfz-Werkstatt eine Meisterqualifikation erfordert. Wir vertreten die Ansicht, dass dies erforderlich ist, nicht nur aus Sicherheitsgründen. Laut KAV soll es möglich sein, dass der Betriebsleiter die Sicherheitsabnahmen durchführt. Dass eine Expertise von dritter Stelle eingeholt werden muss, hat uns sehr verwundert – schließlich hat der KAV täglich mit Eingruppierungen zu tun. Außerdem wurde uns während der Verhandlungen ein neuer Rahmentarifvertrag vorgelegt, den wir in der Kürze der Zeit sowohl rechtlich als auch inhaltlich nicht vollständig prüfen konnten. Geprüft werden muss jetzt auch, ob durch eine neue Änderung im Geltungsbereich der Personenkreis eingeschränkt wurde, für den der Tarifvertrag gültig ist. Am Ende der Verhandlungen wurde uns mitgeteilt, dass der Entgelttarifvertrag nur unterschrieben wird, wenn dem Arbeitgeberentwurf des Rahmentarifvertrags zugestimmt wird. Also auch wenn das Wesentliche geklärt ist, verzögert die Gegenseite den Abschluss.

Warum?

Das kann ich leider nicht sagen. Dies stößt jedenfalls bei der Belegschaft auf absolutes Unverständnis und auch Wut. Es herrscht ja inzwischen seit 45 Monaten ein tarifloser Zustand. Die mit der Gegenseite abgestimmte Version des Entgelttarifvertrags wurde in einer Mitgliederbefragung zu 100 Prozent befürwortet.

In vielen Berliner Landesunternehmen existieren prekäre Beschäftigungsverhältnisse über ausgegliederte Tochterfirmen, etwa bei der Charité, Vivantes, dem Technikmuseum. Wie steht ihr dazu?

Ich habe die Arbeitskämpfer*innen aus den Berliner Krankenhäusern kürzlich bei einer Solidaritätsveranstaltung erlebt. Sie sind hervorragend organisiert und sehr zielstrebig. Ich denke, diese Arbeitskämpfe haben die volle Rückendeckung der Berliner*innen – schließlich kann man ja immer selbst in einer dieser Kliniken landen.

Was rätst du anderen prekär Beschäftigten im Land Berlin?

Man sollte sich niemals wegen etwaigen Zusagen von seinem Kurs abringen lassen. Jeder Arbeitskampf hat etwas sehr eigenständiges und ist im Lauf der Zeit unter Druck gewachsen. Schon deshalb sollte man die Vorgehensweise beibehalten und sich treu bleiben. Wenn die Gegenseite blockiert, kann die Zeit genutzt werden, um in die Breite zu wachsen. Die innerbetriebliche Mobilisierung läuft am besten, wenn die Gegenseite mauert. So hat alles sein Gutes und die Devise heißt immer weiter machen und niemals aufgeben.

Dieses Interview in der jungen Welt vom 13. September 2016.

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