„Es ist Zeit, dass alle Rettungsschwimmer:innen in Berlin sich ver.di anschließen und streiken gehen.”

01.09.2022, Lesezeit 9 Min.
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Foto: shutterstock.com / Microgen

Paul Schuster ist Rettungsschwimmer und Leiharbeiter in Schwimmbädern in Berlin. Im Gespräch erzählt er über die mangelnde Entlohnung, wie private Schwimmbäder unter Mindestlohn bezahlen und die Auswirkungen der Inflation und Gaskrise auf seinen Job und ihn persönlich.

 

Interview mit Paul Schuster*

In welchem Berliner Schwimmbad bist du angestellt und wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Ich bin Leiharbeiter. Das heißt, ich werde zu allen möglichen Schwimmbädern der Berliner Bäder Betriebe geschickt, um Schichten zu übernehmen. Mein Arbeitsalltag beginnt in der Regel 48 bis 24 Stunden vor der eigentlichen Schicht, denn so viel Zeit im Voraus bekomme ich Schichten zugeteilt, die ich entweder annehmen oder ablehnen kann. Wenn man wirklich dringend eine Schicht braucht, dann nimmt man alles. Selbst wenn das Schwimmbad eine Stunde entfernt ist und die Schicht um 6:30 anfängt, nimmt man die Schichten an. Aus dem Grund, dass man auf die Schichteinteilung angewiesen ist, sind die meisten Kolleg:innen entweder Schüler:innen oder Student:innen, oder haben einen zweiten, genauso prekären Job. Manchmal kommen viele Schichten rein oder manchmal gar keine. Was die Arbeit selbst angeht, ist es im Sommer und während der Schulferien ziemlich anspruchsvoll, weil wir dann wenig Kollegen:innen gegenüber eine sehr hohen Menge an Besucher:innen sind. Da kommen aber während der Zeit die meisten Schichten. Und genau das Gegenteil ist während der Schulzeit der Fall. Weniger Schichten werden angeboten, und dafür ist die Arbeit entspannter und wir haben genug Rettungsschwimmer:innen für die Menge an Besucher:innen. In der Regel bekommt man eine Schicht, die 7 oder 8 Stunden lang ist. Dazwischen eine halbe Stunde Pause. Wenn man Pech hat, bekommt man eine 4 Stunden Schicht und keine Pause.

Welche Unterschiede ergeben sich dadurch, dass du in der Leiharbeit angestellt bist, gegenüber deinen festangestellten Kolleg:innen?

Zunächst wird man weniger bezahlt. Als Einsteiger:in als Rettungsschwimmer:in bei den Berliner Bäder Betrieben bekommt man ungefähr 15€ der Stunde, wir dagegen nur 12€ die Stunde. Wenn man genauer in den Tarifvertrag guckt, sieht man, dass Rettungsschwimmer:innen mit mehr Erfahrung noch mehr verdienen können. Das gibt es aber gar nicht in der Leiharbeit. Es gibt keinen Tarifvertrag und keine Entlohnung der bisherigen Erfahrungen als Rettungsschwimmer:in. Zweitens, sehen einen die Festangestellten erstmal als nicht so erfahren an, wenn sie einen noch nicht kennen. Dieses Stigma bekommt man immer am Anfang, und es wird ab und zu so getan, als müsste man sich beweisen. Also bekommt man oft Sachen erklärt, die man schon hunderte Mal vorher erklärt bekommen hat, denn man ist immer bei einem neuen Schwimmbad erstmal „der Außenseiter“.

Einige der Berliner Schwimmbäder sind privatisiert, was zu verschiedenen Entlohnungen und Beschäftigungsfeldern führt. Kannst du uns dazu etwas erzählen?

Gerne. In den öffentlichen Bädern hat man die Festangestellten, die nach Tarifvertrag bezahlt werden, sowie die Leiharbeiter:innen, bei denen dies nicht der Fall ist. Aber in den öffentlichen Bädern wird man nie weniger als 12€ die Stunde bezahlt. Das ist aber nicht der Fall bei den privat verpachteten Bädern. Die haben nie Tarifverträge und bezahlen das absolute Minimum. Im Jahr 2020 wurde uns dort sogar gesagt, dass wir wegen der Pandemie den bundesweiten Mindestlohn bekommen sollen (damals 9,35€), denn letztendlich seien die Profite auch weniger als je zuvor. Ich zweifele aber daran, dass der Chef oder die Chefin dann auch weniger verdient hat. Fraglich ist, ob das rechtswidrig war, denn es gab in der Zeit ein Berliner Mindestlohngesetz, das selbst die privat verpachteten Bäder von der BBB betraf. 2021 wurde es auch nicht besonders besser für uns, denn die Entlohnung dort in den privatisierten Bädern des BBB ging nur von 9,35€ auf 10€ die Stunde hoch. Nach den Erfahrungen dort habe ich mich entschieden, mich von diesen Bädern fernzuhalten. Denn auch sämtliche Regeln, die in öffentlichen Bädern gelten, gelten dort nicht. Am schlimmsten ist, dass die privatisierten Bäder Glasflaschen verkaufen dürfen, was eigentlich in einem Schwimmbad nicht passieren soll, denn die meisten Badegäste sind barfuß unterwegs. Ich musste dort unzählige Glasscherben aus Badegästen rausholen in den zwei Jahren, wo ich in privatisierten Sommerbädern vom BBB gearbeitet habe.

In einem Vorgespräch hast du davon berichtet, dass zum Teil Entlohnung unter Mindestlohn vorkommt. Wie ist das möglich?

Das ist so, weil für die Kolleg:innen in den privatisierten Sommerbädern dieser Job oft die erste Arbeitsstelle auf dem Arbeitsmarkt ist. Oft werden, vielleicht sogar gezielt, die 16 bis 18-Jährigen mit wenig Berufserfahrung in die privatisierten Bäder eingeladen. Die haben in der Regel wenig Ahnung vom Arbeitsrecht und denken erstmal, dass es normal ist, als Einsteiger:in so wenig zu verdienen. Auch wissen nur die wenigsten dort, dass es ein Mindestlohngesetz in Berlin gibt, das auch privatisierte Teile von landeseigenen Unternehmen betrifft. Unter §6 LMiLoG Bln haben, und hatten schon damals im Jahr 2020, die Beschäftigten in den privatisierten Bädern einen Anspruch auf einen höheren Mindestlohn. Das ist so, weil die Berliner Bäder Betriebe eine Anstalt des Öffentlichen Rechts sind und immer noch der Eigentümer von diesen privatisierten Sommerbädern sind. Die Bäder sind nur an deren Betreiber verpachtet und wurden nicht endgültig verkauft. Deshalb sind die Löhne dort oft rechtswidrig unter dem Berliner Mindestlohn. Und keiner macht was dagegen, denn die Informationspflicht der Arbeitgeber:innen aus §6 Abs. 2 LMiLoG Bln wird auch verletzt und keine:r, der:die dort arbeitet, ist in einer Gewerkschaft.

Laut einer Kampagne des DLRG sind in den letzten 17 Jahren jährlich 80 Schwimmbäder in Deutschland geschlossen worden. Wie macht sich das in Berlin bemerkbar?

Wir können es anhand dessen merken, dass viele Schwimmhallen in Berlin sanierungsbedürftig sind. Gerade wird die Schwimmhalle am Anton Saefkow Platz saniert, und das seit Januar 2022. Es würde mich nicht überraschen, wenn es eine Welle von Sanierungen oder sogar Schließungen geben würde. Wir können es auch daran merken, dass viele Hallenbäder im Sommer geschlossen werden, um Geld zu sparen. Was ist das Ergebnis? Die Freibäder sind an den heißen Tagen während der Schulferien überlastet.

Im Laufe dieses Sommers gab es mehrmals mediale Aufruhr aufgrund von Massenschlägereien in Schwimmbädern. Denkst du, diese haben einen Zusammenhang mit Schwimmbadschließungen und Personalentlassungen?

Dass es im Sommer 2022 nicht genug offene Schwimmbäder gab, ist sehr bemerkbar anhand der überlasteten Freibäder. Das war eine bewusste Entscheidung von der Berliner Bäder Betriebe Leitung und der Senatsverwaltung in Berlin, weniger Schwimmbäder im Sommer 2022 zu öffnen und weniger saisonale Rettungsschwimmer:innen und Sicherheitskräfte einzustellen. Das ist nichts mehr als eine neoliberale Sparpolitik, und das Ergebnis waren überbelastete Bäder und Personal sowie Stress und Schlägereien. Jetzt erst, nachdem es schon mehrere Schlägereien gab, wollen sie das Sicherheitspersonal aufstocken. Aber die Ursache war, dass es von Anfang an nicht genug Schwimmbäder für die Masse an Badegästen gab, und das haben sie auch danach nicht geändert.

Der Chef der Industrie- und Handelskammer hat letzten Monat vorgeschlagen, Schwimmbäder wegen des Gasmangels zu schließen. Was hältst du davon?

Das ist eine Frechheit. Schwimmbäder sind für Jugendliche und Senior:innen ein sehr wichtiger Treffpunkt für das soziale Miteinander und das Zusammenkommen. Es sind die Rentner:innen, die um 7 Uhr glücklich vor unseren Türen stehen, weil sie endlich was mit Freund:innen unternehmen können und raus aus dem Haus kommen können. Es sind die Jugendlichen, die zum Vereinstraining um 20 Uhr kommen um ihre Schwimmfähigkeiten mit Freund:innen zu verbessern. Wenn es keine Schwimmbäder im Winter geben würde, dann würden wir sicher einen Anstieg von psychischen Erkrankungen bei den Jugendlichen und Rentner:innen sehen. Die Jugendlichen werden sich auch öfters auf der Straße aufhalten und potenziell Straftaten begehen. Eine Alternative wäre, wenn die Duschen einen Temperaturdeckel hätten. Damit sparen wir Wasser und Heizkosten, und die Schlange für die Dusche wird kleiner. Denn aktuell ist es so, dass einige unsolidarische Badegäste sich sehr lange unter der Dusche aufhalten und andere warten müssen.

Im Juli erreichte die Inflation einen Rekordwert von 8,9%. Wie macht sich das für dich bemerkbar und reicht dir dein Lohn zum Leben aus?

Nein. Ich bin offiziell Vollzeitstudent und bekomme aber kein BAföG. Selbst wenn ich 16 Stunden in der Woche am Samstag und Sonntag arbeite, reicht der 12€ Stundenlohn nicht zum Leben aus. Ich bekomme nur 7-8 Stunden als Schicht bezahlt, und damit komme ich nur auf 748,80€ im Monat. Meine Lebenshaltungskosten sind aktuell bei 933€ im Monat. Und das ist noch wenig für Berliner Verhältnisse! Das bedeutet, dass ich nebenbei noch 2 selbständige Nebentätigkeiten habe und ich ständig meine Familie nach Geld fragen muss, um mir überhaupt das Leben leisten zu können. Das geht so nicht weiter! Meine Heizkosten haben sich schon um 83,5% erhöht, meine Lebensmittelkosten um circa 10%. Und das, obwohl ich die ganze Zeit versuche zu sparen mit Foodsharing Angeboten. Es ist Zeit, dass alle Rettungs­schwimmer:innen in Berlin sich ver.di anschließen und streiken gehen.

*Name geändert

 

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