Erdbeben in Europa

08.02.2015, Lesezeit 5 Min.
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// Für einen Kampf der Klasse statt einer Regierung der Hoffnung! //

„Das Undenkbare wird möglich.” So beschreibt der private Nachrichtendienst Stratfor das aktuelle politische Panorama in Europa. Parteien, die ihre Länder seit Jahrzehnten beherrschen, liegen in Trümmern. Neue politische Formationen schaffen den Sprung in die Parlamente und manchmal sogar an die Regierung. Teilweise gibt es auch Widerstand auf der Straße.

Wir erleben die größte Polarisierung nach links und rechts seit Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008. Der bisherige Höhepunkt dieser Entwicklung ist der Wahlsieg von Syriza in Griechenland, mit dem passenden Slogan: „Die Hoffnung kommt!“

Dabei handelt es sich nicht um eine Polarisierung wie zu Beginn der 1930er Jahre: Die Wahl in Griechenland war nicht von Mobilisierungen auf der Straße begleitet. Syriza repräsentiert die Hoffnung auf ein besseres Management bürgerlicher Herrschaft und keine Führung für den Kampf der ArbeiterInnen und Unterdrückten.

Trotzdem schrillten die Alarmglocken der herrschenden Klasse und ihrer Schreiberlinge. Von der „ersten linksradikalen Regierung in Europa“ war bei manchen KommentatorInnen die Rede. Und das, obwohl Alexis Tsipras, Syriza-Vorsitzender und nun griechischer Ministerpräsident, bei jeder Gelegenheit betont hatte, dass seine Formation alles andere als radikal sei. Ein weiteres deutliches Signal dafür ist die Koalitionsbildung mit den rechten „Unabhängigen Griechen“ (ANEL) – damit schockte Tsipras seine internationale Fanszene, noch bevor sie ihren Siegesrausch ausgeschlafen hatte.

Linke Regierungen?

Griechenlands neue Regierung wird zweifelsohne einige Maßnahmen durchführen, um dringende Leiden der griechischen Bevölkerung zu mildern. Doch Tsipras und Co. versprechen zugleich, dass sie „keine einseitigen Maßnahmen“ durchführen werden, um die erdrückenden Schulden abzuwerfen. Das bedeutet keinen Bruch mit den Diktaten der internationalen, geschweige denn der griechischen KapitalistInnen.

Figuren wie Tsipras oder Pablo Iglesias von Podemos im Spanischen Staat beschreiben ihr Programm als die „Wiedergewinnung der Demokratie“ – als ob die weltweite Diktatur der Banken und Konzerne jemals „demokratisch“ war. Sie wollen „kleinere und mittlere Unternehmen stärken“, statt die ArbeiterInnenklasse im Kampf gegen das UnternehmerInnentum zu vereinigen. Karl Marx erklärte: „Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen.“ Nach dieser Definition sind diese linksreformistischen Parteien alles andere als radikal, sondern wollen mittels „linker“ Regierungen das kapitalistische System mitverwalten.

Ein zentrales Problem ist: Diese Polarisierung in Europa geht nicht einfach nur nach links. Der Front National wurde mit 25% der Stimmen größte Kraft bei den Europawahlen in Frankreich. Auch die britische UKIP gewann 26%. Auch in Griechenland konnte nun die Nazipartei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) drittstärkste Kraft werden. Von den Erschütterungen der traditionellen Parteiensysteme profitieren in vielen Ländern auch rechtsextreme Kräfte. Hierzulande mobilisiert Pegida gegen „Fremde“ und das linke Establishment – und sah sich einer Front aus Linken und Establishment gegenüber.

Einer der Gründe für den Aufstieg dieser Kräfte ist eben der, dass die rechten Parteien viel oppositioneller auftreten als die linksreformistischen Formationen. So meint Historiker Perry Anderson, dass „Podemos und Syriza für weniger radikale Positionen als die gegen das System gerichtete Rechte“ stehen. Nicht nur die Linkspartei in Deutschland, die zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten stellt, bemüht sich, wie eine zuverlässige Verwalterin des Kapitalismus zu wirken.

Klassenkampf von unten

Viele Linke in Europa argumentieren, dass die Syriza-Regierung eine vorantreibende Rolle im Klassenkampf spielen werde – obwohl Syriza keinerlei Mobilisierungen auf der Straße vorantreibt und die Erwartungen der Massen eher früher als später enttäuschen wird.

Doch die Gefahr ist groß, dass die Enttäuschung durch Syriza von der radikalen Rechten verwertet wird – es sei denn, wir kämpfen schon jetzt für eine Perspektive der politischen Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse mit einem wirklich radikalen Programm von Übergangsforderungen. Beispielsweise muss die vorhandene Arbeit verteilt werden. Wohnungen und Infrastruktur müssen unter Kontrolle der Massen vergesellschaftet werden. Alle Schulden müssen gestrichen, alle Banken und Schlüsselindustrien sowie alle Firmen, die schließen oder entlassen, müssen entschädigungslos enteignet werden.

Kämpferische Sektoren müssen Teile eines solchen notwendigen Programms auch direkt umsetzen. Die Regierungspartei Syriza muss gezwungen werden, Stellung zu beziehen.

Revolutionäre Perspektive

Die KapitalistInnen sollen ihre Krise selbst bezahlen. Ein Programm des Bruchs mit dem Kapitalismus ist die einzige realistische Möglichkeit, um die Rechten zu stoppen und die Probleme der Massen zu lösen.

Dafür brauchen wir keine „verantwortungsbewussten“ Parteien der sozialen Versöhnung. Wir brauchen eine von den Interessen der Besitzenden unabhängige Kraft der ArbeiterInnen mit einem revolutionären Programm, welche auf die Mobilisierung auf der Straße und vor allem in den Betrieben setzt. Wir brauchen neue revolutionäre Parteien.

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