„Entweder unterstützt ihr den Apartheidsstaat Israel, oder ihr unterstützt einen demokratischen Staat für alle“: Interview mit Ilan Pappé [Video]

05.05.2017, Lesezeit 5 Min.
Übersetzung:
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Der israelische Historiker Ilan Pappé spricht mit La Izquierda Diario über die Besetzung Palästinas, den Arabischen Krieg von 1948 und die aktuelle Unterdrückung der Palästinenser*innen durch den Zionismus.

Es ist fast schon unglaublich, wie intelligente, sensible, intellektuelle Menschen die israelischen Lügen über die Vergangenheit und die Gegenwart wiederholen, selbst wenn diese Lügen schon von israelischen Wissenschaftler*innen selbst widerlegt worden sind.

Woher kommen die palästinensischen Geflüchteten?

Es gibt ein Narrativ, dass der 1948er Krieg von einem arabischen Angriff auf den neuen jüdischen Staat ausging und die arabischen Anführer die Palästinenser*innen aufgerufen hätten, das Land zu verlassen, und deshalb seien die Palästinser*innen Geflüchtete.

In meiner eigenen Forschung und der von anderen, die sich die israelischen Archive angeschaut haben, haben wir gezeigt, dass tatsächlich etwa die Hälfte aller Palästinenser*innen schon Geflüchtete waren, bevor auch nur ein einziger arabischer Soldat Palästina betreten hat. Der arabische Krieg war also eine Reaktion auf die Vertreibung der Palästinenser*innen durch jüdische Kräfte. Die Vertreibung war Teil eines Plans des jüdischen Militärs und der politischen Führung, bevor der Krieg angefangen hatte, so viel von Palästina wie möglich zu bekommen, mit so wenig Palästinenser*innen wie möglich auf dem Territorium.

Ein Teil des Plans war schon durchgesetzt, als die Briten dort noch für Recht und Gesetz verantwortlich waren. Tatsächlich fanden die Vertreibungen aus Städten und Dörfern im April 1948 statt, bevor der Krieg begonnen hatte. Der Krieg begann am 16. Mai 1948. Ich denke, es ist wichtig zu verstehen, dass der Krieg von Israel benutzt wurde, um Palästina von den Palästinenser*innen zu leeren. Die Palästinenser*innen wurden nicht durch den Krieg zu Geflüchteten, sie wurden zu Geflüchteten aufgrund der zionistischen Ideologie.

Woran liegt es ihrer Meinung nach, dass sowohl die imperialistischen Mächte als auch ihre Agentur, die UNO, ihr Konzept der ethnischen Säuberung ablehnen?

Ich glaube, dass die Welt – besonders die westliche Welt – seit 1945 und dem Zweiten Weltkrieg entschieden hat, sich nicht mit dem Zionismus und seinen Verbrechen gegen die Palästinenser*innen auseinanderzusetzen, und zwar aus mehreren Gründen.

Einer der Gründe ist: Wir müssen uns daran erinnern, dass schon im 19. Jahrhundert die Christ*innen nicht wollten, dass das Heilige Land ein muslimisches Land, ein arabisches Land ist. Deshalb gab es eine starke Unterstützung von christlichen Gruppen und Anführern für die Idee, dass die Juden*Jüdinnen zurück nach Palästina gehen, wie sie es nannten. Auch Antisemitismus spielt da eine Rolle, weil die Juden*Jüdinnen dann in Palästina und eben nicht in Europa sind. Das war Teil der Unterstützung.

Zweitens ist Islamophobie, der Hass auf den Islam, nichts Neues. Er existierte schon im 19. Jahrhundert. Und dann kam natürlich später der Holocaust. Europa zog es vor, sich nicht damit auseinanderzusetzen, was der Holocaust bedeutete. Alles, was es dafür tun musste, war die Kolonisierung Palästinas zu unterstützen.

In diesem Sinne denke ich, dass Trump sich nicht stark von anderen unterscheidet. Für Palästina ist es wahrscheinlich besser, dass Trump statt Clinton an der Macht ist. Clinton wäre für die Palästinenser*innen viel schlimmer gewesen, weil sie uns hätte glauben lassen, dass es den Friedensprozess gibt, dass es eine vernünftige Situation geben kann. Mit Trump reden wir wenigstens ein bisschen ehrlicher darüber, was das Problem ist. Also denke ich, dass er nicht wirklich wichtig ist. Wir haben ein grundlegendes Problem mit der Weise, wie die internationale Gemeinschaft die Palästinenser*innen in den letzten 70 Jahren behandelt hat, und ich denke, wir müssen daran arbeiten, das zu ändern.

Welche Veränderungen können sie mit Trump als US-Präsident beobachten?

Es ist schwer, Trump einzuschätzen. Ich glaube, dass es einfacher ist, unter Trump über die Realität zu sprechen, denn er spielt nicht die Spielchen von Clinton und Obama. Es ist viel einfacher, den Leuten zu erklären: „Ihr habt zwei Möglichkeiten: Entweder unterstützt ihr den Apartheidsstaat Israel, oder ihr unterstützt einen demokratischen Staat für alle zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer.“ Ich denke, dass diese Konversation unter Trump viel ehrlicher ist. Ich weiß nicht, was er tun wird. Ich schätze, er wird sich nicht groß von anderen US-Präsidenten unterscheiden. Sie alle gaben Israel einen Freifahrtsschein, sie alle erlaubten Israel, zu tun, was es wollte. Ich denke, dass wir die Einmischung der USA begrenzen müssen. Dann haben wir eine bessere Chance.

Das Interview im englischen Original

Interview: Mirta Pacheco und Gloria Grinberg
Kamera: Gigi Legeia

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