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Elektromaidan im Kaukasus?

ARMENIEN: Die Massenproteste gegen die geplante Stromerhöhung lassen schnell Vergleiche mit der Ukraine und anderen Ländern aufkommen. Welchen Charakter hat der Protest aber wirklich?

Elektromaidan im Kaukasus?

// ARMENIEN: Die Massenproteste gegen die geplante Stromerhöhung lassen schnell Vergleiche mit der Ukraine und anderen Ländern aufkommen. Welchen Charakter hat der Protest aber wirklich? //

Seit mehreren Tagen harren die Demonstrierenden auf einem der wichtigsten Verkehrsadern der armenischen Hauptstadt Jerewan aus: dem Baghramyan-Prospekt. Diese Straße führt nicht nur zum Stadtzentrum, sondern auch zum Freiheitsplatz vor der Oper – seit jeher ein Ort für politische Aktionen. Die Protestierenden sind fest entschlossen, die Straße nicht zu räumen, bis die Erhöhung des Strompreises zurückgenommen wird. Die Erhöhung um etwa 17 Prozent wäre die dritte innerhalb von fünf Jahren, bei stagnierenden Löhnen und einer offiziellen Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent.

Schnell entflammte sich aus dem anfangs kleinen Protest eine Massenmobilisierung, die teilweise auch auf andere Städte wie Gyumri übergriff und die Regierung um den Staatspräsidenten Sersh Sargisyan immer nervöser macht. Zwar gab es seitens der Polizei immer wieder Versuche, die Barrikaden aufzulösen, jedoch konnten die Protestierenden die Straße besetzt halten. Doch nicht nur das: mittlerweile kündigte die Regierung an, die Erhöhung mit den Mitteln des Staatshaushaltes zu begleichen und nicht direkt auf die Bevölkerung abzuwälzen. Jedoch ist dadurch indirekt wieder die armenische Bevölkerung betroffen, denn es sind ihre Steuern, die darauf verwendet werden sollen.

Erhebliche Unzufriedenheit

Das kleine Land am Kaukasus ist besonders aus geopolitischen Gesichtspunkten interessant: Anders als sein verfeindeter Nachbar Aserbaidschan verfügt Armenien nicht über riesige Öl- und Gasreserven, sondern ist vom Import vor allem russischen und ein wenig auch iranischen Gases abhängig. Gas ist hier nicht nur als Heizstoff sehr wichtig, sondern auch als Treibstoff, denn ein Großteil der armenischen Autos werden mit Gas und nicht mit Benzin versorgt. Es erfreute die Menschen in Armenien daher nicht besonders, dass Ende 2013 auch die letzten Anteile des Gasversorgers „ArmRosgazprom“ an den russischen Staatskonzern verkauft wurden.

Dies ist nicht der einzige Sektor in Armenien, auf den der russische Staat unmittelbaren Einfluss ausübt: Das russische Militär überwacht die geschlossene armenisch-türkische Grenze und hat weitere Basen auf armenischem Territorium, aus dem sie 2008 ihre Angriffe im Krieg gegen Georgien flog. Es verwundert daher nicht, dass Armenien der „Eurasischen Zollunion“ beitrat. Die Regierung um Sargisyan sieht sich nun dem Druck der Straße gegenüber, denn obwohl sich die Proteste anfangs nur gegen die Strompreiserhöhung richteten, wurden sie schnell zum Ausdruck breiter Unzufriedenheit mit der herrschenden Klasse in Armenien.

Diese ist seit der Staatsgründung 1992 stets an der Seite Russlands geblieben, während im Gegenzug der Kreml die „Schutzmacht“ Armeniens darstellt. Zwar gibt es auch aufgrund der starken Diaspora im Frankreich und den USA innerhalb des Bürgertums Bestrebungen, Armenien mehr gen Westen zu orientieren, jedoch konnten Figuren wie der in den Vereinigten Staaten geborene Raffi Hovhanisyan bislang nicht die Wahlen gewinnen und bleiben auch weiterhin hinter der regierenden rechtskonservativen „Republikanisch-Armenischen Partei“ (HHK) zurück. Deren Kader bemühen sich nicht einmal um die Kaschierung ihrer Korruption und sind sich nicht zu schade, auch kriminelle Werkzeuge zur Durchsetzung ihrer Interessen anzuwenden.

Damit verbunden sind Arbeits- und Perspektivlosigkeit für die ArbeiterInnenklasse und die Jugend, weshalb viele – meistens junge Männer – das Land Richtung Russland verlassen. Sie lassen in vielen Fällen ihren Familien zurück und arbeiten als billige Arbeitskräfte auf den vielen Baustellen Russlands wie etwa für die olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 oder der Fussball-WM 2018.

Farbige Revolution?

Jetzt erlebt Armenien die ersten Massenproteste seit Jahren – da kommen schnell Vergleiche mit der Kiewer Maidan-Bewegung auf. Vom „Elektromaidan“ ist mitunter die Rede. Auch die vielbeschworenen „Farbrevolutionen“ der postsowjetischen Länder Georgien, Ukraine und Kirgisien kommen in den Sinn. Gemeinsam ist ihnen eines: der Gedanke, dass die Massenmobilisierungen von außen gesteuert werden und/oder einen antirussischen Charakter annehmen könnten. Doch derlei Vergleiche werden nicht selten selbst von den Protestierenden zurückgewiesen: „Das ist nicht der Maidan. Das ist Jerewan!“ sagte z.B. ein Demonstrant in die Kameras.

Es ist klar, dass die herrschenden Klasse bei jeder Massenbewegung nervös zusammenzuckt und um die eigene Herrschaft fürchtet. Auch deshalb wird der Mythos der „Nationalen Einheit“ beschworen und fremde, ausländische Kräfte hinter dem berechtigten Protest vermutet. Sie verkennen jedoch, dass hinter den Protesten eine soziale Unzufriedenheit stehen muss, die früher oder später in Form von Mobilisierungen ausbricht.

Dennoch sind die Protestierenden derzeit weit davon entfernt, ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein zu besitzen oder gar die ArbeiterInnenklasse als solche zu mobilisieren und etwa zu Streiks aufzurufen. Und nicht alle sind gewillt, die direkte Konfrontation mit der Staatsmacht zu suchen – manche streben eher eine Zusammenarbeit an. Dies zeigte sich etwa darin, dass die Polizei gemeinsam mit den AktivistInnen die Barrikaden auf mögliche Waffen jeglicher Art inspizierte – und nichts fand.

Die derzeitige Perspektive kann zu einem Massenkampf gegen die korrupte Elite des Landes werden, wenn die ArbeiterInnenklasse mobilisiert und ein konkretes Programm einer sozialistischen Umgestaltung aufgeworfen wird. Hierfür ist es wichtig, dass die Protestierenden ihren klassenversöhnlerischen Kurs beenden und eine internationalistische Perspektive – der Solidarisierung mit den ArbeiterInnen des gesamten Kaukasus – entwickeln.

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