Eine Pflegerin antwortet auf Margarete Stokowski: Wie bauen wir uns einen Lockdown?

01.04.2021, Lesezeit 4 Min.
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Foto: Hit1912 / shutterstock.com

In ihrer Spiegel-Online-Kolumne fordert Margarete Stokowski einen Coronastreik, um einen harten Lockdown zu erzwingen. Lisa ist Intensivkrankenpflegerin und stimmt ihr zu – und sagt, was nötig ist, damit es dazu kommt.

Wir sind mitten in der dritten Welle. Noch hält das Gesundheitswesen stand. Die Arbeitsbedingungen waren auch vor Corona nicht toll. Nach einem Jahr Pandemie aber sind wir erschöpft. Ohne Notbremse wird die Situation dramatisch werden.

Die Bundesregierung und die Ministerpräsident:innen der Länder zeigen kein Interesse daran, ernsthaft etwas dagegen zu unternehmen, dass es soweit kommt. Vor allem ist ihnen weiterhin egal, dass immer noch Millionen Menschen ihre Gesundheit riskieren müssen, um die Profite für einige wenige aufrechtzuerhalten. Armin Laschet hat jetzt angekündigt, dass er über Ostern über die Corona-Maßnahmen nachdenken will. Na toll.

Schon lange ist klar, dass viele der Ansteckungen bei der Arbeit passieren. Nicht einmal eine Testpflicht für Unternehmen gibt es. Die Einschränkungen haben viel zu lange nur die Freizeit betroffen. Auch das betrifft uns Arbeiter:innen im Gesundheitswesen: Ein Ende der Pandemie ist in weite Ferne gerückt und auch unser Privatleben soll auf unbestimmte Zeit eingeschränkt bleiben. Die Antwort ist also klar: konsequenter Wirtschaftslockdown. Arbeit, die nicht unbedingt notwendig ist, muss für ein paar Wochen ruhen. Und das kann nur mit Streiks durchgesetzt werden.

Bei Spiegel Online hat jetzt auch Margarete Stokowski diese Forderung aufgestellt:

Darin schreibt sie:

Die Selfcare-Tipps des vergangenen Jahres wirken nur noch zynisch. Wir haben jetzt alle lernen können, wie man Brot backt und Kerzen zieht und zu Hause trainiert, wir können auch noch lernen, wie man einen echten Lockdown selbst macht. Alle Räder stehen still, wenn dein ungeimpfter Arm es will.

Das bringt es gut auf den Punkt. Warum sind wir dann aber noch nicht soweit? Was hält den „ungeimpften Arm“ noch zurück?

Es gab ja in den vergangenen Monaten immer wieder Streiks. Im Herbst wurde im öffentlichen Dienst ein neuer Tarifvertrag verhandelt, der auch die Pflege betrifft. Und gerade gehen die Tarifverhandlung in der Metall- und Elektrobranche zu Ende. Begleitet wurden diese Tarifrunden mit Warnstreiks.

Am Ende kamen jeweils Lohnerhöhungen heraus, die bestenfalls die Inflation ausgleichen werden. Die Corona-Prämien für die Pflege haben immer noch nicht alle bekommen. Nur, um die Gesundheit und einen Wirtschaftslockdown ging es dabei überhaupt nicht.

Stokowski schreibt, dass die gewerkschaftliche Organisation für einen Corona-Streik machbar wäre. Aber die Gewerkschaften sind eben nicht einheitlich. Es gibt eine große Basis von Mitgliedern, allein die IG Metall hat über zwei Millionen Mitglieder, die in den zentralen Bereichen der Wirtschaft die Produktion stoppen könnten.

Doch die Gewerkschaften haben auch Apparate, eine Bürokratie. Und diese Bürokratie hat nicht dieselben Interessen wie wir an der Basis. Ihre Aufgabe und ihr Interesse ist, zwischen den Unternehmen und den Arbeiter:innen zu vermitteln. Dafür muss die Produktion laufen. Und sie läuft: Daimler hat beispielsweise 1,4 Milliarden Euro an Aktionär:innen ausgeschüttet. Und das, obwohl sie 700 Millionen Euro Kurzarbeitergeld kassiert haben.

Zum Streik ruft die Bürokratie trotz alledem nur auf, wenn der Druck der Basis sie dazu zwingt. Die Gewerkschaftsführungen befinden sich immer noch in einer Art Burgfrieden mit der Regierung und den Unternehmen. Die Interessen des Kapitals will sie in der Krise nicht angreifen. Völlig zugrunde gehen würde das Kapital in zwei oder drei Wochen Streik nicht, wie Stokowski schreibt. Aber die Wirtschaft war noch nicht einmal bereit, eine ohnehin wirkungslose „Osterruhe“ hinzunehmen.

Stokowski hat Recht: Wir müssen den Lockdown selbst machen. Doch dazu müssen wir uns nicht nur gegen die Regierung und die Unternehmer:innen durchsetzen, sondern auch gegen die Führungen unserer eigenen Organisationen. Dafür müssen wir anfangen, uns in den Betrieben, den Schulen und Universitäten in Hygienekommissionen zu organisieren, um Druck an der Basis aufzubauen. Das wäre doch ein gutes Thema für die nächste Kolumne, oder?

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