Eine Linksregierung für Portugal?

19.11.2015, Lesezeit 6 Min.
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PORTUGAL: In der vergangenen Woche wurde die konservative Regierung gestürzt. Der portugiesische Präsident kann nun entweder Oppositionsführer Costas die Verantwortung übergeben, oder auf Neuwahlen Mitte nächsten Jahres abzielen. Eine instabile Situation eröffnet sich.

So gelang es der Regierungskoalition unter Pedro Passos Coelho, in die Geschichte Portugals nach der „Nelkenrevolution“ als kürzeste Regierung einzugehen. Nur elf Tage hielt das seit 2011 regierende Bündnis aus der Mitte-Rechts Partei PSD und der konservativen PP. Und tatsächlich kam dieses schnelle Ende wenig überraschend. Denn bei den Wahlen am 4. Oktober wurden sie zwar mit 107 Sitzen die stärkste Kraft, doch verloren sie die absolute Mehrheit. Und auch wenn die sozialdemokratische PS von António Costa kräftig zulegte, wurde sie relativ abgeschlagen zweite Kraft. Deshalb beauftragte der konservative Staatspräsident Anibal Cavaco Silva den ehemaligen Ministerpräsidenten und Parteigenosse Passos Coelho, eine Regierung zu bilden.

Daraufhin suchte die Opposition, die neben der PS noch aus der Linkspartei Bloco de Esquerda und der kommunistisch-grünen CDU besteht, eine Einheit, um die Regierung zu kippen. Am 9. November schlossen sie den nötigen Pakt und besiegelten mit ihren 123 Stimmen das Schicksal der konservativen Regierung. Dort legten sie auch die Grundlagen einer möglichen Regierungskoalition fest, bei der sowohl die Kommunistische Partei als auch der Bloco große Zugeständnisse eingehen, um ein lauwarmes reformistisches Programm zu tragen. Auch wenn die KP nicht direkt Teil einer solchen „Linksregierung“ sein wird, so würde sie diese jedoch mittragen. Es öffnet sich eine Situation mit ungewissem Ausgang.

Schon jetzt machen sich die Auswirkungen der politischen Instabilität auf die Wirtschaft erkennbar. Am vergangenen Montag brach die Lissabonner Börse stark ein und auch die Zinsen und Risikoaufschläge auf Staatsanleihen schossen in die Höhe. Das ist ein Warnsignal der Kapitalist*innen an ihre politischen Vertreter*innen, für Stabilität zu sorgen, um weiterhin die Krise auf die Arbeiter*innen abzuwälzen und die imperialistischen Konzerne nicht zu verschrecken.

Das semi-präsidentiale System in Portugal spricht dem Staatspräsidenten nun erneut das Recht darauf zu, einer Partei das Recht zur Regierungsbildung einräumt. Sollte er Passos Coelho wählen, wäre dieser geschäftsführender Ministerpräsident, der das Parlament nach sechs Monaten auflösen und zu Neuwahlen aufrufen könnte. Damit wäre erst frühestens im Juni mit neuen Wahlen zu rechnen. Eine solche Übergangsregierung wäre äußerst schwach, instabil und nicht dazu in der Lage, irgendwelche Projekte durchzusetzen. Das würde die Spardiktate und laufende Deals und Schuldenzahlungen in Gefahr bringen.

Doch auch eine „Linksregierung“ ist in den Augen der Großbourgeoisie und politischen Elite kein Garant für Stabilität. So vertraten die Kommunist*innen noch vor kurzem den Austritt aus Euro, Nato und EU. In Wirklichkeit wäre eine solche von der PS angeführte Regierung keine Gefahr für die nationale und internationale Bourgeoisie. Die PS ist jahrzehntelanger Bestandteil der politischen Kaste, die die Interessen der großen Kapitalfraktionen verwaltete, zu denen auch das deutsche imperialistische Kapital von Bosch, Siemens und Co. gehört. Tatsächlich war es der „Sozialist“ José Socrates, der 2011 die „Hilfe“ der Troika suchte, um einen Bankrott zu vermeiden.

Die Schwesterparteien des Bloco sind Syriza und Podemos. Die Verwandlung des griechischen „Bündnisses der radikalen Linken“ in ein Instrument der imperialistischen Institutionen der EU und in den Durchsetzer des härtesten Memorandums gegen die Arbeiter*innen und Massen, macht die strategische Ausrichtung des Bloco klar. Er gab jedoch sogar schon vor Regierungsübernahme sein Anti-Austeritäts-Programm auf und tauschte es gegen ein Programm zur „Mäßigung der Austerität“, wie es die PS vertritt. So soll der Mindestlohn in den nächsten vier Jahren um 100 Euro erhöht werden. Die Renten, seit 2011 eingefroren, sollen zuerst das Vor-Krisen-Niveau erreichen und dann leicht erhöht werden. Beamten mit mehr als 1.500 Euro Gehalt sollen weniger Abgaben zahlen. Die Wochenarbeitszeit von Staatsangestellten soll auf 35 Stunden reduziert werden. Die Privatisierungen sollen wie bei der Fluggesellschaft TAP gestoppt oder wie im Transportwesen rückgängig gemacht werden. Außerdem wird die Senkung der Mehrwertsteuer für Gastronomiebetriebe, die Abschaffung einer Selbstbeteiligungsgebühr in der Notaufnahme, Sozialtarife beim Strom und Gratisabtreibungen für Frauen versprochen.

Mit all diesen Maßnahmen würden jedoch nicht einmal die Lebensbedingungen von vor der Krise wieder hergestellt. Und selbst dieses Programm stößt in der aktuellen Situation an ihre Grenzen, wie die Erfahrung von Syriza in nur kürzester Zeit deutlich machte. Und dabei ist zu bedenken, dass die PS eher die griechische PASOK ist und der Bloco mit unter zehn Prozent Stimmen weniger Entscheidungsmacht hätte. Die Ankündigungen von Costas, den Stabilitätspakt einzuhalten und die europäischen Gesetze zu respektieren, machen deutlich, dass sich die „Linkspartei“ abgesehen von der Demagogie daran macht, die Gewinne der Unternehmer*innen zu sichern.

In diesem Rahmen ist sie vor allem ein stabilisierender Faktor der angespannten politischen Situation. In der letzten Woche kam es bei Demonstrationen zwischen Konservativen und Unterstützer*innen der „Linksregierung“ zu Zusammenstößen. An die Macht gelangt würde die Regierung von Costas die Arbeiter*innen und Jugendlichen noch weiter demoralisieren und passivisieren.

Es ist an der Zeit, dass die revolutionäre Linke in Portugal eine entgegengesetzte Strategie entwickelt, um die Mobilisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten voranzutreiben. Dabei dürfen sie nicht in die falsche Wahl zwischen den verschiedenen Lagern der Bourgeoisie geraten, sondern eine Position der Klassenunabhängigkeit einnehmen. Nur ein Programm der Nicht-Zahlung aller Schulden, der Aufteilung der Arbeit unter alle Arbeiter*innen bei Verkürzung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich und der entschädigungslosen Verstaatlichung der Kernindustrie unter Arbeiter*innenselbstverwaltung kann eine Antwort auf die Krise im Sinne der Arbeiter*innen und Jugendlichen geben.

Deshalb treten wir anstelle einer „Linksregierung“, die nur neue Frustrationen vorbereiten wird, für den Aufbau einer Arbeiter*innenregierung ein, die sich auf die revolutionäre Massenmobilisierung stützt. Nur so können die Arbeiter*innen die politische Instabilität dafür ausnutzen, dass die Kapitalist*innen die Kosten für ihre Krise bezahlen.

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