Eine Geiselnahme und ihr imperialistischer Hintergrund

27.11.2015, Lesezeit 6 Min.
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MALI: In der Hauptstadt Bamako drangen am 20. November Bewaffnete in ein Hotel ein und nahmen 170 Geiseln. Nach einer Auseinandersetzung mit Einsatzkräften der Staaten Mali, Frankreich und USA waren circa 20 Geiseln und zwei Geiselnehmer tot. Die Zeitungen lassen verlauten, dass die Geiselnehmer aus anti-westlichen, in irgend einer Form Islam-gläubigen Netzwerken kamen. Am vergangenen Mittwoch beschloss Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Aufstockung des Bundeswehr-Mandats um 650 Soldat*innen. Was ist da los?

Mali ist eine Staatsgewalt in der Region Westafrika, die seit 1960 darum ringt, ihre Autorität auf dem Territorium der ehemaligen Kolonie Französisch-Sudan durchzusetzen. Denn aufgrund der unruhigen Geschichte Malis war die Staatsgewalt nie in der Lage, die Regionen im Norden unter die eigene, effektive Kontrolle zu bringen. Sie stieß und stößt dabei besonders im Norden ihres anvisierten Herrschaftsbereich auf viel Unzufriedenheit und Widerstand. Vor allem die sogenannten „Tuareg“ haben über die Jahre eine Vielzahl von Wider- und Aufständen gegen die Staatsgewalt aus dem Süden zu Stande gebracht. Zuletzt brach 2012 ein Binnenkrieg aus, in den sich Anfang 2013 französisches Militär einschaltete. Seitdem sind Soldat*innen verschiedener Staaten in Mali stationiert, sichern die Hoheit des malischen Staates im Süden und bemühen sich, diese Hoheit im Norden herzustellen.

Deutsche Interessen

Der deutsche Staat mischt dabei mit, weil er in Westafrika Sicherheitsinteressen anmeldet. Das kann irritierend klingen: „Wir Europäer können kein Interesse daran haben, dass Mali zerfällt und dass dort eine Hochburg des Terrorismus entsteht. Von Mali aus ist es eine Staatsgrenze, und man ist im Mittelmeerraum“, so seinerzeit Außenminister Westerwelle1. Die „Verteidigung“, der die Bundeswehr zunehmend global nachkommen soll, hat jedoch ihren ganz brutalen, materiellen Gehalt: Den Weltmarkt, wie ihn auch Deutschland einrichtet. Die BRD behandelt den Globus als Betätigungsfeld ihrer Kapitale. Aus der Konkurrenz um profitable Exporte, billige Importe und den Status des eigenen Geldes als Leitwährung erwachsen dem deutschen Staat einige Notwendigkeiten, die er in Ansprüche verwandelt und mit denen er auf den Rest der Welt losgeht. Für andere Staaten und Kapitale bedeutet das (nicht selten übermächtige) Konkurrenz und Abhängigkeit. Der Großteil der Menschen in diesen Staaten wird dadurch in Lohnabhängigkeit gezwungen. Dass sich die BRD damit Feinde macht, ist selbstredend und einer der Gründe für die Existenz der Bundeswehr. Diese Feinde führen dort in der Regel aber keineswegs einen antiimperialistischen Kampf, sondern ringen selbst um alternative Herrschaftsansprüche und teils rassistische Ideologien.

Mehr Soldat*innen für Mali

Die Bundeswehr ist in Mali seit 2013 mit ungefähr 200 Soldat*innen vor Ort; 350 erlaubt das aktuelle Mandat. Die meisten dieser Soldat*innen bilden im Rahmen der Mission EUTM das malische Militär aus. Nur 10 sind im Rahmen der UN-Mission Minusma am Kampf um die Herstellung der Autorität des malischen Staates im Norden beteiligt. Dieser Einsatz wird nun um 650 Soldat*innen ausgeweitet werden.

Die deutsche Beteiligung an der Herstellung einer wirkmächtigen malischen Staatsgewalt verfolgt zwei Ziele. Zum einen geht es um die Ansprüche, die die EU an den malischen Staat als Teil der „Sahel-Zone“ stellt2. Die dortigen Staatsgewalten sollen verhindern, dass sich vor Ort militärische Kräfte etablieren, die der EU feindlich gegenüber stehen. Weiterhin soll die Region kein Drehkreuz für Drogenhandel mehr sein. Der erschwert westlichen Staaten nämlich die Standortpolitik und verschafft ihren Feinden Einnahmen3. Auch sollen die Entführungen westlicher Staatsbürger*innen mitsamt Lösegeld-Erpressungen aufhören. Der dortige Rohstoffabbau (vor allem, aber nicht nur Gold) soll gesichert werden. Schließlich flüchten sehr viele Menschen aus Westafrika nach Europa und das sollen die dortigen Staaten unterbinden. Das ist die Form, mit der die herrschende Klasse die Fluchtursachen „bekämpft“: durch ein globales Netz von Lagern und Druck auf die Herkunfts- und Transitregionen, die, nach allen Regeln der Marktwirtschaft, verarmten Massen zurückzuhalten.

Das alles wird an der extremen, kapitalistisch verursachten Armut, für die Mali berühmt ist, nichts ändern und soll es auch nicht. Was an und mit Mali praktiziert wird, ist moderner Imperialismus: die globale Durchsetzung der eigenen Interessen durch Funktionalisierung anderer Staaten. So ist auch die Forderung nach Demokratie in Mali zu verstehen. Demokratie wird die dortige Armut nicht lindern und soll es auch nicht. Weil aber aus den kläglichen Verhältnissen des globalen Südens stets Unzufriedenheit und damit potentiell Unruhe folgt, sollen Regierungswechsel ablaufen können, ohne dass vom Westen gebrauchte Staatsgewalten dadurch destabilisiert werden.

Imperialistischer Aufruf Frankreichs

Das andere Ziel tatsächlicher oder überlegter Einsätze der Bundeswehr in Mali heißt Solidarität mit Frankreich. Die jüngsten Pariser Anschläge hat der französische Staat in einen Aufruf zur neuerlichen imperialistischen Offensive in seinem Interesse verwandelt. Dass der deutsche Staat dem Ruf antwortet, ist sein eigener Imperialismus. Und zwar auch ohne, dass dadurch direkt Kapitalwachstum oder -export stattfindet. Denn weil das Kapital eines Standorts nur dann an der Welt verdienen kann, wenn es seine Staatsgewalt hinter seinen Ansprüchen weiß, kommt es auf die internationale Stellung dieser Staatsgewalt an; und zwar grundsätzlich. Mitmischen, Fakten schaffen, Regeln setzen: nur eine potent auftretende Staatsgewalt kann sich sicher sein, auch dann mitreden zu können, wenn es einmal tatsächlich um Handelsabkommen und Eigentumsfragen geht.

  • Die politischen Schlussfolgerungen sollten klar sein: Kein Friede mit dem Imperialismus!
    „Friedenseinsatz“ und andere Euphemismen sind zynische Titel für knallharte Globalisierung westlichen Kapitals.
  • Moderne Armut ist ein Produkt des weltweiten Kapitalismus! Sie ist Ausschluss vom tatsächlich vorhandenem Reichtum bzw. von dessen Produktionsmitteln. Dagegen hilft keine bewaffnete Religiosität, sondern nur eine kommunistische Revolution.

Fußnoten

1. 15.01.2013, Bild.de. Der gegenwärtige Tenor ist der gleiche. Hier wurde das (etwas) alte Zitat benutzt, weil seine Wortwahl den krassen, globalen Anspruch eines imperialistischen Staates so treffend illustriert.

2. Siehe z.Bsp. die „Sahel-Strategie“ des Europäischen Auswertigen Dienstes.

3. Siehe den rassistischen Gründer i. R. des Zentrums für internationale Friedenseinsätze. Rassistisch, weil er die Verarmung, die die Bevölkerung Malis erfährt, mit der Parole „Überbevölkerung!“ „erklärt“. Die Menschen dort sind auf Lohnarbeit als Lebensmittel festgelegt, werden aber von keinem Kapital gebraucht. Das ist ein guter Grund gegen Kapitalismus. Für Rassist*innen sieht das Urteil anders aus: Wenn die arm sind, dann seien sie „grundsätzlich einfach zu viele“.

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