Ein Referendum, das keines ist

15.11.2014, Lesezeit 5 Min.
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// Das Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens mutiert zur Farce. //

Die katalanische Regionalregierung, angeführt von Convergència i Unió (CiU), hatte am 27. September 2014 ein Referendum über die politische Zukunft Kataloniens angekündigt, angesetzt für den 9. November 2014. Die spanische Zentral­regierung unter Mariano Rajoy hielt das beabsichtigte Referendum für verfassungswidrig und reichte Klage beim Verfassungsgericht ein. Dieses untersagte das Referendum mit einer einstweiligen Verfügung. Rajoy begründete sein Vorgehen mit dem Satz „die Demokratie kann nicht gegen das Gesetz agieren“, so als ob die Genese der Verfassung von 1978 demokratisch gewesen wäre, als ob es sich um einen natürlichen demokratischen Prozess gehandelt hätte, der den Übergang von der Franco-Diktatur in die jetzige Scheindemokratie ermöglichte. Gerade diese befindet sich aber heute in einer tiefen Legitimationskrise. Erinnert sei an die im Zuge der „Empörten“-Bewegung skandierte Losung: „Sie repräsentieren uns nicht!“

Ein Manöver

Beim Referendum sollten die Katalan­Innen die Fragen beantworten, ob Katalonien ein eigener Staat werden soll, und wenn ja, ob dieser unabhängig von Spanien sein sollte. Weder in der nun abgeschwächten Form der „alternativen Abstimmung“, die die katalanische Regierung nun durchführen will, noch im ursprünglich angesetzten Referendum hätten diese Fragen jedoch irgendeine bindende Rechtswirkung gehabt.

Insofern handelt es sich lediglich um ein Manöver der Parteien der katalanischen Bourgeoisie, um die in der anti­demokratischen Verfassung von 1978 festgesetzten Rahmenbedingungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten neu verhandeln zu wollen. Allen voran geht es CiU darum, Verhandlungen über eine Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen dem Zentralstaat und der Region Kataloniens zu schaffen. Dafür hat die Bourgeoisie den berechtigten Wunsch der KatalanInnen nach demokratischer Selbstbestimmung ausgenutzt: Sie mobilisierte die katalanischen Massen, um ihrem Vorhaben Druck zu verleihen.

Diese jedoch wollen mehr: Seit 2012 sind die Demonstrationen für die Unabhängigkeit Massenveranstaltungen, die letzte Diada war die größte, die Katalonien je gesehen hat. Somit drücken die katalanischen Massen ihren berechtigten Wunsch aus, selbst entscheiden zu wollen, wie ihre Zukunft aussehen mag.

Eine Krise

Nun bahnt sich eine politische Krise im gesamten Staat an, denn das Recht auf demokratische Entscheidung über die eigene Zukunft der Nationalitäten Spaniens wird von der Verfassung von 1978 schlicht abgelehnt. In anderen Worten: Innerhalb der bestehenden Rechtsordnung können die KatalanInnen, wie alle anderen Nationalitäten des Spanischen Staates, nicht über ihre eigene Zukunft entscheiden. Die spanische Zentralregierung ist fest entschlossen, ein konstitutionelles Referendum zu verhindern, denn somit stünde die gesamte Architektur des antidemokratischen Regimes von 1978 auf dem Prüfstand.

Gegen den Widerstand aus Madrid auf der einen Seite, und gegen die Forderungen der KatalanInnen auf den Straßen auf der anderen, versucht die katalanische Regierung Druck vom Kessel zu nehmen. Sie ruft zur „nationalen Einheit“ auf, hinter welcher aber bereits harte Kürzungen im Sozialbereich lauern, die von den Mitte-Links-Parteien sowie der „souveränistischen“ Linken abgesegnet werden. Für die reformistische und souveränistische katalanische Linke wie CUP oder ERC kann ein rechtsbindender Referendumsausgang nur im Übereinkommen mit dem Staat bzw. mit dem Wohlwollen der internationalen Gemeinschaft erfolgen – verfassungskonform eben.

Doch wenn die vielen brennenden sozialen Fragen, die hinter der Frage der Unabhängigkeit stehen – wie die Arbeitslosigkeit, die Zwangsräumungen, die Kürzungen im Gesundheitssektor, die vereinfachten Entlassungen, die wachsende Verelendung der Massen –, gelöst werden sollen, können die nationale und die soziale Frage nicht getrennt voneinander beantwortet werden. „Kein Schritt zurück!“, schrie daher die Menge in Barcelona, als der Rückzieher der Regierung bekannt wurde. Die Regierung von Artur Mas wird die Geister, die sie rief, nicht mehr los.

Eine Perspektive

Angesichts dieser Entwicklung, der Vorstöße der Regionalregierung und der Position der reformistischen Linken, müssen RevolutionärInnen dies vor den Massen denunzieren, weil jene das Recht auf Selbstbestimmung nicht erkämpfen wollen. Will die katalanische Nation in ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit nicht wieder einmal von der katalanischen Bourgeoisie betrogen werden, müssen RevolutionärInnen zu einem Flügel der Unabhängigkeitsbewegung werden, der das Recht auf Selbstbestimmung mit der Frage der politischen Unabhängigkeit der ArbeiterInnen und verarmten Massen, mit den brennenden sozialen Fragen verbindet, und mittels Mobilisierungen in den Betrieben und Wohnvierteln, Schulen und Straßen erkämpft.

Dabei wird die nationale Unterdrückung in Katalonien nur dann erfolgreich beendet werden, wenn die berechtigten Forderungen der KatalanInnen nach nationaler Selbstbestimmung nicht von der katalanischen Bourgeoisie und ihren politischen VertreterInnen angeführt werden, die bereits jetzt signalisieren, das Recht auf Selbstbestimmung nicht erkämpfen zu wollen. Sie muss vielmehr von der ArbeiterInnenklasse Kataloniens in unzertrennlicher Verbindung mit den ArbeiterInnen des übrigens Spanischen Staates und den verarmten Massen in Katalonien und ganz Spanien angeführt werden. Dabei darf diese Allianz nicht Halt machen bei der Selbstbestimmung, sie muss weiter gehen und das Regime von 1978 beenden, auf dem Weg in eine föderative ArbeiterInnenrepublik oder eine freie Union der ArbeiterInnenrepubliken, in der jede Nation der Iberischen Halbinsel die nötigen Freiheiten hat, selbstbestimmt zu leben.

Das ist der einzige Weg, nicht nur die Frage der Selbstbestimmung zu lösen, sondern auch die brennenden sozialen Fragen zugunsten der ArbeiterInnen­klasse und verarmten Sektoren der Bevölkerung auf Kosten der KapitalistInnen.

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