„Ein heißer Sommer der Arbeiter:innen!“

17.08.2022, Lesezeit 8 Min.
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Bild: Ayrin Giorgia (KGK)

Auf der Auftaktveranstaltung des „Klasse gegen Klasse“-Sommercamps spricht Rose Lemlich aus unserer US-amerikanischen Partnersektion Left Voice über die Verbrechen des US-Imperialismus, die aktuelle Streikwelle und den Kampf für das Recht auf Abtreibung. Wir veröffentlichen eine Übersetzung ihrer Rede hier in Textform.

Werte Genoss:innen,

Ich freue mich heute mit den Genoss:innen der Trotzkistischen Fraktion und anderen Sozialist:innen hier zu sein und bin gespannt, mehr über die politische Situation in Deutschland und der Welt zu erfahren. Mein Name ist Rose Lemlich und ich bin zu Besuch aus New York City. Ich bin Left Voice vor einem Jahr beigetreten, nachdem ich an einer „Democratic Socialists of America“-Lesegruppe zur Einführung in den Marxismus teilgenommen hatte. Ich war eine Unterstützerin von Elizabeth Warren bei den Präsidentschaftswahlen 2020 und wurde von dieser Lesegruppe, die von Left Voice-Genoss:innen geleitet wurde, davon überzeugt, dass der technokratische Progressivismus keinen systemischen Wandel schaffen kann. Heute bin ich eine revolutionäre Sozialistin und Gewerkschaftsorganisatorin.

Ich wurde eingeladen, im Namen von Left Voice, der Gruppe der Trotzkistischen Fraktion in den Vereinigten Staaten, Informationen und Perspektiven zu teilen. Die Vereinigten Staaten durchleben gerade eine Reihe von Krisen, von denen die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten am meisten betroffen sind. In diesem Zusammenhang gibt es Veränderungen im Bewusstsein und Möglichkeiten für revolutionäre Politik. Auf internationaler Ebene werden wir in der kommenden Zeit einen Kampf um die Vorherrschaft zwischen den USA, die weiterhin eine imperialistische Großmacht sind, aber an Einfluss verlieren, und China, der aufstrebenden Macht, erleben. Vom Krieg in der Ukraine bis hin zu den jüngsten Reibereien, die durch die Reise von Nancy Pelosi nach Taiwan verursacht wurden, die nur dazu dient, die Spannungen mit China zu erhöhen, wird die Hegemonie der USA ständig auf die Probe gestellt, während sie gleichzeitig zu Klimakatastrophen, globaler Inflation und der Unterdrückung der Arbeiter:innenklasse auf der ganzen Welt beiträgt. Auf nationaler Ebene haben die Klimakatastrophen das Land überrollt. Wir erleben die ungebremste Ausbreitung von zwei zusammenhängenden Epidemien. Wir rasen auf eine Rezession zu und erleben eine rasant steigende Inflation, für die die Federal Reserve die Löhne der Arbeiter:innenklasse verantwortlich macht, während unsere Bosse unsere Löhne stehlen und dies als „rekordverdächtige Gewinne“ bezeichnen. Sparbudgets werden auferlegt, damit die Stadtverwaltungen Hunderte von Millionen Dollar an die Polizei abzweigen können und damit Milliarden von Dollar an das US-Militär, die zionistische israelische Armee und die Ukraine fließen können. Jeden Tag wird ein neues Anti-Trans-Gesetz vorgeschlagen oder verabschiedet und der antidemokratische Oberste Gerichtshof hat das nationale Recht auf Abtreibung gestrichen.

Diese nationalen Krisen haben zusammen mit den internationalen Krisen des Krieges, der Klimakatastrophe, der Pandemie, der Rezession und den Auswirkungen des von den Vereinigten Staaten verursachten oder unterstützten Imperialismus eine nationale politische Situation geschaffen, die einem Feuerwerk gleicht. Nationale Umfragen zeigen, dass das Vertrauen in Institutionen wie den Obersten Gerichtshof, die Demokratische und die Republikanische Partei und die Präsidentschaft auf einem historischen Tiefstand sind. Und das alles angesichts des aufstrebenden rechtsextremen Flügels der Republikanischen Partei, der den Kampf gegen unsere reproduktiven Rechte, Rechte für Queers und Bürgerrechte anführt.

Während die politische Situation an der Spitze und unter den Politiker:innen rechts ist, gibt es unter der Arbeiter:innenklasse und den unterdrückten Menschen wichtige Verschiebungen nach links.

Es ist ein heißer Sommer der Arbeit:innen. Im vergangenen Jahr haben wir eine Rekordzahl neuer Gewerkschaftswahlen erlebt. Die aufregendsten und dynamischsten davon waren die nationalen Kampagnen zur Organisierung von Starbucks und Amazon. Diese Bewegungen wurden vor allem von jungen Menschen, queeren Menschen und People of Color angeführt, die durch die Bewegung für Black Lives Matter im Jahr 2020 ermutigt und aktiviert wurden. Wir haben die Ablehnung der alten bürokratischen Führungen und das Entstehen neuer linker Bürokratien erlebt, die von Streiks sprechen, aber die Gewerkschaften an die Demokratische Partei binden.

In der Zwischenzeit hat sich die Demokratische Partei weiterhin als Hindernis für die feministische und die Arbeiter:innenbewegung erwiesen, indem sie die Bewegungen erobert hat, als sie noch jung, energisch und dynamisch waren und ihre Anführer:innen geschluckt und ihre Forderungen entschärft hat. Im Sommer 2020 konnten wir beobachten, wie die Demokratische Partei die massiven Proteste für racial justice und die Rechenschaftspflicht der Polizei während des George-Floyd-Aufstandes in „Get-out-the-vote“-Kampagnen für ihre eigenen Kandidat:innen umleitete. Heute operiert die Polizei mit der gleichen Straffreiheit, aber mit noch mehr Beamt:innen und mehr militärischen Anti-Riot-Waffen und Überwachungstechnologie. Das Gleiche ist in den letzten 50 Jahren im Kampf für das Abtreibungsrecht geschehen. Seit Roe v. Wade zum Gesetz des Landes wurde, haben die Demokrat:innen versprochen, das Recht auf Abtreibung in einem Gesetz zu verankern. Dies ist ihnen seit 50 Jahren nicht gelungen. Minuten nachdem der Oberste Gerichtshof Roe v. Wade gekippt hatte und wir dieses Recht verloren hatten, verschickte Nancy Pelosi eine Spenden-E-Mail und sammelte 80 Millionen Dollar für die Demokratische Partei. Selbst fortschrittliche oder demokratisch-sozialistische Mitglieder der Demokratischen Partei sind nicht in der Lage systemische Veränderungen herbeizuführen – die am stärksten links orientierten Mitglieder des Repräsentantenhauses, die „Squad“, stimmen regelmäßig für eine Erhöhung des Militärhaushalts und schicken Milliarden von Dollar an die Armeen Israels und der Ukraine.

Aber die Linke wächst und immer mehr ehemalige Liberale und Progressive werden Zeug:innen der Krisen, aus denen uns die Demokratische Partei nicht zu retten vermag und kommen zu folgenden Schlussfolgerungen:

  • Die liberale feministische Bewegung hat uns im Stich gelassen. Jetzt ist die Zeit für einen sozialistischen Feminismus gekommen.
  • Die bürokratische Arbeiter:innenbewegung, die von der Treue zur demokratischen Partei beherrscht wird, hat uns im Stich gelassen. Jetzt ist es an der Zeit, dass sich die Basis organisiert und eine neue, unabhängige Arbeiter:innenbewegung entsteht.
  • Die Demokratische Partei hat uns im Stich gelassen. Jetzt ist es an der Zeit für eine neue Partei der Arbeiter:innenklasse.

Die Bewegung des sozialistischen Feminismus hat in den Vereinigten Staaten eine lange Geschichte und wir hauchen ihr neues Leben ein. Wir legen ein Programm für freie, sichere, legale Abtreibung auf Verlangen und ohne Entschuldigung vor. Dieses Programm verbindet den Kampf für reproduktive Freiheit mit allen Kämpfen der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten im Kapitalismus: dem Kampf für racial justice und der BLM-Bewegung, dem Kampf für queere und trans* Befreiung, dem Kampf gegen den Militarismus unserer Polizei und gegen den Imperialismus im Ausland, dem Kampf für eine verstaatlichte Gesundheitsversorgung, dem Kampf gegen den Klimawandel, dem Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für die Arbeiter:innenklasse, der Abschaffung der Gefängnisse, der Abschaffung des Senats, des Obersten Gerichtshofs und des Electoral Colleges sowie der Organisation einer unabhängigen Arbeiter:innenpartei. Unsere Theorie der Veränderung basiert auf den Lehren und der Inspiration, die wir aus dem Kampf für Abtreibungsrechte in der ganzen Welt, insbesondere in Argentinien, Mexiko und Irland, gezogen haben und erfordert die Organisation einer kämpferischen Bewegung, die in direkter Konfrontation mit dem Staat auf die Straße geht.

Was ich damit sagen will: Der Kampf in den Vereinigten Staaten für eine Revolution der Arbeiter:innenklasse lernt und wird weiterhin von den Taktiken und Lektionen lernen, die unsere internationale Organisation anwendet. Wir verfolgen die Kämpfe der Arbeiter:innenklasse, die in Ländern wie Großbritannien, Italien, Belgien und hier in Deutschland erwachen. Wir verfolgen auch die massiven Proteste gegen die Sparmaßnahmen und die Verschlechterung der Lebensbedingungen in Sri Lanka, Ecuador und Südafrika sowie den Kampf gegen die Apartheid in Palästina – alles Krisen, die zum Teil vom US-Imperialismus verursacht werden.

Gemeinsam mit allen heute Abend hier vertretenen Gruppen und dem Rest der FT werden wir weiter auf eine internationale Revolution der Arbeiter:innenklasse hinarbeiten.

Ich freue mich, an diesem Wochenende von euch allen zu lernen und das Gelernte an unsere Genossinnen und Genossen in den Vereinigten Staaten weiterzugeben.

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