„Diese Kriegsspiele sind kein defensiver Akt“ – Interview zum israelischen Militärmanöver

13.09.2017, Lesezeit 5 Min.
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Israeli soldiers take part in a military exercise simulating conflict with Lebanese movement Hezbollah, in the Israeli annexed Golan Heights, near the Syrian border on September 5, 2017, in what would be the largest drill in nearly two decades. The drill will last 10 days and simulate "scenarios we'll be facing in the next confrontation with Hezbollah", a defence source said, referring to the Iran-backed Shiite movement. / AFP PHOTO / JALAA MAREY

Droht ein neuer israelischer Angriffskrieg auf den Libanon? Die israelischen Streitkräfte führen ihr größtes Manöver seit 20 Jahren durch. Ein Gespräch mit Irene Mandel (Name geändert), sozialistischer Aktivistin aus Deutschland, die sich momentan in Beirut aufhält.

In diesen Tagen führt Israel das größte Militärmanöver seit fast 20 Jahren durch. Es findet an der Grenze zum Libanon statt und richtet sich ausdrücklich gegen die Hisbollah. Wie ist die Stimmung in Beirut? 

Die Stimmung ist angespannt – das spürt man. Ich habe von vielen Menschen gehört, dass sie einiges, was gerade passiert, an das Jahr 2006 erinnert.

Neben dem Militärmanöver, das Israel zur Zeit an den Golanhöhen durchführt, gab es auch einen weiteren Vorfall. In Sidon, der viertgrößten Stadt im Libanon, kam es zu einer Massenpanik, als israelische Flugzeuge in niedrig über libanesisches Staatsgebiet flogen und dort die Schallmauer durchbrachen. Einige Fensterscheiben gingen dabei zu Bruch und eine Frau soll in Ohnmacht gefallen sein. Bereits in den Monaten zuvor kam es seitens Israel immer wieder zu Überschreitungen libanesischen Hoheitsgebietes. Israel äußert sich wie immer nicht zu solchen Vorfällen.

Für mich war es erstaunlich, wie die Menschen in Beirut reagierten, als zunächst von einem Militärangriff Israels ausgegangen wurde. Nachbar*innen verabschiedeten sich, wünschten sich viel Glück und gingen ruhig in die Keller ihrer Häuser. Krieg ist hier Normalität – etwas, mit dem die Menschen umzugehen wissen. Trotzdem spürt man auch Unruhe, wenn man sich mit den Leuten auf der Straße unterhält.

Ein großes Problem ist, dass die Gesellschaft stark in Schiit*innen und Sunnit*innen gespalten ist – das verhindert, dass es zu so etwas wie gemeinsamen Großdemonstrationen gegen die israelische Aggressionspolitik kommen könnte. Die Lage in Syrien hat das noch verschärft. Während ein großer Teil der sunnitischen Bevölkerung auf der Seite der FSA gegen die Assad-Regierung war, haben sich das libanesische Militär und die Hisbollah an der Seite Assads positioniert und gemeinsam mit Regierungstruppen gegen den „Islamischen Staat“ gekämpft.

Im Jahr 2006 führte Israel bereits einmal Krieg gegen die „Partei Gottes“. Fast 1.200 Zivilist*innen starben damals. Doch trotz der hohen Verluste ging die Hisbollah als Siegerin daraus hervor – Israel konnte zumindest keins seiner Kriegsziele erreichen. Seitdem haben beide Seiten stark aufgerüstet. Im letzten Jahrzehnt hat die Hisbollah ihre Rolle in der Region massiv ausgeweitet. Aber wie schätzt du ihre Position im Libanon ein?

Die Hisbollah spielt eine entscheidende Rolle im Bürger*innenkrieg in Syrien. Auf vielen Schlachtfeldern war es die libanesische Schiitenmiliz, die dem IS entscheidende Schläge verpassen konnte. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Hassan Nasrallah, Anführer der Hisbollah, in einer großen Ansprache die kürzlich verbuchten Gebietsgewinne des syrischen Regimes auch als Sieg der Hisbollah anpreiste.

Jede Konfrontation mit dem israelischen Staat nützt der Hisbollah objektiv. Während des syrischen Bürger*innenkrieges hat die Hisbollah für viele – besonders sunnitische, teilweise auch christliche – Teile der libanesischen Bevölkerung ihre Legitimität als Schutzmacht gegen Israel verloren. Sie wurde immer mehr als Besatzungsmacht gesehen, die im Interesse des Irans Teile des Landes kontrolliert.

Das könnte sich ändern, wenn es zu einem Krieg mit Israel kommt. Der Libanon ist ein Pulverfass, dessen Regierungsämter nach religiösem Proporz besetzt werden. Der Waffenstillstand zwischen der Zukunftsbewegung (der sunnitischen Partei, die zurzeit den Ministerpräsidenten stellt) und der Hisbollah ist immer nur einer auf Zeit.

Was sollen Sozialist*innen in Deutschland über die aktuelle Situation im Libanon wissen?

Mich hat es am meisten überrascht, wie wenig von der aktuellen Lage im Libanon nach Deutschland rübergeschwappt ist. Während ich hier an manchen Tagen das Gefühl hatte, es könnte jederzeit zu einem Krieg kommen, gab es in Deutschland kaum Berichterstattung.

Es ist extrem wichtig, über die militärischen Muskelspiele der israelischen Regierung zu berichten und der Darstellung Israels entgegenzutreten, es würde sich bei ihren Kriegsspielen um einen defensiven Akt handeln.

Der frühere israelische Luftwaffenchef Amir Eschel berichtete der Zeitung Haaretz, dass sie seit 2012 Hisbollah-Truppen in Syrien etwa hundertmal angegriffen hatten. Im selben Zeitraum wurde nicht eine einzige militärische Aktion der Hisbollah gegen Israel bekannt. Wie heuchlerisch ist es denn, dass der israelische Präsident Reuven Rivlin bei einem Staatsbesuch in Berlin gegenüber Kanzlerin Merkel argumentierte, „der ständige Beschuss Israels durch die Hisbollah“ lasse „keine andere Wahl, als entsprechend zu antworten“?

Siehst du Möglichkeiten, neue israelische Angriffskriege zu verhindern? 

Es braucht eine starke Friedensbewegung, sowohl in Israel und im Libanon als auch in den westlichen Ländern, die die israelische Kriegspolitik unterstützen. Es wäre an der Aufgabe von Sozialist*innen im Libanon, die unterschiedlichen religiösen Teile der Bevölkerung zu mobilisieren, ohne den Demonstrationen einen religiösen Charakter zu verpassen. Sowohl die schiitischen als auch die sunnitischen Führer*innen sind nicht in der Lage, die Menschen zusammenzuführen und gegen einen drohenden imperialistischen Angriffskrieg zu vereinen.

Hier gibt es eine Lücke, die von Linken gefüllt werden müsste. Die deutsche Linke sollte in jedem Fall aufmerksam verfolgen, welche Entwicklungen die Lage im nahen Osten nimmt, und an einem Wiederaufbau einer starken Antikriegsbewegung arbeiten.

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