Brot und Rosen

Die Welt schaut auf Argentinien: Dramatische Abstimmung zum Recht auf Abtreibung steht bevor

Hunderttausende waren am 14. Juni in Buenos Aires auf der Straße, als im Abgeordnetenhaus über das Recht auf Abtreibung abgestimmt wurde. Am heutigen Mittwoch steht die Entscheidung im Senat an – doch es sieht nach einer Mehrheit für die Abtreibungsgegner*innen aus. Um das Ergebnis im letzten Moment noch zu beeinflussen, werden wieder massive Mobilisierungen erwartet – unterstützt von Solidaritätsaktionen in der ganzen Welt.

Die Welt schaut auf Argentinien: Dramatische Abstimmung zum Recht auf Abtreibung steht bevor

Die ganze Welt schaut an diesem 8. August auf Argentinien. Um 10:30 Uhr Ortszeit (15:30 Uhr MESZ) begann heute die Sitzung des argentinischen Senats, in der entschieden wird, ob Abtreibungen in Argentinien legalisiert werden oder nicht.

Die vergangenen Wochen waren voll von politischen Manövern, um die Verabschiedung des Gesetzes zu verhindern. Die Führungsriegen der katholischen und evangelischen Kirchen hatten sich an die Spitze der Kampagne gegen das Recht auf Abtreibung gestellt, das Millionen von Frauen fordern.

Am 14. Juni hatte das Abgeordnetenhaus nach einer 20-stündigen Marathonsitzung mit nur vier Stimmen Differenz den Gesetzentwurf gebilligt, der das Recht auf „legale, sichere und kostenfreie Abtreibung“ bis zur 14. Schwangerschaftswoche zusichert.

Diese historische Abstimmung kam nur zustande, weil eine immer größer werdende Frauenbewegung jahrzehntelang das Recht auf Abtreibung eingefordert hat. Bei der Abstimmung im Abgeordnetenhaus waren Hunderttausende auf der Straße und übten so einen enormen Druck aus, der das Ergebnis der Abstimmung beeinflusste.

Ein solcher Druck wird auch heute vonnöten sein. Nach dem Stand von heute früh, hatten sich 37 der 72 Senator*innen gegen den Gesetzentwurf ausgesprochen – und eine Stunde vor Beginn der Debatte kam mit Alperovich ein weiterer Senator hinzu, der seine Ablehnung ausdrückte. Hingegen hatten 31 Senator*innen ein Ja bei der Abstimmung angekündigt, während weitere einzelne Senator*innen entweder der Sitzung fernbleiben, angekündigt haben, sich enthalten zu wollen oder ihre Position gar nicht bekanntgegeben haben.

Als heute früh die Debatte im Senat begann, wurden die Parlamentarier schon von Demonstrant*innen begrüßt. Gegen Abend werden Millionen Menschen in Buenos Aires und verschiedenen Städten des Landes auf die Straße gehen, um das Recht auf Abtreibung einzufordern. Unsere Genoss*innen von Pan y Rosas („Brot und Rosen“) mobilisieren sich und andere dort ebenfalls als Teil dieser Masse – um auf der Straße gemeinsam mit Zehntausenden ein großes Zeichen zu setzen, damit ihnen nicht von dieser Handvoll Senator*innen noch im letzten Moment das Recht wieder entrissen wird, für das sie schon so lange gekämpft haben.

Denn was ist das für eine Demokratie, in der 38 hochbezahlte Frauen und vor allem Männer mit ihrer knappen Mehrheit eine Massenbewegung für Abtreibungsrechte niederstimmen können? Zumal diese 38 Senator*innen sogar formal nur 16 der 40 Millionen Einwohner*innen Argentiniens repräsentieren.

Das Abstimmungsverhalten der Vertreter*innen der großen Parteien basiert auf reinen politischen Machtspekulationen. Sie drehen der Frauenbewegung den Rücken zu, die sich zu Millionen mobilisiert. Die Abwägungen dieser Politiker*innen steht im großen Kontrast zu der Selbstorganisierung der Arbeiter*innen, Schüler*innen und Studierenden, die durch die Bewegung für das Recht auf Abtreibung entstanden ist. Besonders junge Frauen haben die Kampagne in ihre Hände genommen und sich auf der Straße, in den Schulen, in den sozialen Netzwerken ausgedrückt und zum Teil radikale Kampfformen wie Besetzungen angewandt. Sie sind eine Inspiration für Millionen von Menschen.

Vor allem: Die Menschen auf der Straße, die diese „grüne Flut“ der Abtreibungsbefürworter*innen aufgebaut haben, sind nicht nur vereinzelte Individuen. Sie sind organisiert, an den Universitäten und Schulen, in den Fabriken und Betrieben, in den Krankenhäusern und öffentlichen Einrichtungen, in den Supermärkten und Werkstätten. Sie sind organisiert in Gewerkschaften und Studierendenzentren und haben Delegierte in ihren Gremien. Die organisierten Arbeiter*innen haben Druck auf die Gewerkschaftszentralen ausgeübt, um diesen 8. August zu einem Streiktag zu machen. Doch die Gewerkschaftsführungen stellen sich hinter die herrschenden Parteien und damit gegen das Recht auf Abtreibung. Dass sie nicht mobilisieren wollen, zeigt, dass die Selbstorganisierung nicht beim Recht auf Abtreibung halt machen kann, sondern auch diese bürokratischen Führungen überwinden muss, die hinter dem Rücken der Arbeiter*innen mit den Herrschenden verhandeln.

Die Frauen von Pan y Rosas sagen deshalb:

Wenn diese Organisationen nicht die größten Anstrengungen unternehmen, um an diesem 8. August Millionen von Menschen zu mobilisieren, sollen ihre Führungen nie wieder davon reden, dass sie unsere Rechte verteidigen, dass sie für das Recht auf Abtreibung seien, dass sie nicht wollen, dass noch mehr Frauen wegen heimlichen Abtreibungen sterben.

Demgegenüber sind die Anführer*innen der Partei Sozialistischer Arbeiter*innen, die Teil der Front der Linken und der Arbeiter*innen sind, bei allen Mobilisierungen an der Seite der Bewegung. Die Abgeordneten Myriam Bregman, Nathalia Gonzáles Seligra und Nicolás del Caño haben den Gesetzentwurf mit unterzeichnet und haben seit Beginn ihres Mandats mit der Bewegung für das Projekt gekämpft – im Gegensatz zu den anderen Parlamentsfraktionen. Auch heute sind sie gemeinsam mit tausenden Arbeiter*innen und Jugendlichen auf der Straße, um die Verabschiedung des Gesetzentwurfs einzufordern.

Um die Massenmobilisierungen in Argentinien zu unterstützen, gibt es auf der ganzen Welt „Pañuelazo“ genannte Solidaritätsaktionen, so in Bolivien, Costa Rica, Chile, Peru, Mexiko, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich, im Spanischen Staat, in den USA und den Niederlanden, in Japan und in der Schweiz, in Mosambik und Puerto Rico, und vielen anderen Ländern.

Die endgültige Abstimmung wird erst in den frühen Morgenstunden mitteleuropäischer Zeit erwartet, denn es haben sich 64 Redner*innen mit einer Redezeit von jeweils zehn Minuten eingeschrieben.

Was passiert, falls der Senat den Gesetzentwurf ablehnt? Dann kann dieser von der „Nationalen Kampagne für das Recht auf Abtreibung“ gemachte Vorstoß zur Legalisierung, der von Millionen von Menschen in Argentinien unterstützt wird, nach derzeitiger Rechtslage erst in der nächsten Legislaturperiode wieder diskutiert werden. Aber für die „grüne Flut“ gibt es trotzdem kein Stoppen mehr, denn wie die Aktivist*innen vor Ort selbst sagen:

Die Straßen gehören uns, und wir sind für legale Abtreibung jetzt sofort!

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