Die „Pegidaisierung“ der öffentlichen Diskussion

06.02.2016, Lesezeit 8 Min.
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Hatten naive Beobachter*innen im letzten Herbst geglaubt, die AfD zerlege sich im Streit ihrer kleinen Möchtegernführer und -führerinnen, Pegida habe ihren Zenit überschritten und Kanzlerin Merkel habe eine grundlegende Abkehr von ihrer rassistischen Abschottungspolitik eingeleitet, so wurden sie schnell eines Besseren belehrt und auf den harten Boden der Wirklichkeit des deutschen Nationalismus und Rassismus zurückgeholt: Trotz tausender Menschen, die im September Geflüchtete an deutschen Bahnhöfen begrüßten, beschloss die Bundesregierung noch im selben Monat die Einführung von Kontrollen an der Grenze zu Österreich. Merkels Ausspruch „Wir schaffen das!“ bedeutete jetzt in der Praxis „Wir schotten das ab.“

Damit erfüllte die Bundesregierung eine zentrale Forderung des islamophoben Pegida-Gesindels. Kein Wunder, dass die Demonstrationen dieser selbsternannten „Verteidiger des Abendlandes“ wieder Zulauf gewannen. Begleitet wurden diese fremdenfeindlichen Aufmärsche von offenem Straßenterror: In Heidenau ließen die sogenannten Sicherheitskräfte über Tage einen rassistischen Mob gewähren, schlimmer noch, dieser wurde verharmlosend als legitime Meinungsäußerung besorgter Bürger*innen und Asylkritiker*innen dargestellt. In Leipzig-Connewitz terrorisierten während einer Kundgebung des örtlichen Pegida-Ablegers Nazihorden die Anwohner*innen.

In diesem Klima stieg die Zahl von Brandanschlägen auf Unterkünfte von Geflüchteten auf eine neue Höchstzahl an, wie selbst das Bundesinnenministerium einräumen musste. Dabei machte der faschistoide Terror auch nicht vor bewohnten Lagern Halt, fast täglich brennt inzwischen irgendwo in Deutschland ein Obdach von Geflüchteten, die sich nach den Schrecken von Krieg und Flucht nun vor von deutschen Fremdenfeinden gelegten Feuern in Sicherheit bringen müssen. Bei Brandanschlägen bleibt es inzwischen nicht mehr: Anfang Januar wurde im hessischen Dreieich mit einem Gewehr auf ein Lager geschossen. Ein Geflüchteter aus Syrien wurde verletzt. Trotz dieses offensichtlichen Terroraktes verliefen die Ermittlungen bislang im Sande.

Im Rahmen des bürgerlichen Parlamentarismus findet diese sich formierende völkisch-nationalistische Bewegung, die in ihrer sozialen Basis an den historischen Faschismus erinnert, Ausdruck im der AfD. Alle Meinungsumfragen prognostizieren den Einzug der Partei in die Landtage von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen–Anhalt. Im Südwesten könnte die AfD sogar die SPD hinter sich lassen. Somit gelingt es der AfD immer noch, sich als Alternative zu den abgewirtschafteten Parteien der Großen Koalition darzustellen.

Die bürgerlichen machen es der AfD leicht, diesen Eindruck zu erwecken, weil sowohl die Union als auch die SPD im Umgang mit ihr hilflos agieren und der sozialen und nationalistischen Demagogie der AfD nichts entgegenzusetzen haben. Daher verlassen sich die Regierungsparteien allein auf Beschimpfung und Ausgrenzung der AfD. Diese Strategie der Ausgrenzung soll suggerieren, dass zwischen dem demokratischen bürgerlichen Lager und der extremen Rechten prinzipielle politische und ideologische Unterschiede bestünden.

Ein Blick auf die Realität zeigt jedoch, dass eine derartige politische Mauer keineswegs besteht: In ideologischer Hinsicht besteht das einigende Band zwischen Pegida, AfD, Unionsparteien und Sozialdemokrat*innen im deutschen Nationalismus. Es ist dies die Vorstellung, es gebe über alle sozialen und Klassenschranken hinaus so etwas wie ein gemeinsames Interesse aller Deutschen und die Politik möge sich an diesem vorgestellten nationalen Interesse zuvorderst orientieren. Die einzelnen Parteien mögen sich in ihren konkreten politischen Vorschlägen voneinander unterscheiden, gemeinsam ist allen jedoch das Prinzip „Deutschland zuerst“.

Vielfach wird der AfD, zweifellos zurecht, vorgeworfen, unrealistische oder gar demagogische Vorschläge zu unterbreiten. Die bürgerlichen Parteien stehen Frauke Petry und Björn Höcke auf diesem Feld jedoch in nichts nach. Insbesondere die CSU tut sich hierbei hervor. Auch liberale Beobachter haben darauf hingewiesen, dass die Einführung einer von Seehofer geforderten Obergrenze für Flüchtlinge nur zum Preis einer vollständigen Abschaffung der kümmerlichen Reste des Asylrechtes und dem Bruch internationaler Vereinbarungen und Verträge zu haben wäre.

Darüber hinaus haben die Christsozialen einen weiteren reaktionären Vorschlag aus der politischen Mottenkiste hervorgeholt: die Festlegung der Verfassung auf eine deutsche Leitkultur. Diese Idee eignet sich deshalb so hervorragend für demagogische Politik, weil man darunter alles und nichts verstehen kann. Ist es etwa jene bierselige Gemütlichkeit, die sich auf dem Münchner Oktoberfest, der Erlanger Bergkirchweih oder dem Straubinger Gäubodenfest ausbreitet und nicht selten in Chauvinismus und Sexismus umschlägt?

Es ist bezeichnend, dass die CSU glaubt, mit diesem Thema bei einem Plebiszit gegenüber der Konkurrenz punkten zu können. Wie auch immer der Ausgang sein wird, er wird reaktionären Politiker*innen aller Couleur die Bühne bereiten, auf der sie sich mit nationalistischen Vorschlägen zu profilieren versuchen.

CSU-Generalsekretär Scheuer hat bereits einen Vorgeschmack auf die absehbare Debatte gegeben. Ihm dauert ein kurzer Prozess noch zu lange und er fordert, dass schon der Verdacht einer Straftat ausreichen solle, um eine*n Ausländer*in abzuschieben. Anscheinend gehört für den kleinen Doktor die Unschuldsvermutung – immerhin ein von Apologet*innen bürgerlicher Rechtssicherheit hochgelobtes Prinzip – nicht zum Kernbestand der deutschen Leitkultur.

Dabei handelt es sich nicht um einen Ausrutscher eines bayerischen Bierdimpfl, sondern Scheuer bewegt sich auf dem gewöhnlichen Diskursniveau der Union. Die NRW-CDU forderte eine flächendeckende Sicherheitsüberprüfung sämtlicher in NRW lebender Asylbewerber*innen. Es ist offensichtlich, dass Refugees, Einwander*innen und damit auch alle Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund in einen Zusammenhang mit Kriminalität gebracht werden und somit zu einer Gefahr für die Gesellschaft erklärt werden sollen.

Da ist es nur folgerichtig, dass CDU-Generalsekretär Tauber fordert, in den nächsten Monaten mehrere hunderttausend Ausländer*innen auszuweisen. Auch bei dieser Forderung geht es in erster Linie darum, das Feindbild „Ausländer“ weiter und tiefer zu verankern.

Bei dieser „Pegidaisierung“ der öffentlichen Diskussion will auch die SPD nicht nachstehen. Ihr Vorsitzender Gabriel schlug vor, allen Geflüchteten – auch der Minderheit der offiziell anerkannten – in Zukunft den Wohnort vorzuschreiben, angeblich, um eine Ghettobildung zu verhindern. Auch diese Idee zeigt, dass inzwischen alle sozialen Probleme der kapitalistischen Gesellschaft zu einem angeblichen Ausländer*innenproblem umgelogen werden. Solange Grundbedürfnisse, wie zum Beispiel angemessener Wohnraum, in einem Wirtschaftssystem in erster Linie eine Quelle des Profites sind, werden Lohnabhängige immer in gewisse Quartiere abgedrängt werden. Es ist perfide, dass gerade ein Sozialdemokrat Geflüchtete dafür verantwortlich macht. Refugees sind nicht unsere Konkurrent*innen, sondern Bündnispartner*innen der Arbeitenden, Student*innen und Jugendlichen im Kampf gegen Wohnungsnot, Gentrifizierung und steigende Mieten.

Die rassistische Welle der letzten Wochen wird auch missbraucht, um den staatlichen Repressionsapparat weiter auszubauen und zu legitimieren. Besonders im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen sind inzwischen Polizeirazzien in Flüchtlingslagern an der Tagesordnung. Ebenfalls werden mehrheitlich von Einwander*innen bewohnte Stadtviertel öffentlichkeitswirksam von Polizei-Sondereinheiten überfallen und terrorisiert. Selbst die konservative FAZ musste einräumen, dass die polizeiliche Ausbeute der Aktionen in keinem Verhältnis zum Aufwand stand. Darum ging es wohl auch weniger. Eher sollte einerseits das Bild der kriminellen Ausländer*innen vertieft werden, andererseits soll sich die Gesellschaft als Ganzes an die Präsenz hochgerüsteter Polizeitruppen in den Stadtzentren gewöhnen.

Diese Militarisierung des öffentlichem Raumes geht einher mit dem verstärkten Einsatz der Bundeswehr zur Durchsetzung der imperialistischen Interessen des deutschen Staates im Mittleren Osten und Afrika. Dem wichtigsten politischen Verbündeten von Kanzlerin Merkel in der Union, Finanzminister Schäuble, war es vorbehalten einen weiteren Lieblingsvorschlag reaktionärer Politiker*innen erneut in die Diskussion einzubringen: den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Selbst Schäuble wird nicht glauben, ein Leopard-Panzer auf der Kölner Domplatte könne einen einzigen sexuellen Übergriff oder Taschendiebstahl verhindern. Eher geht es darum, die Gesellschaft weiter zu militarisieren und staatliche Repression zur Lösung sozialer Probleme wie Kriminalität zu propagieren.

Dabei vollzieht sich der Einsatz der Bundeswehr im Inneren bereits, wenn auch eher schleichend. So wird die Mehrheit der Erstaufnahmezentren für Geflüchtete schon heute von der Bundeswehr betrieben.

Auch dies ist ein weiterer Hinweis dafür, dass eine Militarisierung nach Außen mit verstärkter Repression im Inneren verbunden ist. Derzeit wird diese Repression in erster Linie mit rassistischen Argumenten legitimiert, die es zurückzuweisen gilt. Refugees sind keine Konkurrent*innen, sondern Mitstreiter*innen im Kampf für ein besseres Leben. Diese Einsicht gilt es, zuvorderst in den Organisationen der Arbeiter*innenbewegung und den Gewerkschaften zu verbreiten. Nur so können wir der „Pegidaisierung“ der Gesellschaft etwas entgegensetzen.

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