„Die Flucht von Ort zu Ort ergab für uns keinen Sinn“

07.04.2022, Lesezeit 4 Min.
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Bild: Leonhard Lenz

Schutz suchen vor dem Krieg: Über den Weg eines nigerianischen Studenten aus Kiew. Ein Gespräch mit Chima Ikechukwu.

Chima Ikechukwu kommt aus Nigeria, hat in Kiew studiert und ist nach Kriegsbeginn in die BRD geflohen

Sie haben in Kiew studiert, als der Krieg in der Ukrai­ne begann. Ihre Flucht führte Sie unlängst nach Deutschland. Bevor Sie darüber berichten: Wie kam es dazu, dass Sie in die Ukraine gegangen sind?

Ich komme aus Nigeria und bin erst vor kurzer Zeit nach Kiew gereist. Es war das erste Mal, dass ich mein Heimatland verlassen habe. Ich wollte sehen, wie das Leben auf der anderen Seite der Welt ist. Ich kam mit der Absicht, eine Ausbildung zu machen und neue Menschen kennenzulernen. Einige meiner Freunde waren auch schon in die Ukraine gegangen. Ein Jahr lang habe ich einen Sprachkurs gemacht und bin dann zu meinem Hauptstudiengang „Logistik und Transport“ gewechselt. Mein Aufenthaltsstatus lautete „vorübergehend aufenthaltsberechtigt“.

Wie haben Sie die Tage vor Beginn des Krieges erlebt?

Ich hatte das starke Gefühl, dass der Krieg kommen würde, auch wenn die Leute so taten, als würde nichts passieren. Ich hatte bereits Vorkehrungen getroffen, um das Land zu verlassen und zurück nach Nigeria zu fliegen. Nur wurden meine Fluchtpläne im letzten Moment durchkreuzt, weil ich positiv auf Corona getestet wurde. Ich war schockiert, als ich davon erfuhr.

Am vierten Tag meiner Quarantäne, es war sehr früh am Morgen, schallte eine sehr laute Explosion durch die Stadt. Mein Bett vibrierte und bewegte sich durch den Raum, dazu schüttelte mich die Angst. Überall heulten Autoalarme und Sirenen. Im Nu war die ganze Straße voller Autos mit Menschen, die versuchten, aus der Stadt herauszukommen.

Auch Sie flüchteten dann gemeinsam mit Freunden. Wohin wollten Sie gehen?

Erst einmal haben wir versucht, nach Polen zu kommen, aber wir durften nicht einreisen. Nur ukrainische Bürger durften das. Dann haben wir es an der ungarischen Grenze versucht. Dort durften wir passieren. In Ungarn sagten sie uns, wir dürften hier nur einen Monat bleiben. Wir merkten, dass wir nicht willkommen sind, und machten uns auf den Weg nach Berlin. Am Berliner Hauptbahnhof begegneten wir einem Mann, der uns Medikamente, Essen und einen Schlafplatz gab. Am nächsten Tag mussten wir weiter nach Stuttgart und dann nach Kaiserslautern, wo wir Leute kannten.

Die Flucht von Ort zu Ort ergab für uns keinen Sinn. Es gab keine Per­spektive, bis zum Ende des Kriegs in Deutschland zu bleiben. Ich beschloss dann, vom Flughafen Frankfurt am Main zurück nach Nigeria zu fliegen. Da ich kein Geld für den dafür notwendigen PCR-Test hatte, half mir unser Berliner Unterstützer aus. Das Ergebnis war negativ. Als ich am Flughafen eincheckte, wurde ich aufgefordert, eine Reisegenehmigung bezüglich der Coronaregeln für Nigeria vorzulegen. Ich sagte dem Mitarbeiter, dass ich aus der Ukraine komme und nicht weiß, was das für ein Dokument sein soll. Er untersagte mir, an Bord zu gehen. Das noch größere Problem: Es gab keine Möglichkeit für mich, aus dem Gate heraus zurück nach Deutschland zu gelangen. Ich hatte nur eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung in der Ukraine, damit durfte ich nicht in die BRD. Ich steckte also fest. Und so suchte ich mir einen Platz auf dem Flughafen und schlief dort eine Nacht lang.

Wie ging es am nächsten Tag weiter?

Ich rief erneut bei der Airline an, um meinen Flug umzubuchen. Das kostete nochmals Hunderte Euro, die mir Freunde schickten. Auch brauchte ich wieder einen PCR-Test und machte mich auf den Weg zum Flughafenlabor. Das erschreckende Ergebnis: positiv. Der Laborarzt rief die Grenzpolizei, diese sollte mir helfen. Die Beamten kamen und verlangten meine Aufenthaltsgenehmigung und meinen Reisepass. Ich musste zudem alle meine Zugfahrkarten vorlegen. Dann wurde ich fünf Tage zur Isolation in einem Hotel untergebracht, bis ich endlich meinen Flug nach Nigeria antreten konnte.

Wie geht es Ihnen heute?

Ich bin sehr froh, endlich in Sicherheit zu sein. Langsam plane ich wieder meine Zukunft. Ich würde gerne wieder in ein sicheres Europa zurückkehren, um mir ein neues Leben aufzubauen.

Dieses Interview erschien erstmals am 1. April in der Jungen Welt.

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