Die Arbeitslosigkeit sinkt – das Kapital jubelt

06.11.2015, Lesezeit 5 Min.
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// Die Zahl der Arbeitslosen sinkt offiziell auf 2,6 Millionen und ist damit so niedrig wie zuletzt 1991. Diese „Rekordzahl“ beruht auf Prekarisierung, Zwangsmaßnahmen und Schönrechnerei. Was bedeutet sie für die Arbeiter*innen und das deutsche Kapital? //

Die bürgerlichen Medien jubilieren – die Zahl der offiziellen Arbeitslosen war im Oktober so niedrig wie seit 1991 nicht mehr. Es wurden insgesamt 2,6 Millionen Menschen als arbeitslos gezählt. Das bedeutet eine Arbeitslosenquote von 6 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen war seit den Neunziger Jahren mehr oder weniger kontinuierlich gestiegen und erreichte im Jahr 2005 ihren Höchststand bei 4,8 Millionen. Seitdem sinkt die offizielle Arbeitslosigkeit wieder. Dabei ist das deutsche „Jobwunder“ auf massiver Prekarisierung, Zwangsmaßnahmen und Verschleierung gebaut.

Prekarisierung und Verschleierung

Denn hinter dieser „Rekordzahl“ steckt viel Schönmalerei: Menschen, die älter als 58 sind, werden nicht gezählt, ebenso wenig Ein-Euro-Jobber*innen und Menschen in Maßnahmen des Jobcenters. Und das sind nur ein paar der Tricks, mit denen die Statistiken schöngerechnet werden. Gar nicht erfasst sind Menschen, die es aufgegeben haben, Arbeit zu suchen und sich deshalb nicht arbeitslos melden. Nach Rechnungen der Linkspartei sind das insgesamt mindestens eine Millionen Arbeitslose, die nicht als solche angegeben werden.

Wichtiger ist aber noch die Zahl derjenigen, die in den letzten Jahren in sogenannte atypische Beschäftigungsverhältnisse gedrängt wurden: Das bedeutet massenweise Befristung, Scheinselbstständigkeit und Leih- und Teilzeitarbeit. Das Sinken der Arbeitslosenzahlen begann entsprechend kurz nach Inkrafttreten der Hartz-Reformen. Nach dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Forschungsinstitut der Arbeitsagentur, arbeiteten 2014 57,8 Prozent der Frauen nur in Teilzeit, ebenso wie 20 Prozent der Männer. Damit hat sich die Quote der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, seit 1991 verdoppelt, die Quote der Männer sogar vervierfacht. Ein Großteil von ihnen hätte gerne einen Vollzeitjob. Sie leiden also unter einer erzwungenen verschleierten Arbeitslosigkeit. 2013 mussten 1,2 Millionen Menschen aufstocken, obwohl sie arbeiteten. Es gibt immer mehr schlecht bezahlte und unsichere Jobs. Das lässt die Arbeitslosenzahlen sinken und das Kapital jubeln.

Konjunktur und Imperialismus

Das niedrige Niveau der Arbeitslosenzahlen wird auch als Anzeichen für die Stärke der deutschen Wirtschaft gewertet. Und das in einer Zeit, in der die Weltwirtschaft schwächelt: Die Wachstumserwartungen der chinesischen Wirtschaft werden immer wieder nach unten korrigiert, die Rohstoffpreise fallen, die Finanzmärkte schwanken und der VW-Skandal hat die enorm wichtige Autoindustrie angeschlagen. Diese relative Stabilität der Konjunktur in Deutschland liegt an einem Akkumulationsregime, das einerseits auf dem massiven Umbau des deutschen Arbeitsmarktes durch die Agenda 2010 beruht. Das deutsche Kapital hat es geschafft, immer mehr Menschen durch das Jobcenter gefügig zu machen und sie der Überausbeutung zu unterwerfen. Auch die Gewerkschaftsbürokratie hat einen großen Anteil daran gehabt, indem sie die Stahlriemen enger zog, mit denen sie die Arbeiter*innen in die Passivität zwingt. Sie hat Massenentlassungen und Prekarisierung ohne Gegenwehr zugelassen. Andererseits beruht die Stabilität auf dem imperialistischen Einfluss des deutschen Kapitals auf die europäische Peripherie und darüber hinaus. Der „Exportweltmeister“ Deutschland unterwirft sich Märkte, um die Produkte, die die prekarisierten Arbeiter*innen ihm zu unschlagbaren Preisen herstellen, abzusetzen und überschüssiges Kapital zu verwerten. Doch die düstere Neuigkeiten über die Wirtschaftskonjunktur häufen sich. So sanken die Bestellungen in den letzten drei Monaten um insgesamt 5,7 Prozent – seit 2011 kam es nicht mehr zu einer solch langanhaltenden Flaute. Das macht deutlich, dass die wirtschaftliche Stabilität der deutschen Wirtschaft im Rahmen der Weltwirtschaftskrise nicht auf Dauer sein kann, sondern schon aufgrund ihrer internationalen Bedingungen „fragil“ ist.

In den meisten Artikeln der bürgerlichen Medien über die niedrigen Arbeitslosenzahlen wird auch immer über den zukünftigen Einfluss durch Geflüchtete spekuliert. Laut einer Umfrage erwarten 44 Prozent der Deutschen, dass die Arbeitslosenzahlen in der Zukunft (stark) steigen werden – und zwar durch den Zuzug von Geflüchteten. Gleichzeitig wird die Rekordzahl medial gefeiert. Dass die Arbeitslosenquote durch mehr Geflüchtete steigen könnte, wird jetzt also schon benutzt, um die Spaltung zwischen den Arbeiter*innen voranzutreiben. Dabei ist die Situation am Arbeitsmarkt Ausdruck davon, dass das Kapital seine Profite auf dem Rücken der Ausgebeuteten und Unterdrückten erhöht und im imperialistischen Wettbewerb brilliert. Die Stärkung unseres Gegners kann nie zu unseren Gunsten sein.

Arbeitslosigkeit, bedeutet für den, der sie erlebt, Elend und Ausgrenzung – sie ist selbst Ergebnis dieses kapitalistischen Systems, welches wir nur gemeinsam stürzen können. Wenn die Kapitalist*innen die Arbeitslosigkeit nur durch Prekarisierung und Verfälschung „bekämpfen“ können, dann deshalb, weil jede echte Maßnahme ihre Interessen angreifen würde. So stößt schon die einfache Forderung nach der Aufteilung der Arbeit auf alle Arbeiter*innen (zu denen auch die Geflüchteten zählen, denen das Arbeitsrecht entzogen ist) bei gleichem Lohn an die Grenzen des kapitalistischen Systems.

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