Der perfekte Präsident fürs deutsche Regime: Der graue Bürokrat der Folterkammer

17.11.2016, Lesezeit 5 Min.
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Das Amt des Bundespräsidenten geht an den Vertreter von Hartz-IV und deutschen Kriegseinsätzen, Frank-Walter Steinmeier.

Mit betrübtem Blick lauscht ein offensichtlich sozialdemokratisches Publikum dem Kabarettisten Marc-Uwe Kling. Der trällert auf der Bühne vor sich hin:

Wer hat uns verraten? Ja waren das nicht – Sozialdemokraten? So sangen Kurnaz in Guantanamo und manch Bombenopfer im Kosovo.

Marc-Uwe Kling schafft damit nicht nur der SPD ein musikalisch aktualisiertes Denkmal. Seine Zeilen richten sich auch direkt an Frank-Walter Steinmeier, der nun Bundespräsident werden wird. Dessen Lebenslauf liest sich beeindruckend:

Als Koordinator für die Nachrichtendienste und Kanzleramtschef unter Schröder wirkte Steinmeier an den Kriegen im Kosovo und Afghanistan mit. Murat Kurnaz ließ er unschuldig vier Jahre lang in einer Folterkammer in Guantanamo verrotten, obwohl die USA die Überstellung nach Deutschland angeboten hatten. Als Stratege im Hintergrund unter Schröder wirkte er an der Konzeption der Agenda 2010 mit. Im ersten und im dritten Kabinett von Merkel bekleidete er den Posten des Außenministers. Damit verkörpert er wie kaum ein*e andere*r die wichtigsten Projekte des deutschen Imperialismus seit der Amtszeit Gerhard Schröders.

Fortführung der Großen Koalition

Am Montag verkündeten nun die Parteivorsitzenden der großen Koalition, Merkel, Seehofer und Gabriel, dass Steinmeier ihr gemeinsamer Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten wird. Viele Beobachter*innen werten die Wahl des SPD-Spitzenmannes als Niederlage für Merkel. Tatsächlich zeigte sich, dass die Union keine*n geeignete*n Kandidat*in aufstellen kann.

Die CDU ist auf Merkel zugeschnitten. In ihrem Schatten gibt es kaum genug Personen mit dem nötigen Format. Zudem ist die CSU auf ihre eigene Profilierung aus – eine Präsidentenwahl ist mit diesen Rechtsabweichler*innen schwierig. Also tritt ein SPD-Kandidat ganz staatstragend das Amt an.

Steinmeier als Ergebnis ist auch ein persönlicher Coup von Parteichef Gabriel. Dieser hatte sich in den vergangenen Wochen schon mehrmals durch persönliche Machtspielereien in den Mittelpunkt gestellt. Damit bereitet er sich auf die Kanzlerkandidatur im folgenden Jahr vor. Aber viel mehr ist es ein Fingerzeig auf die Fortführung der großen Koalition über die nächste Bundestagswahl 2017 hinaus. Statt einem Parteilosen soll nun einer aus der Mitte der politischen Führungsriege das Amt übernehmen.

Der bisherige Präsident Joachim Gauck ist ein nicht minder reaktionärer Pfaffe. Genau wie Steinmeier steht er voll hinter dem deutschen Imperialismus. Gauck spielte eine entscheidende Rolle bei der Neudefinierung der Rolle des deutschen Militarismus in der Welt – sein Aufruf auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2013, „mehr Verantwortung zu übernehmen“, gilt noch heute als Divise der deutschen Außenpolitik.

Doch darüber hinaus setzte er kaum eigene Akzente. Seine Aufgabe war es, sich mit den Lorbeeren der „Bürger*innenrechtsbewegung“ in der DDR schmückend, als humanistisch-konservatives Aushängeschild in feierlichen Sonntagspredigten die BRD zu präsentieren. Als bügerlich-konservativer Wunschkandidat von Grünen bis Union war er ein Element zur Herstellung einer möglichst großen Einheit im deutschen Parteiensystem, während er mit hohlen pastoralen Phrasen den gesellschaftlichen Zusammenhalt beschwor – außerdem eine Abkehr von den instabilen Experimenten Köhler und Wulff.

Zugespitzte Weltlage

Bei der Vorstellung seiner Kandidatur im Reichstag bezeichnete Steinmeier den Brexit, die Vorgänge in der Türkei und die Wahlen in den USA als „politische Erdbeben“. Für das deutsche Regime ist damit die Zeit gekommen, den klerikalen Schwätzer im höchsten Staatsamt durch einen  außen- wie innenpolitisch erfahrenen Verwalter zu ersetzen.

Gleich am Tag nach dem Bekanntwerden seiner Kandidatur stellte Steinmeier zur Schau, wohin der Kurs geht. Bei einem Staatsbesuch in der Türkei sagte er: „Wir stehen zusammen gegen Terrorismus, egal ob er vom ‚Islamischen Staat‘ oder der PKK ausgeht.“ Er betonte dabei, dass die kurdische Bewegung auch in Deutschland verfolgt werde. Aus seiner Amtszeit als Außenminister wird er die Kontinuität mitnehmen, auch mit den reaktionärsten Diktaturen eng zusammenzuarbeiten.

Damit setzt er auch ein Signal in der Phase der Ungewissheit durch die neue Ausrichtung der US-Außenpolitik. Das deutsche Regime stellt sich darauf ein, in einer komplizierteren Zusammenarbeit mit Trump stärker auf eine eigene Positionierung angewiesen sein. Steinmeier, der Trump vor der Wahl als Hassprediger bezeichnet hat, bringt die nötige außenpolitische Erfahrung und Bekanntheit mit. Seine Kandidatur als Bundespräsident zeigt, dass die Regierung gewillt ist, im Vergleich zu Gauck ein politisches Schwergewicht als Staatsoberhaupt einzusetzen. Der frühere Foltergehilfe soll jetzt das Land präsentieren.

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