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Der 9-Euro-Fonds ist keine sinnvolle Alternative

02.09.2022, Lesezeit 4 Min.
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Foto: Andrey Klyukshin / shutterstock.com

Gerade kursiert in der deutschen linken Instagram Bubble eine Initiative: der 9 Euro Fonds. Wie fortschrittlich ist das?

Das Prinzip:

“Ab September kann jede:r für 9 € pro Monat Mitglied werden. Wirst Du bei einer Kontrolle ohne gültigen Fahrschein angetroffen, bezahlt Dir der Fonds das erhöhte Beförderungsentgelt. Du musst uns nur die Zahlungsaufforderung des jeweiligen Verkehrsunternehmens zusenden und wir überweisen das Entgelt für dich.

Achtung: Das Fahren ohne gültiges Ticket ist immer eine Straftat – auch, wenn das erhöhte Beförderungsentgelt im Anschluss bezahlt wird. Verkehrsbetriebe bringen die Straftat nach Zahlung nur bislang häufig nicht zur Anzeige. Darauf solltest du dich aber nie verlassen!”

Die selbsternannte “solidarische Ticketversicherung” fordert einen Ausbau des ÖPNV, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern, die Einstellung von mehr Personal und eine Umverteilung von Geld. Es bleibt jedoch unbeantwortet, wer diese Veränderungen durchsetzen soll. Die Ampel-Regierung, die nicht mal das 9-Euro-Ticket länger als drei Monate gegönnt hat? Sollen es die Gewerkschaften erkämpfen? Oder die Verkehrsbetriebe selbst umsetzen?

Aber wo liegen die Grenzen?

Die Aufforderung dazu, sich ohne Fahrschein kontrollieren zu lassen, ließ zuerst komplett außen vor, dass es so etwas wie Racial Profiling gibt. Rassifizierte Menschen werden viel häufiger kontrolliert und sind öfter Opfer rassistischer Gewalt durch Sicherheitspersonal. Diese Kritik wurde zwar angenommen und ein Statement hierzu wurde bereits veröffentlicht. Doch ob das nun am wirklichen Verständnis der Initiator:innen liegt oder nur an der massenhaften Kritik, die sie diesbezüglich bekamen, ist nicht ganz klar. Offensichtlich ist nämlich, dass trotz dieses Statements keine Hilfen für diese Probleme genannt werden und dass der 9-Euro-Fonds immer noch als inklusive Alternative gelabelt wird. Doch wie inklusiv ist eine Alternative wirklich, die u. A. genau für diejenigen eine Strafanzeige riskiert, die sowieso ständig mit gesetzlichen Problemen zu kämpfen haben aufgrund ihrer Herkunft?

Es sind tausende Menschen derzeit im Gefängnis wegen “Erschleichung von Leistungen” – also Schwarzfahren. Nicht, weil sie alle die Kosten nicht bezahlen konnten, sondern weil Kontrollen immer noch nach rassistischen Prinzipien stattfinden. Bei vielen Menschen wird daher auch trotz Zahlung des Strafgeldes eine Anzeige erstattet, gerade wenn Menschen bei der Kontrolle kaum oder kein Deutsch sprechen.

Wenn die Strafe nicht gezahlt werden kann, kommt es zu gerichtlichen Mahnverfahren bis hin zu Ersatzfreiheitsstrafen. Je nach Anhäufung der Anzeigen wegen Erschleichung von Leistungen kann auch eine generelle Haftstrafe die Folge sein.

Dieser Fond hört sich für Menschen, die von dem deutschen Strafverfolgungssystem nicht viel verstehen oder die bei Kontrollen problemlos davon kommen, verlockend und gut an. So sehr diese Initiative einigen Menschen vielleicht helfen mag, umso mehr kann sie für viele Andere zum Verhängnis werden. Es ist und bleibt nämlich ein offener Aufruf zur potentiellen Straftat. Das kann und darf nicht die Alternative zum 9-Euro-Ticket sein!

Staatliche Verantwortung wird ausgeklammert

Aber nun der eigentlich wichtigste Punkt: Die staatliche Verantwortung. Diese Kampagne ruft dazu auf, dass WIR die Defizite des Staates ausbügeln. Wir sollen zahlen, weil der Staat es nicht will. Sollte unsere Forderung nicht viel mehr sein, das 9-Euro-Ticket zu verlängern und letztendlich einen kostenlosen ÖPNV für alle zu erreichen?

Nach vermehrter Kritik haben die Initiator:innen des Fonds ein Statement veröffentlicht, in welchem sie sich dafür einsetzt, dass das im Dritten Reich entstandene §265a Strafgesetzbuch (StGB) gestrichen wird. Dieser Paragraph legt fest, dass das Erschleichen von Leistungen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden kann. Trotzdem arbeitet die Initiative mit den beschriebenen Umständen – unter vollem Bewusstsein darüber, welche Konsequenzen es für alle Beteiligten haben kann.

Warum sollten wir darauf pokern, Strafen zu bezahlen oder sogar im Gefängnis zu landen, für etwas, das ein Anrecht jedes Menschen sein sollte? Die unmittelbare Konsequenz zum Ende des 9-Euro-Tickets und den allgemein durch die Inflation steigenden Preisen sollte Protest auf den Straßen sein!

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