Chicago: Streiken Lehrer*innen bald für eine bessere Schule?

24.12.2015, Lesezeit 4 Min.
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Am 9. Dezember haben sich die Lehrer*innen in Chicago in einer Urabstimmung für Arbeitskampfmaßnahmen ausgesprochen. Vor drei Jahren hatten sie bereits in einem historischen Streik neun Tage lang die Arbeit niedergelegt.

Lehrer*innen in der „windigen Stadt“ Chicago haben Lust auf Streik: 96% der Abstimmenden der drittgrößten Lehrergewerkschaft der USA haben dafür gestimmt, bei den anstehenden Verhandlungen zu Streiks aufzurufen. Das sind 88 % der Mitgliedschaft.

Bereits die letzte Tarifrunde im Jahr 2012 wurde von Streiks begleitet. Damals legten die Lehrer*innen neun Tage lang die Arbeit nieder. Dabei bekamen sie starken Gegenwind von der demokratischen wie auch von der republikanischen Partei. Auch linksliberale Medien wie die New York Times oder traditionell gewerkschaftsnahe Zeitungen wie The Nation unterstützen damals wie auch heute die demokratische Regierung von Chicago. Mit der neuen Urabstimmung senden die Chicagoer Lehrer*innen erneut ein kämpferisches Signal aus. Sie fordern u.a. eine Reduzierung standardisierter Tests, kleinere Klassen sowie ausreichend Personal an Schulen, zu denen neben Lehrer*innen für Musik, Kunst und Naturwissenschaften auch Bibliothekar*innen gehören.

Die Auseinandersetzung vor drei Jahren war die erste Arbeitsniederlegung im öffentlichen Dienst der Stadt seit 25 Jahren. Mit seiner Dynamik hatte der Streik große Bedeutung für die Gewerkschaften des Landes, die sich seit Jahrzehnten auf dem Weg von Niederlage zu Niederlage befanden.

Warum sind sie so kämpferisch?

Ein wichtiger Grund für den Mut der Pädagog*innen ist, dass sie nicht allein in ihrem Kampf waren. Ihnen ist es gelungen, die Unterstützung von mehr als der Hälfte der Chicagoer Bevölkerung zu gewinnen. Dieser Erfolg in der ansonsten wenig gewerkschaftsfreundlich gesinnten Bevölkerung hat verschiedene Gründe. Der Arbeitskampf drehte sich in erster Linie um die Arbeitsbedingungen der Lehrer*innen selbst. Doch die Streikenden stellten auch bildungspolitische Forderungen auf, wie u.a. die einer besseren Finanzierung des öffentlichen Schulsystems.

Auf diese Weise wurde die jahrelange neoliberale Kürzungspolitik beider großer Parteien angegriffen. Zugleich setzten sie sich damit auch für die Interessen der gesamten Chicagoer Arbeiter*innenklasse ein. Solche Positionen sind auch Ausdruck einer breiten Bündnispolitik, die die Lehrer*innen seit 2010 praktizieren. Diese entstand im Rahmen eines größeren Kurwechsels in der Gewerkschaftspolitik.

2010 kam es zur Wahl der Chemielehrerin Karen Lewis als Präsidentin der Gewerkschaft CTU. Sie war Kandidatin des basisdemokratischen Lehrer*innenausschusses (Caucus of Rank and File Educators, CORE), nachdem die Gewerkschaftsführung in den Jahren davor mehrmals hintereinander abgesetzt wurde. Diese linke und kämpferische Strömung war einige Jahre zuvor als lose Gruppierung von Lehrer*innen entstanden. Eine zentrale Frage für sie war und ist die Politik der Stadt, reihenweise öffentliche Schulen zu schließen, um sogenannte „Charter-Schools“ zu eröffnen, die als Privatschulen öffentlich teilfinanziert werden. Die alte Gewerkschaftsführung hatte diesbezüglich nichts unternommen.

Die neue CTU-Führung setzt seitdem auf Bündnisse mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und auch auf die Selbstorganisierung der Gewerkschaftsbasis im Streik und darüber hinaus. Die hierfür veranstalteten Bildungsseminare und Kampagnen werden mit Mitteln finanziert, welche durch die Kürzung der hohen Gehälter der Gewerkschaftsfunktionär*innen frei werden.

Wie muss es weitergehen?

Um die gegenwärtige Dynamik trotz des steigenden Drucks der Regierung langfristig zu erhalten, wären jedoch weitere Maßnahmen notwendig. Beispielsweise ist es wichtig, dass Funktionär*innen – auch sehr linke und kämpferische Funktionär*innen – jederzeit wieder abgewählt werden können, um den Missbrauch von Führungspositionen zu vermeiden. Über Forderungen und Streiks sollte die Gewerkschaftsbasis in Versammlungen entscheiden.

Um die tatsächliche Kampfkraft zu erhöhen, müssten die Aktiven über die Koordinierung mit anderen gesellschaftlichen Gruppen hinausgehen und auf gemeinsame Streiks hinarbeiten. Angesichts des Austeritätspolitik im ganzen Land kann sich das Ziel der Lehrer*innengewerkschaft nicht auf die Verteidigung des öffentlichen Schulsystems beschränken, sondern müsste gemeinsam mit anderen Sektoren die Kapitalist*innen und ihren Staat angreifen, die diese Politik hervorruft und durchsetzt.

Die demokratischen und kämpferischen Ansätze von CORE sind ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, auch wenn sie den Bürokratismus der Gewerkschaften nicht komplett in Frage stellen. Lehrer*innen in Deutschland – gerade die benachteiligten angestellten Lehrer*innen, die seit Jahren für Gleichberechtigung kämpfen – können sich an ihren Kolleg*innen in Chicago ein Beispiel nehmen.

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