Bundesregierung lässt kurdische Frauen und Jugendliche verfolgen

10.03.2017, Lesezeit 5 Min.
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Nach einem Erlass der Bundesregierung vom 2. März soll das Zeigen von Symbolen von Organisationen und Institutionen, denen Nähe zur kurdischen Arbeiterpartei PKK unterstellt wird, strafrechtlich verfolgt werden. Damit beteiligt sich Merkels Regierung vor dem Referendum über das Präsidialsystem in der Türkei an den unterdrückerischen Maßnahmen Erdoğans gegen die kurdische Bewegung.

Nach der Inhaftierung des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel überschlägt sich die Ablehnung aller Zeitungen, Parteien und Spitzenpolitiker*innen gegen Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsangehöriger in Deutschland. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte Deutschland vorgeworfen, dass „Eure Praktiken sich nicht von früheren Nazi-Praktiken unterscheiden“. Damit hatte er eine mittlere, diplomatische Krise zwischen Ankara und Berlin ausgelöst. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte am Donnerstag in einer Bundestagsansprache: „Nazi-Vergleiche sind traurig, deprimierend, deplatziert, unwürdig.“

Verfolgung von Kurd*innen als ein „freundschaftliches Verhältnis“

Dennoch wolle die Bundesregierung „Schritt für Schritt“ zu einem freundschaftlichen Verhältnis zurückkehren, sagte Außenminister Sigmar Gabriel. Zudem behauptete er: „Dies ist das freieste Land, das auf deutschem Boden jemals existiert hat, wir sind eines der freiesten demokratischen Länder der Welt.“ Wie demokratisch die Bundesregierung handelt, zeigte sie abseits der medienwirksamen Auftritte gegenüber türkischen Regierungsmitglieder, als das Innenministerium am 2. März einen Erlass herausbrachte, der auf die strafrechtliche Verfolgung kurdischer Aktist*innen abzielt. Damit zeigt der deutsche Staat, wie ein freundschaftliches Verhältnis aussieht, indem er die Repression Erdoğans auf Deutschland ausweitet.

Der Erlass des Innenministeriums verbietet sämtlichen Organisationen, Vereinen und Institutionen, denen eine Nähe zur kurdischen Arbeiterpartei PKK unterstellt wird, das Tragen ihrer Fahnen und Symbole. Betroffen sind unter anderem kurdischen Frauen- und Jugendorganisationen wie der Studierendenverband YXK. Das Verbot zielt damit direkt darauf ab, die kurdische Bewegung auf ihren Demonstrationen unsichtbar zu machen und Aktivist*innen mit Repressionen zu überhäufen. Das Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad schreibt dazu:

„Die Vermehrte Auseinandersetzungen mit der Polizei bei vom Verlauf her friedlichen Demonstrationen sind vorprogrammiert und politisch gewollt, um das Feindbild der angeblich gewaltbereiten Kurdinnen und Kurden aufrecht zu erhalten. Die Folgen werden weitere Hunderte von Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen Artikel 20 Vereinsgesetz aufgrund des Zeigens verbotener Symbole sein.“

Repressionen vor dem Referendum und Krieg in Rojava

Die Maßnahme der Bundesregierung steht vor dem Hintergrund des Referendums über das Präsidialsystem am 16. April. Ein Sieg in der Abstimmung würde Erdoğan weitgehende Vollmachten geben. Der Chef des Bundesverfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen warnte vor Auseinandersetzungen türkischer Nationalist*innen und Aktivist*innen der kurdischen Bewegung in Deutschland: „Die Bruchlinien zwischen den verschiedenen Lagern in der Türkei bilden sich spiegelbildlich in Deutschland ab.“ Insgesamt zwölf kurdische Aktivist*innen befanden sich laut Zahlen vom September 2016 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Der Erlass gegen kurdische Gruppen ist der Versuch der Bundesregierung, die Auswirkungen der Konflikte der türkischen Innenpolitik nach Deutschland zu unterbinden. So schafft sie selbst ihrem Polizei- und Justizapparat die Möglichkeit gegen Kurd*innen vorzugehen und deckt gleichzeitig eine autoritäre Lösung der türkischen Krise im Sinne Erdoğans.

Spätestens seit dem misslungenen Putschversuch durch Militärs im Juli 2016 regiert der türkische Präsident mit harter Repression gegen mögliche und tatsächliche Oppositionelle, in Form von Berufsverboten, Inhaftierungen und militärischen Operationen gegen Kurd*innen im Osten der Türkei. Zudem begibt sich das türkische Militär mit der Operation „Schutzschild Euphrat“ immer tiefer in ihr Syrien-Abenteuer, bei dem in Gefechten mit dem „Islamischen Staat“ und kurdischen Selbstverteidigungsstreitkräften schon dutzende türkische Soldat*innen ums Leben kamen. Zusammen mit den Peshmerga startete das türkische Militär in den letzten Tagen neue Offensiven in der selbstverwalteten kurdischen Region Rojava. Auch die Peshmerga werden von Deutschland unterstützt. So sind sich Merkel, Erdoğan und Peshmerga-Chef Masud Barzani einig darin, eine autoritäre Lösung in der Region zu suchen. Doch die Lösung ist eine auf Kosten der Arbeiter*innen, Geflüchteten und der kurdischen Bevölkerung.

Solidarität der Gewerkschaften

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat bereits Solidaritätserklärungen mit inhaftierten Lehrer*innen und Professor*innen in der Türkei abgegeben. Es ist nötig, dass die Gewerkschaften ihre Solidarität zusammen mit der kurdischen Bewegung und Geflüchtetenaktist*innen auf die Straßen bringt. An den Schulen, Unis und Betrieben müssen die Kolleg*innen und Lernenden über die schändliche Zusammenarbeit der Bundesregierung informiert und zu Aktionen mobilisiert werden. Dabei reicht es nicht allein, Erdoğans autoritäre Maßnahmen zu kritisieren. Es muss auch die Beteiligung des deutschen Regimes an den Krisen im Nahen Osten thematisiert werden. Mit Waffenlieferungen an die Peshmerga und den türkischen Staat schürt sie für ihre geopolitischen Interessen das Chaos in der Region. Die von Deutschland mit erzeugte Krise und die Kooperation mit dem deutschen Regime nutzt Erdoğan, um sein diktatorisches System auszubauen.

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