Bürgergeld ab 2023: Sozialer Anstrich für Unmenschlichkeit

16.09.2022, Lesezeit 5 Min.
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Quelle: Shutterstock

Ab dem 1. Januar 2023 wird das sogenannte Bürgergeld Hartz IV ablösen. Es bleibt bei minimalen Verschönerungen. Die menschenunwürdigen Bedingungen, die die Kapitallogik Erwerbslosen aufzwingt, bleiben bestehen.

Bei der Bekanntgabe des dritten Entlastungspakets letzten Sonntag verkündete Olaf Scholz, dass das Bürgergeld mit 502 Euro pro Monat über dem bisherigen Hartz IV Satz von 449 Euro pro Monat liegen wird. Dadurch soll der Satz an die Inflation angepasst sein. Aber: 53 Euro mehr ab Januar als Entlastung zu verkaufen ist geradezu zynisch. Schon im Anlauf des Bürgergeldes kritisierten Sozialverbände, wie der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, die Vorschläge als inkonsequent: Der Regelsatz müsse “aktuell bei mindestens 678 Euro liegen, um das soziokulturelle Existenzminimum abzusichern.” Allerdings trägt das sogenannte Entlastungspaket nicht nur an dieser Stelle so gut wie gar nicht zur Entlastung von Erwerbslosen bei.

Sozialminister Hubertus Heil (SPD) möchte damit  “das Hartz-IV-System überwinden und dem Sozialstaat ein neues Gesicht geben”. Das Bürgergeld soll „bürgerfreundlicher und auch ein Stück großzügiger“ sein, so Heil.

Die Aspekte, die die man uns hier als sozialer verkaufen will, sind, dass Ersparnisse der Beziehenden unter 60.000 Euro “erst” zwei Jahre nach dem Anfang der Zahlung unter die Lupe genommen werden, um die Bürokratie und den langwierigen Prozess am Anfang zu verkürzen. Auch die Miete darf die ersten zwei Jahre beliebig hoch sein, erst dann werden Betroffene aus ihren Wohnungen geschmissen. All das läuft nun unter dem Titel “Schonfrist”. Auf Dauer soll es darüber hinaus ein erhöhtes “Schonvermögen” von 15.000 Euro pro Person geben. Des Weiteren werden Sanktionen seitens der Jobcenter im ersten halben Jahr nicht fällig: eine sogenannte “Vertrauenszeit”. Damit versucht sich die SPD in der Ampel als soziale Partei auf Seiten der Armen darzustellen, während die FDP gegen das Bürgergeld wettert, denn “Solidarität ist keine Einbahnstraße”, so Jens Teutrine (FDP).

Die paar Reformen, die nun mit dem Bürgergeld einhergehen werden, sind greifen die Wurzel des Problems nicht an. Sie ändern nichts an dem Niedriglohnsektor, in den Erwerbslose gedrängt werden sollen, wo einzig und allein die Unternehmen von den billigen Arbeitskräften profitieren. Zwar sollen Beziehende, die bis zu 1000 Euro im Monat im Rahmen eines “Hinzuverdienstes” erwerben, nun 30 statt 20 Prozent davon behalten dürfen; dieses mickrige Zugeständnis ändert allerdings kaum etwas an der absoluten Zwangsstruktur, welche Erwerbslose auch längerfristig im Niedriglohnsektor hält. Auch an der unmenschlichen Abhängigkeit von Ämtern und Papieren, die besonders Wohnungslose hart trifft, wird nichts geändert. Nicht nur das wenige Geld ist ein Problem – beispielsweise liegt das 49 oder 69 Euro Ticket weit über den 23 Euro, die für ÖPNV monatlich vorgesehen sind – auch, dass ein Antrag, bis er bewilligt wird, oft ein halbes Jahr durch die deutsche Bürokratie wandert, ist scharf zu kritisieren.

Zusätzlich werden Hartz IV Empfänger:innen mit Sanktionen auf Trab gehalten, was sich auch nach der halbjährigen “Schonfrist” des Bürgergeldes nicht grundlegend verändert. Hier mal ein nicht ausgezahlter Betrag, weil eine Frist verpasst wurde, da mal ein verpasster Termin und schon reicht das Geld für die nächste Zeit nicht mehr aus. Auch hier gibt es eine minimale Verbesserung: Sanktionen sollen nur noch bis zu 30-prozentige Kürzungen beinhalten. Aber selbst diese Regelung ist, erstens, menschenunwürdig, da schon der reguläre Satz kaum das Existenzminimum der Beziehenden deckt. Zweitens handelt es sich hierbei keinesfalls um eine Eigeninitiative der Bundesregierung. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2019 alle Sanktionen über 30 Prozent als verfassungswidrig erklärt. Auch eine Studie des Vereins Sanktionsfrei hat ergeben, dass Sanktionen nicht die Wirkung haben, “Menschen besser in Arbeit zu bringen. Im Gegenteil: Die stärkste Wirkung, die von Sanktionen ausgeht, ist Einschüchterung und Stigmatisierung. Die Menschen fühlen sich kontrolliert und bestraft. Bereits die Androhung von Sanktionen verstärkt bei den Betroffenen das Gefühl von Ausweglosigkeit und Isolation und kann sogar Krankheiten verursachen und verstärken.”

All das ist dafür da, dass die Arbeitslosigkeit, als Damoklesschwert, immer über allen Arbeiter:innen schwebt. Die stetige Angst, abzurutschen, wird von Geschäftsführern als Druckmittel genutzt, um jeglichen Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen oder niedrige Löhne im Keim zu ersticken. Da viele Arbeiter:innen gerade in prekären Jobs leicht durch die “Reservearmee an Arbeitslosen” austauschbar sind, befinden sie sich in konstanter Angst, ihre Arbeit zu verlieren.

Arbeitslose und Geringverdiener:innen zählen zu den prekärsten Gruppen unserer Gesellschaft und sie wird der Winter unter hohen Energiepreisen besonders hart treffen. Das „Einsparen von Wohlstand” bedeutet für uns die tatsächliche Gefährdung der Existenzgrundlage.

Bei einer Inflation von acht Prozent, einer Steigerung der Nahrungsmittelpreise von 15 Prozent und der Energiepreise von 35 Prozent brauchen wir eine radikale Veränderung, ein sofortiges Notfallprogramm, damit wir nicht weiter für die Krise der Unternehmen zahlen. Die Sozialleistungen müssen, genauso wie die Löhne, Renten und Bafög, an die Inflation angepasst werden. Wir können nicht unkommentiert hinnehmen, dass unsere Löhne und Gelder stagnieren, während RWE Milliarden an Gewinnen macht. Außerdem brauchen wir einen sofortigen Preisstopp von Energie- und Mietkosten, was nur durch Enteignung der entsprechenden Konzerne unter Kontrolle derjenigen, die den Wohnraum und die Energie letztlich nutzen, geht.

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