Brasilien: Hunderttausende Frauen gegen den abstoßendsten Politiker der Erde

02.10.2018, Lesezeit 8 Min.
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Der extrem rechte Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro gilt als Favorit für die Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Am Wochenende gingen hunderttausende Frauen gegen seinen Frauenhass und für ihre Rechte auf die Straßen.

Hunderttausende von Menschen fluteten knapp eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen die Straßen in ganz Brasilien, um ihre Ablehnung des ultrarechten Präsidentschaftskandidaten Jair Bolsonaro. Aufgerufen hatte die Initiative „Frauen gegen Bolsonaro“, die erst einige Wochen zuvor aufgetaucht war. Bolsonaro ist ein Rechtspopulist, der derzeit in den Umfragen zur Präsidentschaftswahl führt, die am 7. Oktober stattfinden. Über eine Million Frauen waren in den vergangenen Wochen einer Facebook-Gruppe beigetreten und hatten den Hashtag #EleNao („nicht er“) viral gemacht. Die Märsche gegen Bolsonaro fanden in über 60 Städten in ganz Brasilien statt, wie auch in vielen Städten weltweit, wie in New York, Barcelona und Mexiko-Stadt. Im letzten Moment scheint es, als würde die Frauenbewegung zur entscheidenden Kraft bei den Präsidentschaftswahlen werden.

Umfragen zeigen, dass 49 Prozent der Frauen, die mehr als die Hälfte der Wähler*innenschaft repräsentieren, gegen Bolsonaro sind. Der ultra-reaktionäre Parlamentsabgeordnete bezieht einen Großteil seiner Unterstützung durch Männer. Von den Männern wollen 32 Prozent für Bolsonaro stimmen, während nur 17 Prozent der Frauen dies vorhaben. Dennoch steht er immer noch in den Umfragen vorne, mit inzwsichen sogar 31 Prozent, wobei Fernando Haddad, von der Arbeiter*innenpartei (PT), des inhaftierten ehemaligen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, mit 21 Prozent Platz zwei belegt.

Bolsonaro wird als „Trump der Tropen“ bezeichnet, als der „frauenfeindlichste, hasserfüllteste Gewählte der demokratischen Welt“ und möglicherweise der abstoßendste Politiker der Erde. All diese Beschreibungen scheinen zuzutreffen.

Bolsonaro ist seit 1990 Mitglied des Parlaments. Während der CIA-gestützten Militärdiktatur, bekannt durch die Folterung von Dissident*innen, diente er in der Armee. Heute spricht er sich weiterhin für die Militärdiktatur aus, die Brasilien zwei Jahrzehnte lang terrorisierte. Er bezog sich außerdem positiv auf Augusto Pinochet, dessen Militärdiktatur in Chile mehr als 40.000 Menschen festnahm, folterte und ermordete. Bolsonaro ist bekannt für seine abscheuliche Frauenfeindlichkeit: So erklärte er der Ministerin für Menschenrechte, sie hätte es nicht „verdient“ vergewaltigt zu werden, d.h. sie wäre „nicht attraktiv genug“, um es „verdient“ zu haben vergewaltigt zu werden. Er behauptete, es gäbe keine Homophobie in Brasilien – einem Land mit den meisten Hassverbrechen gegen LGBTI – und sagte, die meisten „Homosexuellen“ würden wegen Drogen, Prostitution oder durch ihre Partner*innen ermordet werden. Er nannte die linke Partei PSOL („Partei für Sozialismus und Freiheit“) eine Partei von „Schwuchteln“.

Derzeit führt er in den Umfragen, nachdem der Kandidat der PT (Arbeiter*innenpartei) und ehemaliger Präsident, Luiz Inácio Lula da Silva, wegen erfundener Anschuldigungen verhaftet wurde. Dadurch wurden die Menschen in Brasilien ihres Rechts beraubt, für den Kandidaten ihrer Wahl zu stimmen. Obwohl sich die UN für Lulas Recht ausspricht, sich zu den Wahlen aufstellen zu lassen, behalten die rechten Gerichte und die Putsch-Regierung ihn gefangen und verhindern, dass er an den Wahlen teilnehmen kann. Haddad, Lulas Vizekandidat, legt aktuell in den Umfragen zu.

Dies steht im Zusammenhang mit dem institutionellen Putsch von 2016, der die damalige Präsidentin Dilma Rouseff verdrängte. Der Putsch wurde von den Gerichten, den rechts-gerichteten Medien und den rechts-gerichteten Sektoren der Regierung angeführt. Seitdem führt die Putsch-Regierung von Michel Temer Sparpolitik und Angriffe gegen die brasilianische Arbeiter*innenklasse durch, wie das Einfrieren des Etats für Bildung und Gesundheit für die nächsten 20 Jahre. Im April wurde Lula dann willkürlich inhaftiert, was ihm jegliche Möglichkeit versperrte, dieses Jahr in den Präsidentenpalast zurückzukehren. All dies stärkte die Position der extrem rechten Kandidatur von Jair Bolsonaro, der harte Maßnahmen gegen Kriminalität fordert und verspricht, die Korruption auszulöschen.

Es war jedoch die PT selbst, die durch die gemeinsame Regierung mit den Rechten, den Raum für den institutionellen Putsch, den Autoritarismus der Judikative und die Stärkung der extremen Rechten öffnete. Tatsächlich war der derzeitige Präsident Michel Temer, der mithalf den Putsch zu organisieren, von Dilma persönlich zum Vizepräsidenten gewählt worden. Die jahrzehntelangen Allianzen und Kompromisse mit den Rechten führten Brasilien zu dieser Situation.

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Der Marsch in Rio de Janeiro

Die meisten Parteien in Brasilien versuchen nun, Profit aus dem Widerstand gegen Bolsonaro zu schlagen. Zum Beispiel trat Geraldo Alckmin von der neoliberalen PSDB („Sozialdemokratische Partei Brasiliens“) kürzlich der #EleNão-Bewegung gegen Bolsonaro bei. Bisher war Alckmin als Bürgermeister von Sao Paulo bekannt für seine brutalen Attacken gegen Studierende und Arbeiter*innen. Einige Jahre zuvor befahl er der Polizei, Schüler*innen, die gegen Schulschließungen demonstrierten, brutal zu unterdrücken und festzunehmen. So auch Katia Abreu, die standhafte Verteidigerin von Brasiliens Großgrundbesitzer*innen, gegen die indigene Bevölkerung und Arbeiter*innen. Sogar die rechte Journalistin Rachel Sheherazade schloss sich der Bewegung an, obwohl sie Bolsonaro verteidigte, als er andeutete, dass eine Frau zu unattraktiv sei, um vergewaltigt zu werden.

Diese Sektoren wollen den Hass der brasilianischen Frauen gegenüber der extremen Rechten für ihre eigene arbeiter*innenfeindliche Agenda nutzen. Aber es ist die PT, welche den zweiten Platz in den Umfragen einnimmt und am meisten zu gewinnen hat. Viele Mitglieder der Partei unterstützen nicht nur den Hashtag #EleNao, sondern auch #HaddadSim (Ja zu Haddad). Die Kampagne dient dazu, die versöhnliche Haltung der PT gegenüber der Kapitalist*innenklasse und den Parteien, die den Putsch unterstützen, zu verdecken. Und während die PT viele der Gewerkschaften im Land kontrolliert über immense Möglichkeiten zur Mobilisierung verfügt, haben sie nicht einen einzigen echten Kampf gegen die antidemokratischen und rechts-gerichteten Maßnahmen organisiert, die Lula gefangen hielten. Stattdessen besteht ihre Strategie aus Hinterzimmer-Deals, Verhandlungen und Kompromissen.

Heute sucht die PT nach Koalitionen mit der Putsch-Regierung, um die „extreme Rechte“ zu konfrontieren, und hat klargemacht, dass die Partei eine Rentenreform unterstützen und sich nicht gegen die Privatisierung der staatlichen Fluggesellschaft Embraer stellen wird. Fernando Haddad versucht sich der Kapitalist*innenklasse gegenüber als realistische Alternative darzustellen, der bereit ist, mit Teilen der Putsch-Regierung zusammenzuarbeiten und ihr Sparprogramm fortzuführen, unter dem vor allem die Frauen, wie immer, zu leiden haben werden.

Diese versöhnlerische Politik wird den 28 Millionen Erwerbslosen im Land gar nichts bringen, von denen die Mehrzahl Frauen sind. Und obwohl die PT heute versucht, sich an der Seite der Frauen zu positionieren, unternahm die Partei in den 13 Jahren, in denen sie den*die Präsident*in stellte, keinen einzigen Schritt, um Abtreibungen zu legalisieren.

Sollten indigene Frauen und arme Bäuerinnen auf Katia hören, der Vertreterin der Agrarunternehmen? Sollten Frauen auf Marina Silva hören, die von der riesigen Bank Itau unterstützt wird und so tut, als würde sie im Namen der Ausgebeuteten und Unterdrückten sprechen? Warum sollte die PT, die in den vergangenen Jahren der Angriffe eine Politik der Mäßigung und Versöhnung propagierte, für Frauen sprechen und sie auffordern für ihren Kandidaten Haddad zu stimmen?

sagte Diana Assunção, Mitglied der Bewegung revolutionärer Arbeiter*innen (MRT) und Kandidatin des Stadtrats. Weiter sagte sie in ihrer Rede:

Unser Hass auf Jair Bolsonaro muss Klassenhass sein. Wenn es ein Klassenhass ist, sind unsere Verbündeten die Arbeiter*innen, die Jugend und Schwarzen Menschen: die Ausgebeuteten und Unterdrückten. Unsere Verbündeten sind nicht die Putsch-Regierung und die Kapitalist*innen, die uns unterdrücken, ausbeuten und angreifen. Im Kapitalismus gibt es kein „kleineres Übel“ für Frauen. Das ist der Grund, weshalb wir für eine konstituierende Versammlung kämpfen. Wir müssen den Willen der ausgebeuteten und unterdrückten Mehrheit aufnehmen, gegen die parasitären Kapitalist*innen, die gegen unsere Interessen regieren. Wir kämpfen für das Ziel einer Regierung der Arbeiter*innen, die die Kapitalist*innen enteignet und die Produktionsmittel vergesellschaftet und der großen Mehrheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten dient.

Dieser Artikel bei Left Voice.

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