Botanischer Garten: Warten auf Sozialdemokrat*innen

11.05.2016, Lesezeit 5 Min.
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Die Beschäftigten des Botanischen Gartens Berlin traten letzte Woche Dienstag erneut in den Warnstreik. Weitere Arbeitsniederlegungen sind in Planung.

„Sei prekär, sei unterbezahlt, sei Berlin!“ Das handgeschriebene Schild, in Form einer Sprechblase, ist eine Anspielung auf einen alten Werbeslogan der Hauptstadt. Solche Sprüche sind von linken Demonstrationen der letzten Jahre bekannt. Doch am 1. Mai um 12 Uhr wird das Schild auf der Bühne des Deutschen Gewerkschaftsbundes am Brandenburger Tor hochgehalten. Es schwebt hinter dem Kopf von Michael Müller (SPD), regierender Bürgermeister von Berlin, während er eine Rede hält.

Denn Berlin gilt als „Hauptstadt der Prekarisierung“. Um Müller herum stehen die prekär Beschäftigten des Landes: von den ausgegliederten Tochterunternehmen der Krankenhäuser, des Botanischen Gartens und anderen Landesunternehmen. Bereits auf der Demo hatten sie sich direkt hinter Müller mit ihren Transparenten aufgestellt, um ein Ende der Tarifflucht der öffentlichen Hand zu fordern.

Outgesourct

Letzte Woche Dienstag traten zum dritten Mal 25 Beschäftigte des Botanischen Gartens in einen Warnstreik. Ein*e Gärtner*in, der*die für die ausgelagerte „Betriebsgesellschaft“ des Gartens arbeitet, macht die gleiche Arbeit wie ein*e Kollege*in, der*die bei der Freien Universität Berlin angestellt ist, zu der der Garten gehört. Aber auch wenn beide im gleichen Beet graben, bezahlt das Tochterunternehmen bis zu 42 Prozent weniger – hier gilt der Tarifvertrag der Länder (TV-L) nicht.

Erstmalig waren nicht nur die 70 Beschäftigten der Betriebsgesellschaft, sondern auch die 45 direkt bei der FU Angestellten aufgerufen. Um 5.30 Uhr wurden die schwarz-roten Plakate mit der Aufschrift „Warnstreik“ aufgehängt, einige Kolleg*innen schlossen sich spontan dem Ausstand an und füllten gleich Anträge auf Aufnahme in die Gewerkschaft ver. di aus.

Alle Kassierer*innen, die für den Tag im Dienstplan eingetragen waren, beteiligten sich am Streik. Dennoch konnte der Garten öffnen: Eine Person aus der Verwaltung verkaufte Tickets an einem Eingang – am anderen saß eine Kassiererin, die an ihrem freien Tag von der Vorarbeiterin zur Arbeit zitiert wurde. Die Vorarbeiterin soll, so erzählen es Beschäftigte, durch eine Zulage seit Jahren finanziell bessergestellt sein. „Die Angst vor Repression wird bei der Kassiererin eine große Rolle gespielt haben“, sagte ein Streikender. Die Vorarbeiterin schreibe auch die Dienstpläne, über die die Beschäftigten seit Jahren wegen Unregelmäßigkeiten klagen.

Babys

Bei den Tarifgesprächen, die seit einem Jahr zwischen der Gewerkschaft ver.di und der Betriebsgesellschaft geführt werden, gibt es immer noch große Differenzen. Die Beschäftigten fordern 200 Euro Rückzahlung pro Monat für das Jahr 2015 – das Unternehmen bietet gerade mal 36 Euro. Für die Zukunft sind 80 Prozent des TV-Ls im Gespräch.

Bei dem Arbeitskampf geht es in erster Linie um eine Anbindung an den Tarifvertrag. Aber während des Organisierungsprozesses sind auch andere Themen aufgekommen. So seien mehr als ein Dutzend Stellen im Garten unbesetzt. Zudem wird seit dem 1. April die Reinigung nicht von den hauseigenen Kräften, sondern von per Werkvertrag Beschäftigten erledigt ausgelagert. Dadurch seien die hygienischen Zustände „katastrophal“, sagte eine Personalrätin.

Das alles betrifft nicht nur die Niedriglöhner*innen der Betriebsgesellschaft, sondern ebenso die „Altbeschäftigten“ der FU. Immer mehr gemeinsame Interessen werden sichtbar. Der Arbeitskampf am Garten wirft allerdings auch Probleme auf, die man sonst nur bei Kliniken oder Kitas kennt: Nicht alle Gärtner*innen sind bereit, ihre Pflanzen – die sie auch als ihre „Babys“ bezeichnen – im Stich zu lassen. Viele der Pflanzen sind sehr selten, und die Kolleg*innenen haben viel Arbeit in ihre Pflege gesteckt.

Sozialdemokrat*innen

Berlins Sozialdemokrat*innen haben jetzt Abhilfe versprochen. Bei ihrem Landesparteitag im Neuköllner Hotel Estrel, einen Tag vor dem 1. Mai, verabschiedeten sie einen Antrag gegen Tarifflucht am Botanischen Garten. Doch die genaue Formulierung lautet, dass der Senat „aufgefordert“ wird, auf die Geschäftsführung des Gartens „einzuwirken“, keine Fremdvergabe und Ausgründungen vorzunehmen und alle Beschäftigten in den TV-L zurückzuführen.

Die Beschäftigten hatten eine Kundgebung vor dem Hotel abgehalten. Denn sie befürchten, dass sie mit solchen „Aufforderungen“ ihre Kinder nicht ernähren können. Von den politisch Verantwortlichen haben sie in den letzten Monaten immer mehr Zuspruch erfahren – auch der Landesparteitag der Linken sprach sich dafür aus. Doch die Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ blieb bisher unerfüllt.

Am Streiktag liegt eine Frage in der Luft: Woran liegt es denn jetzt noch, dass den Worten keine Taten folgen? Die FU verweist die Beschäftigten darauf, dass mit dem Land Berlin bislang keine Einigung über eine Ausfinanzierung des Gartens erzielt werden konnte. Deshalb etabliert sich bei den Streikenden ein Wortspiel: „Wir warten auf Sozialdemokraten.“

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