Black Lives Matter – Rassismus und Polizeigewalt zurückschlagen!

07.05.2015, Lesezeit 9 Min.
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Die Kampagne „Black Lives Matter“ fordert etwas sehr Einfaches: dass die Leben von Schwarzen anerkannt werden. Doch das Einfache ist schwer zu machen und die Arbeiter*innenbewegung muss ihren Beitrag leisten.

Polizeigewalt und fortgesetzte Segregation

Freddie Gray in Baltimore– schon wieder wurde jemand von der US-Polizei ermordet, weil er schwarz ist. Hinter den Polizeimorden steht ein kriegerisches System gegen Schwarze und Latinxs a us der Arbeiter*innenklasse, in dem sich Ausbeutung und Unterdrückung verstärken und ergänzen. Der Dreiklang des staatlichen US-Rassismus ist Ghettoisierung, Polizeigewalt und Gefängnisindustrie. Die Zahlen sind himmelschreiend.

Laut FBI-Daten gab es in den USA von 1980 bis 2012 etwa über 12.000 Morde durch die Polizei. In den 1.217 Fällen von 2010 bis 2012 war es 21-Mal wahrscheinlicher, als schwarze*r Jugendliche*r von Polizist*innen getötet werden als als weißer. Meist aber kommt ein Fall sowieso nur zur Anzeige, wenn es Videoaufzeichnungen gibt, häufig durch Smartphones. Die „Provokation“ für die Todesschüsse und brutalen Morde besteht oft darin, ein*e schwarze*r Jugendliche*r zu sein. In den 54 seit 2005 zur Anzeige gebrachten Fällen von Polizeimord waren zwei Drittel der Getöteten schwarz.

Jede Dekade des US-Rassismus hatte seine besondere Methode, Schwarze überauszubeuten und zu unterdrücken; sie in separate Bezirke mit separaten Schulen, separaten Krediten und separatem Polizeirecht zu sperren und dort zu tyrannisieren. Zu den anhaltenden Methoden der Segregation gehören das „Redlining“ von Wohnvierteln, die schulische und die Arbeitsmarktdiskriminierung, sogar legale Zwangsarbeit, ähnlich dem Hartz-IV-Aufstocken. In Baltimores Stadtteil Gilmor Homes, wo der in Polizeigewahrsam ermordete Freddie Gray verhaftet wurde, sind bis zu 50 Prozent der jungen schwarzen Männer arbeitslos .

Kriege im Inneren des Landes und eine Generation im Gefängnis

Der seit den 1980er Jahren stattfindende „Krieg gegen die Drogen“ bedeutet eine für bürgerliche Demokratien in Industriestaaten beispiellose Kriminalisierung der schwarzen und latinx Bevölkerung. Er verwendet großflächiges „racial profiling“ und die de-facto-Aufhebung des Individualstrafrechts, wie es die schwarze Jugend von Baltimore kennt, die ohne Anlass reihenweise aufs Revier mitgenommen wird.

Zum „Krieg gegen die Drogen“ gesellt sich der „Krieg gegen den Terror“, der nicht nur Massentötungen durch Bombardements in Westasien, sondern auch die Militarisierung der eigenen Polizei bedeutet. Seit Panzerwägen auch im Inland Patrouille fahren, ist es für Einwohner*innen der USA achtmal wahrscheinlicher durch ein Sondereinsatzkommando ums Leben zu kommen als durch einen Terroranschlag.

Wer nicht erschossen oder totgeschlagen wird, dessen Leben kann immer noch mit Knast zerstört werden. Seit 50 Jahren ist der „legale“ Krieg gegen sogenannte „black criminality“ ein sozialer Knüppel. 2,4 Millionen US-Amerikaner*innen saßen Ende 2011 ein, das kostet den Staat jährlich 80 Milliarden Dollar und spült Geld in die Kassen von Kapitalist*innen, die sich mit Privatgefängnissen auf die besonders scharfe Ausbeutung von Insass*innen spezialisiert haben. Ein ganzer Bereich der Gesellschaft verbringt seither also sein Leben im Gefängnis oder auf dem Weg dorthin – und dieser Bereich ist schwarz. Auf 100.000 US-Amerikaner*innen kommen 450 weiße Insass*innen im Gefängnis, etwa doppelt so viele Latinxs und mehr als fünf mal so viele Schwarze. Gleichzeitig liegt der Anteil der Weißen an der Gesamtbevölkerung bei 64 Prozent, während der Anteil von Latinxs vier mal geringer und der Anteil von Schwarzen fast fünf mal geringer ist.

Selbstorganisierung der Unterdrückten

Die Proteste von Ferguson über St. Louis bis Baltimore sind Aufbegehren gegen einen Rassismus, der die US-Gesellschaft seit dem Kolonialismus ausmacht und der in jeder Dekade aktualisiert wird. Das Aufstehen der schwarzen Jugend findet in einer Phase der Krise statt, in der die US-Bourgeoisie sich zwar stabilisiert hat, aber kein einziges soziales Versprechen der liberalen Regierung eingelöst wurde. Die schwarzen und latinx Arbeiter*innen in den USA bekommen die Krise doppelt ab: wirtschaftlich und durch rassistische Unterdrückung.

Der Alltagsrassismus und die Arroganz des weißen Kleinbürger*innentums gedeihen in einem Klima des staatlichen Rassismus in Verbund mit sozialer Anspannung besonders gut: Weil sie sich im „falschen“ Viertel aufhalten, eine Kapuzenjacke tragen, ein Grundstück betreten oder zu laut Musik hören, werden schwarze Jugendliche auch von Weißen ohne Uniform erschossen. Weiße Jurys und Gesetze wie das „stand-your-ground-law“ legalisieren rassistische Morde. Auch die anhaltende Spaltung der Arbeiter*innenklasse in Hautfarben, die schon am Lohnzettel erkennbar ist, und der strukturelle Rassismus der Gewerkschaftsbürokratien ermöglichen kein „post-rassistisches Zeitalter“, wie manche es mit Obamas Präsidentschaft gekommen sahen.

Das erste Recht der jugendlichen Schwarzen ist in dieser Situation, dass sie sich selbst organisieren und verteidigen, wenn nötig bewaffnen. Sie stellen dabei ihre schwarze Identität offensiv in den Vordergrund. Wir unterstützen alle Schritte, die der bürgerlichen Polizei und der rassistischen Gewalt etwas entgegensetzen, zum Beispiel in eigenen Versammlungen und Komitees.

„Black Lives Matter“, nicht „All Lives“

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, ist eine einst revolutionäre Losung des Bürgertums, die es in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte geschafft hat. Die proletarischen Revolutionär*innen fordern ebenfalls eine formale Gleichheit vor dem Gesetz, die in den USA keineswegs gegeben ist – ebensowenig in Deutschland. Wir kämpfen gegen jede Ideologie, die einen biologischen Unterschied zwischen Menschen als „Rassen“ behauptet.

Der liberale Satz der Gleichheit ist insofern wahr, als niemandes Platz in der Gesellschaft durch etwas Höheres als den Menschen selbst bestimmt wird. Er ist insofern grundfalsch, als es nirgendwo in der Klassengesellschaft soziale Gleichheit oder Freiheit von Unterdrückung gibt. Wir kämpfen deshalb auch gegen jede Ideologie, die die Unterdrückten mit ihren Unterdrücker*innen gleichsetzt. Die Gewalt der Unterdrückten unterstützen wir.

Die kleinbürgerlichen, individualistischen Occupy-Proteste negierten die Trennung in Unterdrückte und Unterdrückende begrifflich. Es ging ein Geist um, der sagte: „Alle sind Menschen.“ Die Bewegung wollte kein „schwarz und weiß“ oder „links und rechts“ mehr kennen, keine Arbeiter*innen und Kapitalist*innen – nur noch 99 Prozent und 1 Prozent, entleert vom Klasseninhalt und von Unterdrückungsverhältnissen.

In Deutschland verfaulte die Occupy-Bewegung bis hin zu den „Montagsmahnwachen“, deren angebliche Gleichheit aller Menschen nur noch eine schlechte Verschleierung des Nationalismus hergab. In den USA findet sie jetzt ihren Ausdruck in kleinbürgerlichen Weißen, die aus dem Schrei nach Anerkennung: „Black Lives Matter“ eine leere Abstraktion machen wollen, die lautet: „All Lives Matter“. Damit werden jetzt Graffities übersprüht und Online-Nachrichtendienste überschwemmt. In etwa: „Wir alle sind Menschen, bitte keine Gewalt!“

Was bedeutet die Aussage, dass „alle Menschen Menschen“ sind? Diese Aussage bedeutet rein gar nichts. In ihrer falschen Allgemeinheit und Tautologie bestreitet sie die Besonderheit der Unterdrückung im rassistischen Charakter der Morde und im Alltagsrassismus. Deren Wurzeln liegen im Kolonialismus, in Sklaverei und Imperialismus, im Klassencharakter des Staats und in der Funktion des Rassismus für die Spaltung der Arbeiter*innenklasse.

Antirassismus und Arbeiter*innenbewegung

Wer den wahren und programmatischen Schriftzug, dass schwarze Leben zählen müssen, durch die Tautologie „Ein Mensch ist ein Mensch“ überschreibt, stellt sich auf die Seite der Unterdrückenden. Denn es gibt keine Gemeinschaft aller Menschen, so lange die einen über die anderen herrschen. Alle unterdrückten Teile der Gesellschaft müssen deshalb das Recht haben, sich selbst zu organisieren und ihre Waffen zu wählen. Eben weil der Kampf gegen Rassismus eine Klassenfrage ist – die nicht auf friedlichem Weg gelöst werden kann –, ist die erste Aufgabe der Arbeiter*innenklasse und aller ihrer Organisationen, in der Praxis die Selbstorganisierung der Unterdrückten anzuerkennen und aktiv zu stärken.

Die kämpferischsten Teile der Arbeiter*innenbewegung sind selbst oft Schwarze und Latinxs, die in prekarisierten Jobs arbeiten oder arbeitslos sind. Die 15-Now-Kampagne für einen Mindestlohn von 15 Dollar in den USA ist, ausgehend von Seattle, einer der fortschrittlichsten aktuellen Ausdrücke der US-Arbeiter*innenklasse. Sie ist eine wichtige Offensive gegen alle Lager der Bourgeoisie, für ein Selbstbewusstsein der Arbeiter*innen und für die Aufhebung ihrer unerträglichsten Lebensbedingungen. Es ist deshalb keine Überraschung, dass die 15-Now-Kampagne in manchen Bundesstaaten mit der von Black Lives Matter verschmilzt, denn unterdrückte Jugendliche und prekarisierte Arbeiter*innen sind erstens oft ein und dieselben und zweitens wirklich gute Verbündete. Zu Solidarisierungen und gegenseitiger Verstärkung kam es schon 2014 zwischen den Ferguson-Protesten und den Walmart-Arbeiter*innen.

Kein business as usual! Politischer Streik!

Bürgerliche Hetzkampagnen gegen Plünderungen und Gewalt wollen der antirassistischen Bewegung die Legitimität entziehen. Bürgerrechtler*innen und Politiker*innen der bourgeoisen Demokratischen Partei wie Al Sharpton verlangten von der Bewegung, die Straßen zu räumen und „die Gewalt zu beenden“. Selbiges fordert auch der sonst gut informierte Macher der Baltimore-Kultserie „The Wire“, David Simon, der den „Krieg gegen die Drogen“ beendet sehen will, aber Schwarzen keine Gegenwehr in diesem Krieg erlauben möchte. Auf einmal soll es also „Frieden“ geben, wo die Bourgeoisie einen „Krieg“ nach dem anderen erklärt und die Arbeiter*innenklasse unerträglich ausplündert, täglich jugendliche Schwarze verprügelt und auspresst, Ausgangssperren verhängt und polizeiliche Besatzungsarmeen stationiert.

Selbstorganisierte Komitees wie Baltimore Fightback (11) an der Uni schlagen deshalb zurecht vor, die „kooptierten Anführer*innen [der Bürgerrechtsbewegung] hinter sich zu lassen, auf unsere eigene Kraft der Mobilisierung zu vertrauen und Schulter an Schulter mit der #BlackLivesMatter-Bewegung im ganzen Land zu kämpfen“. Sie schlagen außerdem lokale Selbstverteidigungskomitees vor und die Einheit mit der Arbeiter*innenklasse: „Arbeiter*innen im Einzelhandel und der Gastronomie in der #FightFor15 Bewegung, Gewerkschaften, Progressive, Aktivist*innen und Linke. Gewerkschaften sollten streiken und die Stadt still legen. Kein business as usual, bis wir Gerechtigkeit für Freddie Gray erreicht haben.“

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