Bewusstsein

04.01.2023, Lesezeit 5 Min.
Gastbeitrag

Debattenbeitrag anlässlich der Konferenz "15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?" | von Benny

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Bild: Revolutionärer Bruch

Der Kapitalismus ist in einer Krise, mal wieder. Arbeiter*innen sind dieser Willkür ausgesetzt und müssen große Reallohnverluste und gar Kündigungen hinnehmen, mal wieder. Gewerk­schaftssekretärinnen verlangen Kapitalismuskri­tik und allen voran den Klassen­kampf für einen Kompromiss mit den durch die Krise „geschundenen“ Kapitalist*innen hintenan­zustellen, mal wieder:

„Das sind die normalen Mechanismen der Marktwirtschaft. […] Es mag ja sein, dass die ei­nem nicht gefallen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten, son­dern für effektives Handeln in der Realität.“ ~Yasmin Fahimi, DGB-Chefin

Wir erleben ein Déjà-vu. Keine schlagkräftigen linken Bewegungen und keine schlagkräftigen Gewerkschaften. Dabei sollte all das in unserem *bewussten* Interesse sein. Spätestens nach­dem es so vorhersehbar ist. Was ist der Grund für die fehlende Mobilisierung dagegen und in­wiefern auch der „Revolutionäre Bruch“ (zumin­dest in seiner Erklärung) nicht ausreichend der Lösung entspricht, mache ich in erster Linie an­hand von zwei Phänomenen aus.

Fehlendes Klassenbewusstsein

Obwohl die Arbeiterklasse in Deutschland nach wie vor unter dem Joch der Klassenherrschaft des Kapitals steht, inklusive all seiner negativen Auswirkungen, ist das Bewusstsein als gemein­sames und potenziell revolutionäres Kollektiv auf einem historischen Tiefstand. Eine essenzi­elle Erklärung dafür ist die vorherrschende und immer weiter durchdringende kapitalistische Ideologie.

In Bezug auf das Klassenbewusstsein der Arbei­terklasse trägt die herrschende Ideologie dazu bei, dass die Arbeiter*innen ihre wirtschaftliche Lage als individuelles Problem betrachten und nicht als Ergebnis von Klassenungleichheiten und Überausbeutungen. Beispiele dafür sind die etablierten „Erklärungsversuche“ von Armut als persönliches Fehlverhalten oder mangelnde Ei­genverantwortung zu reduzieren.

Das Resultat: die Arbeiter*innen sind zu sehr mit vergeblicher Selbstoptimierung, sowie destrukti­ven und spaltenden Konkurrenzkampf gegen andere Mitglieder der eigenen Klassen beschäf­tigt, dessen einziger Nutzen schlussendlich nur die Erhöhung der Gewinnmarge des Kapitals ist.Der von der Trickle-Down-Ideologie postulier­te gesamtgesellschaftliche Wohlstand, fällt nur in den seltensten Fällen tatsächlich gesamtge­sellschaftlich ab.

Utopismus und Selbstherrlichkeit der radika­len Linken

Als wäre es durch die vorherrschende kapitalisti­sche Ideologie nicht schwer genug, notwendige und auch revolutionäre Akzente in der Gesell­schaft zu setzen, so steht sich die radikale Linke leider sehr oft im Weg. Selbst wenn sich eine re­volutionäre Organisation konstituiert, gibt es gro­ße Defizite in der allgemeinen Bildung und Auf­klärung. Es wird oft der Fokus auf die (durchaus notwendige) theoretische Weiterbildung der be­reits für sich gewonnen Mitglieder gelegt, wäh­rend überhaupt keine Ambitionen bestehen, die vorherrschende Ideologie außerhalb der Organi­sation zu beeinflussen.

Die revolutionäre Linke verfällt in Nostalgie und Utopismus, schwärmt von den Erfolgen der UdSSR, trägt sowjetische Grabenkämpfe in Deutschland im Hier und Jetzt aus, spricht von Träumen einer befreiten Gesellschaft, als wäre der Weg dorthin nur zweitrangig. Wenn dann mal eine Perspektive für die Gegenwart entwi­ckelt wird, erschöpft sie sich bereits im „Aufbau einer Avantgard-Partei“, unter der die meisten radikalen Linken selbst nur sehr vage und abs­trakte Vorstellungen haben und einen Grund für die Selbstherrlichkeit als „intellektuelle Elite der Klasse“ sehen. Völlig erstaunt ist man dann, wenn sich die Menschen nicht in der Rolle als geistloses Nutzvieh einer kommunistischen Spit­ze wiederfinden wollen, trotz gleicher Ziele.

Ich mache RevBruch nicht diesen Vorwurf, dafür steht die Konstituierung einer revolutionären Or­ganisation noch in weiter Ferne. Jedoch fehlt neben den vielen durchaus wertvollen Selbstre­flexionen aus den Zeiten in Linke/Solid und den (für linke Gruppen typischerweise) noblen Zie­len, oftmals die Antwort auf das „wie“ und spezi­fisch wie man die Mehrheit für diese Kämpfe be­geistern will.

Fazit

Selbst wenn es alles sehr düster aussieht, so gibt es doch noch Lichtblicke. Auch wenn die In­itiative “Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ge­genwärtig von den Regierungsparteien in Berlin verschleppt wird und ihr Ausgang ungewiss ist, so lässt sich an ihr abzeichnen, dass man für soziale Anliegen auch im Deutschland des 21. Jahrhunderts, breite gesellschaftliche Spektren, von radikalen Linken bis zum sturen CDU-Wäh­ler, viele Menschen für soziale Ideen begeistern kann. Plötzlich waren Begriffe wie „Gentrifizie­rung“, „Enteignung“ und „Ausbeutung“ nicht mehr nur fremdartige Vokabeln aus linken Dis­kussionsveranstaltungen, sondern Begriffe, un­ter denen sich der Otto Normalbürger tatsäch­lich etwas vorstellen konnte und in seiner Rolle als Subjekt der gesellschaftlichen Entwicklung bewusst wurde.(Augenmerk auf die 59% Zu­stimmung für den Volksentscheid)

Das sind Erfolge auf denen aufgebaut werden muss und ich hoffe, dass wenn der notwendige revolutionäre Bruch von der Linkspartei stattfin­det und in einer neuen revolutionären Organisa­tion mündet, das Bildungsprogramm und die ge­sellschaftliche Beeinflussung einen hohen Stel­lenwert hat und in Zukunft weitere gesellschafts­fähige Projekte dieser Art aufgezogen werden können.

Debatten über einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid

Zur Vorbereitung der Konferenz „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ am 14./15. Januar 2023 wurden von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen Debattenbeiträge geschrieben. Hier geht es zu allen Beiträgen.

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