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„Betriebliche Mitbestimmung soll so gut wie möglich verhindert werden“ – Interview mit aktion arbeitsunrecht

06.10.2016, Lesezeit 8 Min.

Bei der dritten "Erneuerung durch Streik"-Konferenz am vergangenen Wochenende war auch die aktion ./. arbeitsunrecht vertreten. Wir sprachen mit Elmar Wigand über das Projekt und das wachsende Problem des Union Busting.

Elmar, warum seid ihr heute auf der Konferenz?

Unsere Motivation ist, hier Kontakte zu knüpfen und unser Thema und unsere Organisation bekannt zu machen. Dafür ist das hier genau der richtige Ort, das ist ja quasi eine Branchenmesse der gewerkschaftlichen und gewerkschaftsnahen Szene.

Wir haben einen Info-Stand und wollen mit interessierten Leuten in Kontakt treten. Wir sind zudem auch mit eigenen inhaltlichen Beiträgen auf der Konferenz vertreten: Ich habe einen Vortrag über Streik und Streikbruch im transatlantischen Raum, also Deutschland und USA, gehalten. Jetzt gerade läuft ein Seminar zum Umgang mit Union Busting im Betrieb – also darüber, wie man Betriebsräte unterstützen oder solidarisch begleiten kann in ihrem Kampf, nicht abgesägt zu werden und sich durchzusetzen gegen den Widerstand der Bosse. Das machen unsere Vorstandsmitglieder Jessica Reisner und Torben Ackerman. Wir entwickeln eine strategische Beratung für Betriebsräte unter Druck und entwickeln Konzepte, um Leute zu unterstützen. Unser Kollege Werner Rügemer hat einen weiteren gut besuchten Workshop zum Phänomen des Union Busting gemacht.

Warum denkst du, dass gerade jetzt Union Busting so ein wichtiges Thema ist?

Das hat verschiedene Aspekte. Die Methodik, die wir beschreiben, gibt es eigentlich schon seit 2001. Damals nahmen die Hardcore-Anwälte Helmut Naujoks und Dirk Schreiner ihre Geschäfte auf, damals öffnete die Regierung Schröder-Fischer mit dem Finanzmarktmodernisierungsgesetz die Schleusen für aggressive Finanzdienstleister wie Hedgefonds und Private-Equity. Damals begannen auch große Wirtschaftskanzleien Arbeitsrechtsteams aufzubauen, denn die Filetierung und Zerschlagung von gewachsenen Firmenstrukturen hat auch immer eine arbeitsrechtliche Seite und sie führt zu Widerstand von Betriebsräten und Gewerkschaften. Daher ist Union Busting-Know-how gefragt.

Das Erschreckende ist, dass das Problem Union Busting erst seit etwa 2014 von den DGB-Gewerkschaften als Problem erkannt und angegangen wurde – also mit einer Zeitverzögerung von 13 Jahren! Eine spannende und schwer zu beantwortende Frage wäre, wie das eigentlich möglich ist und was das für Ursachen und Gründe hat.

Welche wirtschaftlichen Hintergründe hat das?

Hier geht es um die Frage nach den globalen kapitalistischen Zusammenhängen. Da ist der klare Hintergrund die neoliberalen Umgestaltung der Wirtschaft. Sie verläuft eigentlich immer nach Schema F und wird von stilbildenden Unternehmensberatungen wie McKinsey, Boston oder Porsche Consulting und vielen anderen voran getrieben. Um eine immer schlanker werdende Kernbelegschaft, die das Endprodukt zusammen schustert und unter privilegierten Bedingungen arbeitet, kreist ein Universum aus Subunternehmen und Sub-Subunternehmen. Zudem gibt es Leiharbeit, Werkverträge und Auslagerungen.

Anstelle der vollintegrierten Riesenfabrik nach dem Modell von Henry Fords Industriekomplex River Rouge in Detroit ist eine chaotische, zersplitterte Produktionslandschaft aus scheinselbständigen Einheiten getreten, die in ständigem Konkurrenzkampf miteinander im Preis gedrückt werden können.

Hier liegt die materielle Ursache für die Zunahme von Union Busting: Da kann man im Grunde schon eine mathematische Formel aufstellen, wie bei Marx: Denn rein rechtlich steigt die Anzahl der nach Betriebsverfassungsgesetz möglichen Betriebsräte und Betriebsratsmitglieder in der oben beschriebenen Struktur – im Vergleich zur fordistischen Fabrik – ganz erheblich, wenn man sie addiert. Weil es ja alles unabhängige Einheiten sind, in denen überall Betriebsräte gebildet werden könnten. Gleichzeitig sinkt in dem Sub-Unternehmer-Dickicht die Fähigkeit, eben diese Rechte auch durchzusetzen und zu verteidigen. Das ist im Grunde der „Union Busting-Koeffizient“. Hier liegt nach meiner Überzeugung die eigentliche Motivation für das Unternehmenslager, diese an sich chaotischen und schwer kontrollierbaren Produktions- und Zulieferketten zu installieren: Gewerkschaftliche Organisierung soll untergraben und betriebliche Mitbestimmung soll so gut wie möglich verhindert werden.

Was in diesen Unternehmensstrukturen auch erheblich anwächst, ist eine Kaste aus hoch bezahlten Manager*innen und Dienstleister*innen: Aufsichtsräte, Geschäftsführungen, Unternehmensberatungen, Rechnungsprüfung, Wirtschaftskanzleien. Die profitieren von der Struktur, die sie selber anraten und voran treiben. Hier ist ein riesiger Speckgürtel aus enorm kostspieligen, volkswirtschaftlich eigentlich unsinnigen Schein-Aktivitäten entstanden. Die schreiben sich alle gegenseitig Rechnungen, lassen ihre Rechnungen von befreundeten Unternehmen prüfen, verlagern Firmensitze in Steueroasen und verdienen dabei ihr sattes Geld. Und die Arbeiter*innen gucken in die Röhre.

Wie weit ist dieses Modell inzwischen verbreitet?

Dieses Sub-Unternehmer-Modell wird standardmäßig angewandt. Es basiert darauf, dass der Lohn immer weiter gedrückt wird, dass die Sub-Unternehmer in ständiger Konkurrenz zueinander in ein Rattenrennen um niedrigste Preise und Arbeitsstandards getrieben werden. Da stören halt Betriebsräte und Gewerkschaften ganz gewaltig. Je weiter am Rand dieser Fresskette sich ein Betrieb befindet, desto schwerer sind Betriebsräte und Tarifverträge herstellbar oder – wenn vorhanden – zu verteidigen. Und ich spreche nicht von bedauerlichen Einzelfällen: Etwa 60 % der Beschäftigten in Deutschland arbeiten nach seriösen Schätzungen inzwischen ohne Vertretung durch einen Betriebsrat. Die Union Busting-Industrie – also ein betriebswirtschaftlich-juristischer Komplex aus Unternehmensberater*innen und Rechtsanwält*innen – arbeitet mit Volldampf daran, dass die Quote weiter steigt.

Diese Umgestaltung geht aus von der japanischen Automobilindustrie aus, die mit Toyota in den 1970er Jahren den Prototyp lieferte, und hat sich bis heute im Grunde auf alle Bereiche der Wirtschaft ausgeweitet: Darunter leiden die streikenden Milchbauern, die von Aldi ausgebeutet werden genauso, wie eine Dokumentarfilmerin, die für eine Produktionsfirma arbeitet, die den WDR oder das ZDF beliefert, oder ein Werkvertragsarbeiter, der in den maroden Anlagen der Shell-Raffinerie in Köln-Godorf sein Leben riskiert.

Ist Widerstand möglich?

Es besteht kein Grund depressiv zu werden: Denn es gibt meines Erachtens neuralgische Punkte in dem System:

1. Allen voran der Transport: Das Zulieferer-Dickicht wird nur durch Straße, Schiene und Landebahnen zusammen gehalten. Hier entstehen Flaschenhälse, die schon unter Normalbetrieb meist vor dem Kollaps sind, im Streikfall kann man sehr leicht den ganzen Laden dicht machen. Dafür würde es derzeit vermutlich schon genügen, wenn zwei Dutzend LKW-Fahrer*innen sich über Deutschland verteilt verabreden würden, zu einer bestimmten Stunde Elefanten-Rennen zu fahren. So erklärt sich auch die schäumende Wut des Establishments und angegliederter Journalist*innen über die unbeugsame Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL).

2. Die fehlende Indentifikation mit dem Job. Die Arbeitsbedingungen sind für viele so miserabel geworden, dass sie die Angst verlieren, ihre Arbeitsstelle zu verlieren. Der so genannte „Fachkräftemangel“ ist meines Erachtens auch darauf zurück zu führen, dass die Industrie keine Leute mehr findet, die zu ihren beschissenen Bedingungen arbeiten wollen, oder gar können. Hier zeichnet sich schon eine Art passive Verweigerungskultur in der arbeitenden Klasse ab, die eines Tages vielleicht auch offensive Züge annehmen könnte.

3. Die Vergleichbarkeit der Verhältnisse. Wenn die Leute erkennen, dass sie ganz gleich ob Putzfrau, LKW-Fahrer, Amazon-Lageristin oder IT-Spezialist, eigentlich unter dem selben Schema F leiden, dass im Grunde immer dieselben idiotischen Konzepte angewandt werden, um die Arbeit unerträglich zu machen, könnte auch bei uns etwas in Bewegung kommen.

Bislang reagieren die Leidtragenden häufig mit Resignation oder Zynismus, manche auch mit Selbsthass und Minderwertigkeitskomplexen. Vielleicht kann die Erkenntnis des kriminellen Kerns im Kapitalismus weitere Energien freisetzen kann. Wenn also deutlich wird, dass viele Unternehmer*innen offen kriminell und sozialschädlich handeln. Steuerflucht, Lohndumping, Lohnraub gehen oft Hand in Hand mit Union Busting. Hier finde ich es wichtig ein Bewusstsein zu schaffen, dass wir als Arbeitende grundlegende und unveräußerliche Menschenrechte besitzen und gegenüber einer undemokratischen Wirtschaftsform einfordern.

Jetzt schlägt's 13!

Heraus zum Schwarzen Freitag!

13. Januar 2017: Aktionstag Gegen Horror-Jobs und Anwälte des Schreckens
Die aktion ./. arbeitsunrecht e.V. ruft an jedem Freitag, den 13., bundesweit zu Aktionen gegen aggressive Unternehmer, skandalöse Arbeitsbedingungen, undemokratische Firmenkultur und Union Busting auf.

Der nächste Termin ist am 13. Januar 2017!

Nominierungsphase ab 17. Oktober – nennt uns miese Arbeitgeber und fiese Rechtsanwälte!

Vorbereitungstreffen zur Aktionsvorbereitung: 10. Dezember 2016 in Köln

mehr Infos: https://aktion.arbeitsunrecht.de/de/freitag13
Kontakt: buero@arbeitsunrecht.de

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