Argentinien: Neues Abkommen mit dem IWF stürzt das Land weiter in die Krise

21.04.2022, Lesezeit 7 Min.
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Die argentinische Regierung von Präsident Alberto Fernández hat ein neues Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds abgeschlossen, um die Schuldenzahlungen neu zu regeln. Damit übernimmt der IWF die volle Kontrolle über die abhängige Wirtschaft und stürzt das Land noch tiefer in die Krise.

„Wir haben uns hier versammelt, um auf die schwere soziale Krise aufmerksam zu machen, die wir erleiden. Die Menschen haben kein Geld mehr, um sich Brot, Gemüse oder Fleisch zu kaufen“, erklärt Fernando bestimmt. Er ist einer von Hunderten, die sich Ende März auf der Avenida 9 de Julio mitten im Zentrum der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires zusammen finden.

Sie fordern staatliche Unterstützung und neue Arbeitsplätze, um die Auswirkungen der sozialen Krise abzumildern. Dafür richteten sie ein Protestcamp vor dem Sozialministerium ein. Ein Großaufgebot der städtischen Polizei hatte die Aktivist*innen schikaniert und Zelte und Essen beschlagnahmt. Fernando weiß, dass der Kampf auch nach der Aktion weitergeht. „So wie es aussieht, wird es nur noch schlimmer. Unter der Herrschaft des IWF kommen wir nie aus dieser Krise raus.“

Wieder einmal befindet sich die argentinische Wirtschaft in einer tiefen Krise. Während die Löhne stagnieren, erreicht die Inflation neue Rekordwerte von über 50 Prozent. Ein neuer Deal zwischen der Regierung von Alberto Fernández und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sollte das Land vor der Zahlungsunfähigkeit retten und einen Ausweg aus der Krise bieten. Doch in den Augen Vieler verschärft das Abkommen die Abhängigkeit des Landes vom internationalen Finanzkapital noch weiter und führt zu mehr sozialer Ungleichheit und Armut.

Fauler Deal, gespaltene Regierung

Erst wenige Wochen zuvor hatte die Legislative das zwischen der Mitte-Links-Regierung unter Präsident Alberto Fernández und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ausgehandelte Abkommen zur Rückzahlung der Schulden abgesegnet. 44 Milliarden US-Dollar soll Argentinien an die internationalen Geldgeber zahlen. Sie sind Teil des Rekordkredites in Höhe von 57 Milliarden US-Dollar, der unter Ex-Präsident Mauricio Macri 2018 aufgenommen wurde. Die argentinische Regierung sah sich angesichts der Wirtschaftskrise infolge der Coronavirus-Pandemie und der zunehmenden Inflation nicht mehr dazu in der Lage, die anstehenden Raten zu bedienen und verhandelte neue Bedingungen.

Dabei ist bereits das Zustandekommen des IWF-Kredites fragwürdig. Es handelte sich um das größte Programm, das der IWF in seiner gesamten Geschichte gewährte, und das, obwohl das Land an den internationalen Märkten bereits seine Kreditwürdigkeit verloren hatte. Tatsächlich steckte hinter dem Rekordkredit eine politische Unterstützung für das neoliberale Projekt Macris durch seinen damaligen US-Amtskollegen Donald Trump und die IWF-Vorsitzende Christine Lagarde. Macris neobliberal-konservative Regierungskoalition Cambiemos befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einer tiefen Krise angesichts der brutalen Kürzungs- und Anpassungspläne, die zu einem massiven Anstieg der Armut geführt hatten. Jedes zweite Kind wächst mittlerweile unter der Armutsgrenze auf, eine von zehn Personen ist wohnungslos.

Von den aufgenommenen Schulden kam nur ein Bruchteil tatsächlich im Land an. „Das meiste Geld wurde zur Tilgung anderer Schulden bei internationalen Gläubigern genutzt oder ging direkt in die Hände der Finanzspekulant*innen“, sagt Christian Castillo, Hochschullehrer und ehemaliger Abgeordneter für die trotzkistische Front der Linken und Arbeiter*innen – Einheit (FIT-U), im Fernsehkanal A24. „Die Schulden sind ein Zeichen unserer Unterwerfung und Abhängigkeit.“ Während der Militärdiktatur zwischen 1976-1983 stiegen die Auslandsschulden von rund neun auf 45 Milliarden Dollar an, auch weil diese die Schulden von Unternehmen verstaatlichte.

Wegen knapper Devisen und der Inflation ist es besonders schwierig, die nötigen Dollar aufzutreiben. Der amtierende Wirtschaftsminister Martín Guzmán zahlte bereits 7,5 Milliarden Dollar an den IWF zurück, doch die Währungsreserven schmolzen im Zuge der Krise auf einen empfindlichen Tiefststand von 20 Milliarden. Die Schuldenfalle der internationalen Gläubiger, die hierzulande auch als „Aasgeier-Fonds“ bezeichnet werden, trocknet die argentinische Wirtschaft kontinuierlich aus und verhindert die Bekämpfung der Armut, geschweige denn ein unabhängiges und eigenständiges Wachstum.

Das neue Abkommen beendet diese Abhängigkeit nicht und bindet das Land bis mindestens 2034 an den IWF. Fernández rechtfertigte den Deal damit, dass keine Bedingungen an die Regierung gestellt würden und das Wirtschaftswachstum nicht gefährdet sei. Aber mit seiner Forderungen nach einem Aufschub um 20 Jahre oder einem anteiligen Schuldenschnitt stieß er beim IWF auf taube Ohren. Im Gegenteil fordert die Organisation für die Gewährung einer Gnadenfrist bis 2026 eine schrittweise Reduzierung des Haushaltsdefizites von aktuell 3 Prozent auf eine ausgeglichene Bilanz bis 2026.

Um diese Ziele zu erreichen, setzt die Regierung auf eine hohe Inflation, die „automatisch“ zu einer Verringerung des Haushaltsbudgets in Dollar führt.

Das Abkommen hat die peronistische Regierungsfraktion tief gespalten in die „Albertist:innen“, die dem Präsidenten Fernández und seiner Politik folgen und dem Deal im Abgeordnetenhaus und im Senat zusammen mit der bürgerlichen Rechten zustimmten, und die „Cristinist:innen“, Unterstützer:innen von Vize-Präsidentin Cristina Kirchner, die enge Beziehungen zu sozialen Bewegungen und Gewerkschaften pflegt. Ihr Sohn Máximo trat unter großer Aufmerksamkeit der Medien vom Fraktionsvorsitz zurück und positionierte sich links von Alberto Fernández. Zwar sind sich alle Flügel der Regierungskoalition darin einig, dass die Schulden zurückgezahlt werden müssen, jedoch streiten sie sich über die Bedingungen, unter denen dies geschehen soll.

Diese Spaltung zeigte sich deutlich bei den Gedenkmärschen anlässlich des Jahrestages des Putsches des 24. März 1976, der die letzte Militärdiktatur einleitete, als Albertist:innen und die Vertreter*innen des Kirchnerismus getrennte Demonstrationen organisierten. Wenige Stunden zuvor hielt die trotzkistische Linke ihre eigene Kundgebung auf der Plaza de Mayo ab, bei der sich Zehntausende gegen den Deal mit dem IWF aussprachen. „Kürzungen kommen immer zusammen mit Repression von Seiten des Staates“, heißt es im Manifest der aufrufenden Organisationen.

Ein neuer Kolonialpakt

Die Inflation erreichte allein im Februar 4,5 Prozent und überstieg bei Lebensmitteln und nicht-alkoholischen Getränken sogar 7 Prozent. Sollte sich diese Tendenz verstetigen, würde die Armut trotz sinkender Arbeitslosigkeit weiter ansteigen, so der Analyst des Zentrums für soziale Rechte beim Gewerkschaftsverband CTA – Autónoma, Luis Campos . Schon jetzt sind große Teile der Jugend prekarisiert und arbeiten zu Niedriglöhnen ohne Arbeitsvertrag und Recht auf bezahlten Urlaub. Dazu kommen die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine, der die Gas-, Strom- und Rohstoffpreise in die Höhe schießen ließ, was auch für den Gasimporteur Argentinien ein weiteres Problemfeld eröffnet.

Um die Erfüllung der Pläne zu kontrollieren und neue Zahlungen zu genehmigen, wird der IWF vierteljährige Kontrollen der Staatsfinanzen durchführen. Vertreter*innen des IWF forderten bereits, „überschüssige Kosten“ zu streichen und die „Nachhaltigkeit“ des Rentensystems zu überprüfen. „Der Deal mit dem IWF ist ein neuer Kolonialpakt, dessen Konsequenzen schon jetzt in der gestiegenen Armut sichtbar sind“, erklärt Alejandro Vilca, Abgeordneter der Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS) am Rande des Protestes der Arbeitslosenbewegung vor dem Sozialministerium. „Sie wollen mit der Inflation die Löhne drücken und eine Rentenreform durchsetzen, während viele Rentner*innen schon jetzt nicht die Armutsgrenze überschreiten.“

Die Linke fordert die Nichtzahlung der Auslandsschulden und ein Außenhandelsmonopol, um die Exporte und Preise der acht multinationalen und argentinischen Agrarkonzerne kontrollieren zu können. Angesichts der Unmöglichkeit, die Tilgungspläne des IWF zu erfüllen und gleichzeitig das soziale Gefüge im Land zusammenzuhalten, ist in den nächsten Jahren mit größeren Verwerfungen zu rechnen. Die linken Kräfte haben die Chance, einen historischen Ausweg aus der Sackgasse anzubieten.

Dieser Artikel erschien zuerst am 12. April 2022 bei analyse & kritik.

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