Argentinien: Ein Programm, um den Angriff auf die Arbeiter*innen zurückzuschlagen

04.09.2018, Lesezeit 10 Min.
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Mit der Mega-Entwertung, die die Macri-Regierung durchgeführt hat, liegt der Dollar jetzt fast bei 40 Pesos. Die geschätzte offizielle Inflationsrate liegt bei bei 42 Prozent, die Wirtschaft fällt um geschätzte 2,4 Prozent. Angetrieben vom "Putsch der Märkte" führt die Regierung jetzt einen der größten Angriffe auf die Arbeiter*innen durch. Dazu gehören weitere Kürzungen des öffentlichen Haushalts und staatliche Entlassungen – abgestimmt mit dem IWF.

Die Macri-Regierung hat es in Rekordzeit geschafft, die Wirtschaft zum Einsturz zu bringen. Das „Modell M“ – jetzt in der Krise – sollte den mit Macri befreundeten Sektoren der Agrarbourgeoisie und der Finanzwelt, den Unternehmer*innen, den Steuerhinterzieher*innen zu Gute kommen. Es garantierte von Anfang an die „Rückkehr zu den internationalen Kreditmärkten“ und arrangierte die Schuldenzahlungen an die Geierfonds. Dadurch stieg die Verschuldung in nur zweieinhalb Jahren um mehr als 100 Milliarden US-Dollar.

Die Verschuldungsparty, bei der zu sehr hohen Zinsen Anleihen in Pesos  (sogenannte „Lebac“-Papiere) ausgestellt wurden, erlaubte einen sehr profitablen carry trade und damit einen Regen an spekulativen Investitionen. Angesichts einiger Veränderungen auf internationaler Ebene entfesselten dieselben Sektoren den Wechselkurswettlauf und die Mega-Entwertung.

Der „Putsch der Märkte“ brachte den Dollar auf 40 Pesos, was scharfe Konsequenzen für die Inlandspreise und Reallohnverluste mit sich bringen wird. Die „Hilfe“ des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Deckung des Finanzdefizits, das durch die Kapitalflucht weiter wächst, wird nicht gratis sein. Mit Hilfe einer „Nulldefizit“-Politik werden weitere Kürzungen und eine neue Entlassungswelle kommen.

Ein Programm ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Krise nicht von den Arbeiter*innen bezahlt wird. Hier zählen wir einige zentrale Punkte eines solchen Programms auf.

1) Keine Rückzahlung der Schulden! Raus mit dem IWF!

Gegen Ende April bat die Regierung verzweifelt den IWF um finanzielle „Hilfe“, um die Spekulant*innen zu beruhigen, die ihre „Lebac-investierten“ Pesos ständig für harte Dollar verkauften.

Die Regierung hat nicht eine Sekunde an den Gedanken verschwendet, die 50 Milliarden Dollar aus dem IWF-Kredit für Bildung oder Gesundheit oder gar für einen öffentlichen Infrastrukturplan zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Arbeiter*innen und armen Schichten bereitzustellen.

Plan A hat nicht funktioniert. Federico Sturzenegger, der Präsident der Argentinischen Zentralbank, musste zuerst gehen. An seine Stelle an der Spitze der Zentralbank trat der „kreolische Wolf of Wall Street„, Luis „Toto“ Caputo. Auch Plan B funktionierte nicht, da externe Faktoren wie die Abwertung der türkischen Lira und des brasilianischen Reals eine erneute und stärkere Kapitalflucht von Seiten der Spekulant*innen auslösten.

Inmitten des wirtschaftlichen und politischen Chaos musste Macri eine neue Dollar-Rückzahlung an den IWF tätigen – insgesamt 29 Milliarden US-Dollar.

Wenn das Mandat von Macris „Cambiemos“-Partei endet, könnte die Staatsverschuldung bis zu 400 Milliarden US-Dollar betragen, fast doppelt so viel wie zum Zeitpunkt von Macris Regierungsantritt.

Argentinien hat es nie versäumt, Millionen von Kapital- und Schuldzinsen an den Imperialismus zu zahlen. Unter den kirchneristischen Regierungen wurden mehr als 200 Milliarden US-Dollar gezahlt, womit alle früheren illegalen und unrechtmäßigen Schulden legitimiert wurden, die sich aus der Verstaatlichung der privaten Schulden unter der Diktatur von 1976 ergaben.

Der Mechanismus der Auslandsverschuldung erhält die Ausbeutung der Schuldnerländer durch die imperialistischen Kreditgeber*innen aufrecht. Gruppen von Spekulant*innen und internationale Banken (Blackrock, Templeton, JP Morgan) wird es so ermöglicht, ihre Gewinne zu realisieren. Dadurch verstärkt sich die geopolitische Einmischung und die Arbeiter*innen und armen Schichten werden mit Sparmaßnahmen wie Entlassungen, Privatisierungsprozessen, Rentenreformen, Arbeitsreformen und der Abwertung der Kaufkraft der Löhne bestraft.

Griechenland ist ein klares Beispiel für die Pläne des IWF. In Nicaragua hat die Eskalation der sozialen Proteste gegen die Erhöhung des Rentenalters auf Antrag von IWF-Chefin Lagarde bereits mehr als 300 Demonstrant*innen das Leben gekostet.

Deshalb ist der einzige wirkliche Ausweg die Nichtzahlung der illegalen, unrechtmäßigen, betrügerischen und durch die Spekulant*innen von gestern und heute immer weiter erhöhten Auslandsschulden. Die Krise soll nicht von den Arbeiter*innen bezahlt werden! Raus mit dem IWF!

2) Verteidigung der Löhne und der Arbeitsplätze

Mit der wirtschaftlichen und politischen Krise verschlechtern sich die Lebensbedingungen der Massen der Arbeiter*innen und der Armen dramatisch. Mit dem wirtschaftlichen Abschwung von mindestens 2,4 Prozent verschärfen sich die Auswirkungen der Rezession, die es den Unternehmer*innen in vielen Fällen „ermöglichen“, Fabriken zu schließen und Entlassungen im privaten Sektor vorzunehmen.

Der multinationale Konzern Mondelez (ex-Kraft) war der erste, der einen Entlassungsplan von 200 Mitarbeiter*innen bekannt gab. Auch Autohersteller wie General Motors kündigten vor Monaten Kurzarbeit und Entlassungen an.

Ein weiteres Element, das die Löhne der Arbeiter*innen stark angreift, ist der Anstieg des allgemeinen Preisniveaus, der sich mit der Abwertung des Peso weiter nährt. Die Spekulanten Arcor, Molinos und Unilever haben den Verkauf ihrer Grundlebensmittel in Erwartung weiterer Preisanpassungen ausgesetzt.

Gleiches gilt für die dollarisierten Gebühren für privatisierte Energiedienstleistungen. Öffentliche Anhörungen zu Gaspreiserhöhungen wurden bereits am Montag angekündigt. Der Benzinpreis wird den gleichen Weg gehen.

Der neue offizielle Inflationswert für 2018 liegt bei 42 Prozent, während die meisten Lohnrunden bei 15 Prozent oder bestenfalls 25 Prozent schlossen. Das drückt einen stärkeren Rückgang der Reallöhne aus. Das staatliche Statistikinstitut Indec bestätigte, dass in der ersten Jahreshälfte mit einer Inflation von 16 Prozent die Löhne der Arbeiter*innen mit offiziellen Arbeitsverträgen um 6 Prozent zurückgingen, während informell Beschäftigte mit einem Verlust von 10,4 Prozent am stärksten betroffen waren.

Last but not least wird die Beschäftigung im öffentlichen Dienst von der von Lagarde geforderten grausamen Steueranpassung bedroht. Um die Dollarkredite des IWF zu sichern, bot die Regierung an, Ministerien zu schließen und mehr Staatsbedienstete zu entlassen. So gab es im Landwirtschaftsministerium bereits 600 Entlassungen. Die 10.000 Beschäftigten des Justizministerium, die schon jetzt in ausgelagerten Firmen arbeiten, könnten ebenfalls ihre Jobs verlieren.

Der brutale Angriff der Medien auf die Arbeiter*innen der Werft von Rio Santiago ist ein weiteres Beispiel für die Missachtung der öffentlichen Beschäftigung. In diesem Fall ist es ein Versuch, ihren Kampf zu diskreditieren, um die Privatisierung eines Sektors voranzutreiben, nämlich der Schiffsproduktion, die für private Unternehmen, die bereits die Autobahn von Paraná beherrschen, rentabel ist.

Die Steuersenkung betrifft auch Rentner*innen und Kinder, die Zuschüsse erhalten. All dies wird sich in einem Anpassungsbudget für 2019 ausdrücken.

Aus diesem Grund schlagen wir vor:

  • Ein Arbeitsnotstandsgesetz, das Entlassungen im öffentlichen und privaten Sektor verbietet.
  • Die Erhöhung des Gehalts anhand der Inflationsrate mit automatischer monatlicher Anpassung, ausgehend von einem Minimum, das dem Familienlohn entspricht, der derzeit etwa 30.000 Pesos beträgt.
  • Stopp der Preiserhöhungen für öffentliche Dienstleistungen. Öffentliche Dienstleistungen sind ein grundlegendes Recht, dessen Bereitstellung nicht von der Logik des kapitalistischen Profits der Großkonzerne bestimmt werden darf. Um eine rationelle Planung zu etablieren, ist es notwendig, das nationale Energiesystem unter der Verwaltung seiner Beschäftigten und der öffentlichen Kontrolle der Nutzer*innen zu verstaatlichen.
  • Erhöhung des Bildungsbudgets auf der Basis der Nichtzahlung der Auslandsschulden, um die Erhöhung der Lehrer*innengehälter und die Instandsetzung der Infrastruktur zu garantieren, sowie die Gewährung von Stipendien an Studierende zu ermöglichen, um den Zugang zu kostenloser Bildung zu gewährleisten.
  • Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle aller privater Unternehmen, die geschlossen werden oder in denen entlassen wird.
  • Nieder mit der Lohnsteuer.

3) Für die Verstaatlichung der Banken

Die von Cambiemos vorangetriebene vollständige Liberalisierung des Finanzsystems beschleunigte die bereits bekannte Erfahrung mit internationalem Spekulationskapital, das 2018 eine 100-prozentige Mega-Abwertung auslöste.

Die politische Verantwortung der Macri-Regierung ist unbestreitbar, von der tickenden Zeitbombe des Carry Trade mit dem Lebac, über die Pläne, die Schulden mit den IWF-Dollars zu bezahlen, bis hin zu allen Kosten, die auf die arbeitenden Massen abgewälzt werden sollen.

Geierfonds haben in den ersten sieben Monaten des Jahres über 20 Milliarden Dollar aus dem Land geschafft. Es ist bekannt, dass die ehemaligen Arbeitgeber des jetzigen Zentralbankchefs Caputo, J.P. Morgan und eine andere internationale Bank, zwei Milliarden Dollar aus den Reserven der Zentralbank nahmen, als Ende April der Absturz der Währung begann.

Aber auch die nationalen Unternehmer*innen, von denen viele dem „Club der öffentlichen Infrastruktur“ angehörten, machten gute Geschäfte. Obwohl es etwas schwierig ist, die genaue Höhe der ins Ausland geschleusten Gelder zu schätzen (Banknoten, Einlagen in Steueroasen wie Panama, Immobilien in anderen Ländern, öffentliche Anleihen und Unternehmensanteile), beziffern offizielle Indec-Zahlen das Vermögen der Argentinier*innen im Ausland auf rund 250 Milliarden US-Dollar. Andere Schätzungen gehen von bis zu 400 Milliarden Dollar aus.

Mit dem Dollar bei 40 Pesos, ausgehend von den offiziellen Daten, betrug das BIP Argentiniens im ersten Quartal dieses Jahres 300 Milliarden US-Dollar. Mit anderen Worten: Mehr als ein BIP ist aus dem Land geschleust worden.

Dies ist eine echte Plünderung, die im Schatten vor sich geht und die von Macris Geschäftsfreunden wie Calcaterra, Mindlin, Rocca oder Caputo begangen wird. Während die Medien versuchen, die öffentliche Meinung so zu formen, dass sie die Korruption bei den öffentlichen Infrastrukturprojekten (die es natürlich gab, die aber in den meisten wissenschaftlichen Berechnungen keine zehn Prozent des BIP erreicht) überbewerten, hört dieser Mechanismus der Kapitalflucht und Steuerhinterziehung nicht auf.

In der Krise von 2001 gehörten zu den fünfzig Gruppen, die Kapital aus dem Land schleusten, Pérez Companc, Telefónica de Argentina, Repsol, Telecom, Nidera, Shell.

Die Verstaatlichung der Banken unter der Verwaltung der Arbeiter*nnen würde nicht nur ein Instrument beseitigen, mit dem das Großkapital aus dem Land fliehen kann. Sondern sie würde auch die Beschlagnahmung der Bankkonten von Kleinsparer*innen verhindern, wie sie unter anderem Carlos Menem mit dem „corralito“ zu Beginn seiner Amtszeit durchführte. Eine einheitliche staatliche Bank wäre ein mächtiges Instrument für billige Kredite für bezahlbare Wohnungen oder für die von der Krise erstickten kleinen Händler*innen.

4) Außenhandelsmonopol

Ergänzend zum Vorschlag für ein einheitliches nationales Bankensystem wird das Außenhandelsmonopol notwendig, um Kapitalflucht und Steuerbetrug zu regulieren. Der Außenhandel wird von weniger als einhundert Unternehmen dominiert, darunter multinationale Agrarexporteure, einige Industriekomplexe wie die Automobilindustrie sowie Bergbau- und Ölgesellschaften, die die Preise ihrer Einkäufe im Ausland erhöhen, um ihre Bilanzen zu verschleiern. Sie nutzen sogar ihre eigenen Häfen, um Zollkontrollen zu vermeiden.

Sie befinden sich in einer starken „strategischen Position“, die sie nutzen, um die Wirtschaft zu konditionieren, Marktschocks oder Währungsengpässe zu erzeugen. Das Außenhandelsmonopol würde es ermöglichen, Devisen auf der Grundlage der Bedürfnisse der Werktätigen und nicht auf der Grundlage der Gewinne einiger weniger zu verwalten. Quellensteuern auf exportfähige landwirtschaftliche Produkte wie Sojabohnen und Hindernisse für die Einfuhr von Produkten, die im Land hergestellt werden könnten, sind von entscheidender Bedeutung.

5) Jetzt ist es an der Zeit, die Kürzungen des Macrismus und des IWF zurückzuschlagen!

Die argentinische Krise von 2001 war der Höhepunkt einer Periode der Schuldenkrise in der Peripherie, deren Henker der IWF war. Heute ist eine neue Plünderung im Gange und die Wetten auf einen möglichen Zahlungsausfall steigen.

Diese Dualität zwischen einem Millionengeschäft für Spekulant*innen und Geschäftsleuten, das von der herrschenden sozialen Klasse – der Bourgeoisie – gefördert wird, und den Kosten, die sie den Arbeiter*innen und schutzbedürftigen Sektoren – der Arbeiter*innenklasse – aufbürden wollen, muss aufgedeckt und bewältigt werden.

Die Zunahme von Armut und Arbeitslosigkeit – wie in den 1990er Jahren – wird die „Reservearmee“ hervorbringen, die notwendig ist, um diesen Angriff und diese Disziplinierung der Arbeiter*innen durchzusetzen.

Der Peronismus ist keine Option, weil er früher oder später den Kürzungshaushalt für das nächste Jahr mitverhandeln wird, wie er es im Jahr 2000 getan hat. Und der Kirchnerismus ruft dazu auf, bis 2019 zu warten und nur an eine elektorale Lösung zu denken, während die Arbeitslosigkeit und die Inflation wachsen und er keine Maßnahmen ergreifen will, damit wir die Krise nicht bezahlen müssen. Deshalb ist es eine Priorität, über einen Ausweg der Arbeiter*innen nachzudenken, um den aktuellen Angriff zu stoppen.

Jetzt ist es an der Zeit, Macris Pläne zurückzuschlagen, sonst werden die sozialen Folgen katastrophal sein. Wir müssen fordern, dass die verschlafenen Gewerkschaftszentralen CGT und CTA, einen 36-stündigen aktiven nationalen Streik ausrufen. Dieser muss der Beginn eines Kampfplans sein, der in einem Generalstreik gipfelt.

Um diese Maßnahmen aufzubauen, ist es notwendig, von den Gewerkschaften und Studierendenzentren aus Versammlungen in den Betrieben, Schulen, Universitäten und Nachbarschaften und Koordinationen der kämpfenden Sektoren zu fördern.

Der Unmut zeigt sich in Kämpfen wie dem der Werft von Rio Santiago oder für die Verteidigung der öffentlichen Universität oder dem öffentlichen Dienst.

Um gegen das Regime der Plünderung und Korruption zu kämpfen – angesichts dessen, dass die Mehrheit der Arbeier*innen das strategische Ziel der Linken, eine Regierung der Arbeiter*innen zu erobern, noch nicht teilt –, schlägt die PTS in der Front der Linken und der Arbeiter*innen vor, für eine Freie und Souveräne Verfassungsgebende Versammlung zu kämpfen, die eine Reorganisation des Landes nach den Bedürfnissen der Arbeiter*innen und der Bevölkerung vornimmt.

Dieser Artikel bei La Izquierda Diario.

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