Argentinien: Die Straße stoppt die Kürzungen – Regierung in der Krise [mit Fotos und Videos]

15.12.2017, Lesezeit 3 Min.
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Am Mittwoch rief die Regierung eine Sondersitzung im Parlament in Buenos Aires ein, um am folgenden Tag über die geplante Rentenreform abzustimmen. Linke Organisationen und Aktivist*innen versammelten sich um den Kongress herum, worauf die Polizei mit Gummigeschossen und Tränengas reagierte. Die Massivität des Protests brachte die Regierungspartei dazu, einzuknicken und die Abstimmung zu verschieben.

Eigentlich sollte über die Rentenreform erst nächste Woche Donnerstag, in der letzten Sitzung vor den Sommerferien, abgestimmt werden. Doch die Tage kurz vor Weihnachten haben große symbolische Bedeutung für die argentinische Bevölkerung: Aufgrund einer Staats- und Wirtschaftskrise am 19. und 20. Dezember 2001 tobten in mehreren Städten des Landes Straßenschlachten, aufgrund derer insgesamt fünf Präsidenten zurücktragen und mehrere Dutzend Demonstrierende starben.

Da die Regierung unter dem neoliberalen Präsidenten Macri mit ihren geplanten Reformen viele beunruhigt, beschloss sie, die Abstimmung kurzfristig zu beschleunigen, um sie nicht an den “revolutionären Tagen” um den 20. Dezember durchzuführen.

 

Als sie am Mittwoch die Sondersitzung einberiefen, folgten sofort Proteste, die die Polizei mit Gewalt unterdrückte. Die Spitze des Gewerkschaftsverbands CGT rief zu Demonstrationen am Donnerstag um 14 Uhr auf, wo der Beginn der Sitzung geplant wa, ohne jedoch einen Streik auszurufen, den sie sich für den Freitag aufheben wollten. Die radikale Linke und Basisgewerkschaftsbewegungen riefen schon ab 8 Uhr zu Mobilisierungen auf, um bereits vor den Abgeordneten vor Ort zu sein und führte mehrere Straßenblockaden durch.

Im Parlament herrschte Chaos wie auf der Straße – auch ohne Barrikaden und Wasserwerfer. Viele Abgeordnete der Opposition waren selbst an den Protesten beteiligt und kamen deswegen nicht rechtzeitig in die Sitzung. Weil diese aufgrund der fehlenden Parlamentarier*innen nicht beschlussfähig war, schmuggelte die Regierungspartei Cambiemos zwei Abgeordnete hinein, die noch nicht ihren Amtseid abgelegt hatten und deshalb kein Stimmrecht hatten, und fälschte somit ein Quorum. Durch lautstarke Debatten, die an einer Stelle fast zu Handgreiflichkeiten führten, sowie dem ausschlaggebenden Druck auf der Straße schlugen die Abgeordneten von Cambiemos die Vertagung der Sitzung vor.

Als um etwa 15 Uhr die Sitzung beendet wurde, ging die Repression auf der Straße jedoch weiter: Die Polizei schoss mit Gummigeschossen und schlug auf die Demonstrierenden ein, auch Journalist*innen und Rentner wurden verletzt. Die Repression gegen Abgeordnete, Rentner*innen und breite Teile der Zivilbevölkerung, die gegen die Austeritätspolitik protestierten, brachte die Regierung in eine Krise. Selbst Elisa Carrió, die Abgeordnete für Cambiemos, die die Vertagung der Sitzung gefordert hatte, sprach sich gegen die Repression aus, die von ihrer eigenen Partei und der Sicherheitsministerin Patricia Bullrich angeordnet wurde. Carrió, die Macri in reaktionärem Gedankengut oft übertreffen kann, zeigte sich unwillig mit der unbeliebten Reform fortzufahren.

Somit sahen Macri und sein Kabinett nur eine andere Möglichkeit: das Dekret. So wie das “Loi El-Khomri” 2016 in Frankreich ohne Absegnung des Parlaments durchgebracht wurde. Nun ist noch nicht klar, ob es hierzu kommen wird, die Quellen sind widersprüchlich. Klar ist jedoch: Falls die Regierung hierauf zurückgreift, werden Opposition und Gewerkschaften mobilisieren.

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