Argentinien: Die Ära Milei beginnt mit Erpressung und Lügen

11.12.2023, Lesezeit 7 Min.
Übersetzung:
1
Bild: Facundo Florit / shutterstock.com

Der neue ultrarechte argentinische Präsident wurde am Sonntag vereidigt. Bei seiner Amtseinführung gab sich die internationale Rechte die Klinke in die Hand. Mileis Projekt verheißt brutale Kürzungspläne und Inflation.

Javier Milei und Victoria Villarruel wurden am Sonntag als Präsident und Vizepräsidentin Argentiniens vereidigt. Anschließend hielt der gewählte Präsident eine Rede auf den Stufen des Kongresses, wo ihm weniger Menschen zuhörten als von seiner Partei La Libertad Avanza erwartet. Vorhersehbarerweise drohte er damit, dass aufgrund des Zustands, in dem die vorherige Regierung von Alberto Fernández das Land hinterlassen hat, eine brutale Anpassung vorgenommen werden müsse, da sonst ein Chaos drohe. Eine Geschichte voller Lügen und Erpressung zu Gunsten der Kapitalist:innen. Hingegen prangerte die Front der Linken und der Arbeiter:innen (FIT) angesichts der Amtseinführung die Angriffe an, die auf die argentinischen Massen zukommen, und schlug vor, sich zu organisieren, um dagegen anzugehen.

Unter den Gästen der Amtseinführung befanden sich führende rechte Politiker:innen vom ganzen Kontinent und aus der ganzen Welt wie Jair Bolsonaro, Giorgia Meloni, Emmanuel Macron und Dina Boluarte, aber auch Wolodymir Selenskyj. Es waren jedoch auch führende Politiker:innen anderer politischer Richtungen anwesend, selbst der reformistische chilenische Präsident Gabriel Boric. Der kurze formale Akt fand inmitten von „Freiheit“-Sprechchören und Rufen gegen die Linke statt, darunter auch rassistische Beleidigungen gegen den FIT-Abgeordneten Alejandro Vilca.

Abweichend von früheren Traditionen und in Anlehnung an US-amerikanische Ästhetik und Gepflogenheiten hielt Javier Milei seine erste Rede als Präsident im Amt. Er hielt diese nicht vor der gesetzgebenden Versammlung, sondern außerhalb, auf der Plaza de los Dos Congresos (auf den Stufen des argentinischen Parlaments), und versuchte, sich während seiner Wahlkampagne „dem Volk“ zuzuwenden und nicht dem, was er „die Kaste“ nannte. Die Schwäche von La Libertad Avanza innerhalb des Nationalkongresses (wo sie in der Minderheit ist) wurde jedoch nicht durch die „Außenwirkung“ kompensiert: Die Mobilisierung war quantitativ geringer als von La Libertad Avanza erwartet, was zeigt, dass die neue Regierung auch in Bezug auf die Mobilisierungskraft Schwächen hat.

In seiner ersten Rede als Präsident im Amt kehrte Javier Milei zu den Achsen zurück, die er bereits im Wahlkampf angedeutet hatte. Er formulierte eine sehr harte Diagnose des Erbes, das er erhalten hatte, um anschließend zu Erpressung überzugehen: Ein harter Kürzungsplan müsse akzeptiert werden, sonst würde das Chaos der Hyperinflation eintreten. Diese Operation basiert auf der schrecklichen sozialen Situation, die die Vorgängerregierung der peronistischen Frente de Todos mit 44,7 Prozent Armut hinterlassen hat. Aber nicht, um sie zum Wohle der großen Mehrheit zu lösen, sondern für die Mächtigen: Er versucht, die enorme soziale Unzufriedenheit mit der langjährigen Wirtschaftskrise zu nutzen, um auf den Tisch zu hauen und harte Maßnahmen zu rechtfertigen.

In seiner Rede griff er auf die alten Diskussionen innerhalb des Macrismus (das politische Spektrum des ehemaligen rechten Präsidenten Mauricio Macri, A.d.Ü.) zurück und argumentierte für einen Schockplan anstelle gradueller Reformen: „Wir haben keine Alternative, keine Zeit und keinen Spielraum für sterile Diskussionen“, weil das Land „sofortiges Handeln verlangt“.

Außerdem versprach er – genau wie die damalige Macri-Regierung –, dass es Licht am Ende des Tunnels gebe und dass dies „der einzige Ausweg aus einem Modell der Dekadenz ist, das von den Politikern all dieser Jahre aufgezwungen wurde“.

Dabei springt jedoch direkt Mileis Wahlbetrug ins Auge: Hatte er im Wahlkampf noch versprochen, dass die Anpassung von der „Kaste“ und nicht vom Volk bezahlt werden würde, so hat er seine Formulierung  jetzt verändert. Nun sollen die Sparmaßnahmen auf Kosten „des Staats“ und des Privatsektor gehen. Mit anderen Worten: Mit der Lüge, dass „kein Geld da ist“, wird er die fabelhaften Geschäfte der Kapitalist:innenklasse aufrechterhalten, während er den Mehrheiten eine brutale Anpassung aufbürdet. Aber wie die Front der Linken und der Arbeiter:innen (FIT) im Voraus anprangerte, gibt es genügend Geld: Es wird von den Banken, dem IWF, den privatisierten Unternehmen, der Agrarenergie und den privatisierten Unternehmen in die Tasche gesteckt, neben anderen Interessen, die Milei nicht anfassen will.

Er hat es selbst gesagt: Mit den Maßnahmen, die er unter dem Deckmantel dieses Narrativs zu ergreifen gedenkt, wird sich die Inflation in den kommenden Monaten verschärfen und die Wirtschaftstätigkeit zurückgehen. „Wir wollen die harten Entscheidungen, die in den nächsten Wochen getroffen werden müssen, nicht, aber leider bleibt uns keine andere Wahl. Wir werden alle notwendigen Entscheidungen treffen, um das Problem zu lösen, das durch 100 Jahre politischer Verschwendung verursacht wurde, auch wenn es hart ist.“

Seiner Rede zufolge müssen sofort eine umfassende Haushaltsanpassung vorgenommen und die Ausgaben eingeschränkt werden. Die Korrektur der „wirtschaftlichen Ungleichgewichte“ wird auch weitere Abwertungen und Zollerhöhungen mit sich bringen. Konkrete Ankündigungen werden vom neuen Wirtschaftsminister Caputo am Montag um 8 Uhr erwartet.

Um seine Erpressung zu formulieren, machte sich Präsident Milei sogar einen der berühmtesten Sätze von Margaret Thatcher zu eigen, einer der wichtigsten Figuren in der Geschichte des Neoliberalismus, die er oft bewunderte: „There is no alternative“. Der neue Präsident legte auch eine neoliberale und oligarchische Lesart der argentinischen Geschichte dar, um sein ultraliberales Modell zu rechtfertigen.

In einem anderen Teil seiner Rede erklärte Milei: „Es wird nicht einfach sein. 100 Jahre des Scheiterns können nicht an einem Tag ungeschehen gemacht werden, aber heute ist dieser Tag; wir beenden den Weg der Dekadenz und beginnen, den Weg des Wohlstands zu beschreiten.“ Er hinterließ eine Drohbotschaft gegen soziale Proteste, die angesichts der angekündigten Pläne zweifellos wachsen werden: „Diejenigen, die die Straßen blockieren, werden keine Unterstützung von der Gesellschaft erhalten: Diejenigen, die sie blockieren, werden nicht bezahlt werden“. Und weiter:

Diejenigen, die den Wandel mit Gewalt oder Erpressung verhindern wollen, werden sich mit einem Präsidenten konfrontiert sehen, der unerschütterliche Überzeugungen hat. Wir werden nicht nachgeben, zurückweichen oder aufgeben, sondern die Veränderungen, die das Land braucht, vorantreiben.

Seine Botschaft war vorhersehbar. Seine Erpressung war es auch. Seine Pläne müssen sich nun aber in der Realität einer Regierung bewähren, die verbal behauptet, sehr entschlossen zu sein, die aber von unbekannten Kräfteverhältnissen im Nationalkongress und in der sozialen Realität der großen Mehrheiten, die jahrelang unter Anpassungen gelitten haben, durchzogen ist. Die Aufgabe der Stunde ist es, die Erpressung von Milei anzuprangern, gegen sein Narrativ zu kämpfen und damit zu beginnen, sich in Versammlungen zu organisieren, um dem, was kommt, entgegenzutreten. Tausende von Staatsangestellten, Industriearbeiter:innen, Frauen und queere Menschen oder die Umweltbewegung haben bereits damit begonnen.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Spanisch bei La Izquierda Diario und wurde für die deutsche Fassung leicht angepasst.

Mehr zum Thema