Argentinien: 500.000 bei größtem feministischen Treffen Lateinamerikas

19.10.2019, Lesezeit 6 Min.
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In der Stadt La Plata (Argentinien) trafen sich am vergangenen Wochenende fast eine halbe Millionen Frauen, Lesben, Bisexuelle, trans, inter und nicht-binäre Personen zum 34. Plurinationalen Treffen, um in verschiedenen Workshops zu diskutieren und massenhaft auf die Straße zu gehen.

Seit 34 Jahren findet in Argentinien in unterschiedlichen Städten des Landes jährlich ein feministisches Treffen statt, bei dem Frauen, Lesben, Bisexuelle, trans, inter und nicht-binäre Personen zusammenkommen, um in Workshops die Probleme der feministischen Bewegung aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren.

Das erste Treffen fand 1986 in der Stadt Buenos Aires statt, drei Jahre nach dem Ende einer der schrecklichsten Diktaturen, die rund 30.000 verschwundene Personen zur Folge hatte. Rund 1000 Frauen* aus verschiedenen politischen Parteien beschlossen, sich zu treffen und den öffentlichen Raum zu übernehmen – einen Raum, der ihnen historisch verweigert wurde. Zu dieser Zeit war eine der zentralen Debatten das Scheidungsrecht (das erst 1987 in Argentinien eingeführt wurde) und das Recht beider Eltern, Erziehungsberechtigte zu sein zu dürfen. Es war ursprünglich nicht geplant, jährliche Treffen stattfinden zu lassen, aber das erste Treffen war so erfolgreich, dass beschlossen wurde, es jedes Jahr in einer anderen Stadt abzuhalten, um die Debatten der feministischen Agenda in alle Ecken des Landes zu tragen.

Das Treffen vom vergangenen Wochenende war aus verschiedenen Gründen einzigartig: Zum ersten Mal nahmen so viele Frauen, Lesben, Bisexuelle, trans, inter und nicht-binäre Personen daran teil – wahrscheinlich war es das größte Treffen dieser Art in der bisherigen Geschichte. Gleichzeitig war es das erste Mal, dass es eine Mehrheit in den Versammlungen und Workshops gab, es ein “Plurinationales Treffenn” statt ein “Nationales Treffen” zu nennen. Nach einem Diskussionsprozess bei den letzten beiden Treffen wurde die Forderung nach einer Namensänderung in der letzten Versammlung mit großer Mehrheit angenommen – trotz des noch immer bestehenden Widerstandes der Organisationskommission des Treffens. Gefordert hatten dies die Frauen* der indigenen Völker und Gemeinschaften der 36 Nationen von ganz Abya Yala (der Name des amerikanischen Kontinents in der indigenen Kuna-Sprache), schwarze und afrikanische Identitäten sowie rassisierte und migrantische Frauen.

Besonders nachdrücklich wurde die Trennung von Kirche und Staat, die Legalisierung von Abtreibung und die Einhaltung des Gesetzes über eine umfassende säkulare und wissenschaftliche Sexualaufklärung an den Schulen gefordert.

Auch bei den Workshops, die sich mit der aktuellen Situation des Kampfes gegen die Anpassungspolitik des derzeitigen argentinischen Präsidenten Mauricio Macri und des IWF und gegen die massiven Entlassungen und die Prekarisierung angesichts der folgenschweren Wirtschaftskrise der jetzigen Regierung auseinandersetzten, war die Beteiligung enorm. Ebenso in den Workshops, die den Kampf gegen die Einmischung des Imperialismus in das Land thematisierten.

Die Frauen* der “Koordination der Arbeiter*innen im Kampf” der südlichen Zone der Provinz Buenos Aires, zu der unter anderem Frauen* von Ansabo, Coca Cola, Siam, Ran Bat gehören, sowie Arbeiter*innen von Grafikunternehmen unter Selbstverwaltung, wie Madygraf und WorldColor, Arbeiter*innen des Posadas-Krankenhauses und Arbeiter*innen der Lebensmittelhersteller Kraft, PepsiCo und Felfort, nahmen ebenfalls eine wichtige Rolle in den Workshops ein.

Dieses Treffen fiel auch mit der ersten Debatte für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 27. Oktober zusammen, bei der der einzige Kandidat, der sich in dieser Debatte auf das Treffen bezogen hat, Nicolás del Caño von der “Frente de Izquierda Unidad” war. Trotz der Ausmaße und des Einflusses, den diese Treffen für Argentinien und die feministischen Bewegungen in Lateinamerika haben, schienen die übrigen Kandidaten ihnen nicht die angemessene Aufmerksamkeit zu schenken.

Die “Frente de Izquierda Unidad” ist die einzige politische Partei, die zu den kommenden Wahlen mit einer Liste von Kandidat*innen antritt, die zu 100% aus Befürworter*innen legaler Abtreibung besteht. Nach der Ablehnung der Legalisierung der Abtreibung durch den Senat im vergangenen Jahr ist es notwendig, sich im Parlament für die Rechte von Frauen* und gebärfähigen Personen einzusetzen.

Die soziale Bewegung #NiUnaMenos und die „Grüne Welle“ für das Recht auf Abtreibung sind nicht über Nacht enstanden. Die Ausmaße dieser Bewegungen, die in den letzten fünf Jahren die Straßen mit Millionen von Menschen gefüllt haben, die die Rechte von Frauen und LGBITTQ* einfordern, sind das Ergebnis eines jahrelangen Kampfes verschiedener Sektoren, die täglich gegen Patriarchat und Kapitalismus vorgehen.

Es sei darauf hingewiesen, dass nach dem 18. Treffen im Jahr 2003 zum ersten Mal die Forderung nach dem Recht auf legale, sichere und freie Abtreibung erhoben wurde. Es war auch das erste Mal, dass dieser Kampf und das markante grüne Halstuch in den Medien auftauchte, das heute überall als unbestreitbares Symbol für den Kampf um die legale Abtreibung erscheint.

Nach diesem Treffen 2003 wurde unsere Schwesterorganisation „Pan y Rosas“ gegründet, mit dem Ziel, für einen sozialistischen Feminismus zugunsten der Arbeiter*innenklasse und des Klassenkampfes zu kämpfen. Die Organisation betrachtet Patriarchat und kapitalistisches System nicht als strikt voneinander getrennte Bereiche oder als Dichotomie, sondern kämpft auch darum, sichtbar zu machen, dass es keine Revolution gegen das Patriarchat geben kann, wenn es keinen gleichzeitigen Kampf gegen den Kapitalismus und die herrschende Klasse gibt. Das Manifest der Organisation “Brot und Rosen” aus Deutschland kann hier gelesen werden.

Auf Wunsch von “Pan y Rosas” war die Solidarität mit den Protesten gegen die Anpassungspläne in Ecuador ein weiteres wichtiges Thema der Workshops. Nachdem die Regierung Lenín Morenos die vom Internationalen Währungsfond vorgegebenen Sparmaßnahmen umsetzte und somit massive Proteste auslöste, in denen Frauen*, Arbeiter*innen, Bäuer*innen und indigene Gemeinschaften dieses Landes die Protagonist*innen waren, war die einzige Reaktion darauf weitere Repressionen und Gewalt seitens der Regierung.

Das Treffen endete mit einer letzten massiven Mobilisierung und einer Versammlung, in der vereinbart wurde, dass das nächste Treffen im kommenden Jahr in San Luis stattfinden wird.

Frauen, Lesben, Bisexuelle, trans, inter und nicht-binäre Personen in Argentinien werden sich weiterhin jährlich treffen, um darüber zu diskutieren, wie das Patriarchat gestürzt werden kann. Und damit diese Agenda wirksam wird, müssen wir uns weiterhin auf der Straße treffen, Hand in Hand mit der Arbeiter*innenklasse.

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