Arbeiter*innen­kontrolle gegen die Pandemie

25.03.2020, Lesezeit 5 Min.
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Argentinien hat eine lange Tradition der Besetzung von Fabriken und der Produktion unter Arbeiter*innenkontrolle. In der Krise haben Arbeiter*innen, die früher Polizeiuniformen nähen mussten, die Kontrolle über ihren Arbeitsplatz übernommen und stellen jetzt chirurgische Masken her. Ein Hotelarbeiter aus den USA, der sich derzeit in Argentinien aufhält, berichtet.

Es wird den Menschen auf der ganzen Welt klar, dass die Führungspersonen unserer Gesellschaft – die Präsident*innen und Premierminister*innen, die Milliardär*innen und Vorstände der multinationalen Konzerne, die Prominenten und Talking Heads – wenige Lösungen für die beiden Krisen des Coronavirus und des Wirtschaftsabschwungs haben. In den meisten Ländern ist die Reaktion auf die Pandemie zu schwach und zu spät – und die Massen zahlen den Preis dafür.

Die Inkompetenz der herrschenden Klasse steht in scharfem Kontrast zum Heldentum und zur Kreativität der Arbeiter*innen der Welt. Da viele nicht unbedingt notwendige Arbeitsplätze geschlossen wurden oder die Menschen von zu Hause aus arbeiten, findet man in den sozialen Medien überall Lob für die Arbeiter*innen, die im medizinischen Bereich, im Dienstleistungssektor, in der Sanitärversorgung, im Transport, im Einzelhandel und in anderen Bereichen unter schrecklichen Bedingungen und hohem Risiko arbeiten, um die notwendigen Güter und Dienstleistungen bereitzustellen.

In Argentinien gibt es eine Tradition von Fabriken, die von den Arbeiter*innen kontrolliert werden und aus der Krise von 2001 hervorgegangen sind. In jenem Jahr übernahmen Arbeiter*innen im Zuge der Schließung von Unternehmen die Kontrolle über 200 Betriebe und nahmen die Produktion wieder auf. In den folgenden Jahren wurden diese ersten Beispiele von Arbeiter*innen in verschiedenen Branchen aufgegriffen, die gegen Schließungen und Entlassungen kämpften. Diese Kämpfe bedeuteten jedoch nicht nur die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmer*innen, die sonst auf der Straße geworfen wären – sie lieferten auch den Beweis dafür, dass die Bosse durch das Management der Arbeiter*innen ersetzt werden können. Nun wurden viele dieser Fabriken zu integralen Bestandteilen ihrer Gemeinden.

In Zeiten des Coronavirus tragen diese „zurückeroberten“ Fabriken ihren Teil dazu bei, die Pandemie zu stoppen. Sie bieten einen Einblick, wie eine Produktion für den Bedarf statt für die Gier aussehen könnte.

Um der Pandemie entgegenzutreten, werden trotz Ansteckungsgefahr Atemschutzmasken hergestellt

Die Textilfabrik Traful in Neuquen wurde 2017 unter die Kontrolle der Arbeiter*innen gestellt, nachdem die Eigentümer, die Brüder Huerta, mitten in der Nacht die meisten Maschinen entfernt hatten. Dies war nicht so einfach, wie es sich anhört, denn die Arbeiter*innen wurden vorher gewarnt und blockierten die Straße, die zur Fabrik führte. Zu ihnen gesellten sich ihre Kolleg*innen aus der Keramikfabrik Zanon, die seit 2001 unter Selbstverwaltung steht. Erst mit einer Polizeieskorte konnten die Huertas nach stundenlangem Stillstand um etwa 3 Uhr morgens Maschinen abtransportieren.

Den Arbeiter*innen wurde ein größtenteils leerer Laden überlassen. Obwohl sie enttäuscht waren, gaben sie sich nicht geschlagen und suchten die Unterstützung der Gemeinschaft. Die übrig gebliebenen industriellen Waschmaschinen wurden für die Wäscherei genutzt, Nähmaschinen wurden gespendet. Als die mit Schildern und Transparenten bewaffneten Arbeiter*innen auf die Autobahnen und Straßen gingen, um nach Spenden zu fragen, wurden sie mit Unterstützung überhäuft.

Jetzt revanchieren sie sich mit der Herstellung von Atemschutzmasken und Kitteln. Obwohl sie sich in sozialer Distanzierung üben, riskieren sie eine Ansteckung, um dringend benötigte Vorräte zu produzieren. In ihrer Presseerklärung erklären sie, dass sie „überzeugt sind, dass wir, die Arbeiter, angesichts dieser Krise mit konkreten Maßnahmen in die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Initiativen eingreifen müssen, um der Pandemie entgegenzutreten“. Sie fordern, dass die Regierung einen Produktionsplan finanziert, während die nicht unbedingt benötigten Arbeitnehmer*innen zu Hause bleiben und bezahlt werden. Mit ihren Erklärungen und Aktionen zeigen sie, dass eine gute Gesundheit nicht durch Spekulation und Gewinnstreben bestimmt werden sollte.

Eine Fabrik, die einst Polizeiuniformen an die Provinzregierung lieferte, steht nun unter der Kontrolle der Arbeiter*innen und produziert die zur Eindämmung des Coronavirus erforderlichen Vorräte.

In den USA stellen die Beschäftigten im Gesundheitswesen der Providence St. Joseph Health in Washington ebenfalls Masken her, um sich zu schützen, während sie an der Front gegen die Pandemie arbeiten.

Wie kann es sein, dass es an Desinfektionsmittel mangelt?

Von Arbeiter*innen kontrollierte Labors und Lebensmittelverarbeitungsbetriebe produzieren dringend benötigte Desinfektionsmittel, wie z.B. bei FarmaCoop in der Provinz Buenos Aires und La Terre in der Provinz Mendoza.

Auch an noch nicht „zurückeroberten“ Arbeitsplätzen wollen die Arbeiter*innen lebensnotwendige Güter produzieren. Die Beschäftigten der staatseigenen Werft Astillero Río Santiago, die seit langem unter revolutionärer sozialistischer Führung stehen, forderten die Nutzung ihrer Labors zur Herstellung von Desinfektionsmitteln.

In der Stadt Rosario haben die Lehrer*innen der Technischen Schule von San José die zahlreichen Labors zur Herstellung von über 40 Kilogramm Desinfektionsmittel genutzt. Leider erschweren die Provinzbehörden die Verteilung des Desinfektionsmittels.

Die technischen Schulen in Mendoza folgen dem Beispiel von San José. In der nördlichen Provinz Jujuy stellen Lehrer*innen und Studierende des Hochschulinstituts Nr. 11 die dringend benötigten Gesichtsmasken her, während die Reaktion der Behörden rein strafend ist und keinen Plan für Gesundheit und Wohlfahrt aufstellt.

Der Kapitalismus hat die Mittel hervorgebracht, um so viele Dinge einfach und effizient zu machen. Und doch findet das System Schwierigkeiten bei den einfachsten Dingen, wie Gesichtsmasken in die Hände von Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens und der Sanitäter*innen zu legen, die die Pandemie zu stoppen versuchen.

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