Ángel Hernández: The Exodus Lecture – Der Krieg, das Verlangen und der Verrat

26.11.2016, Lesezeit 5 Min.
1

Ángel Hernández ist Aktivist aus Mexiko und sucht in einem weltweiten Kollektiv von Künstler*innen Orte von Gewalt und Konflikten auf. Er ist Initiator des Teatro Para El Fin Del Mundo, dem „Theater für das Ende der Welt“, einem Festival in Mexiko, das sich mit dem Phänomen der Migration in Mittelamerika beschäftigt. Im Auftrag der Münchner Kammerspiele hat er in sechsmonatiger Arbeit entlang der Fluchtrouten um Europa Parallelen zur Migration in Mexiko, Europa und dem Nahen Osten gezogen.

Ángel Hernández ist Initiator des Festivals „La Bestia“ in Mexiko, das nach den berüchtigten Güterzügen benannt ist, die Migrant*innen aus ganz Mittelamerika an die Grenze der USA bringen. Im Auftrag der Münchner Kammerspiele erarbeitete Hernández mit „The Exodus Lecture“ eine Lesung, die Parallelen zwischen verschiedenen Orten der Migration sowie ein Bewusstsein für die Lebensumstände der Migrant*innen schaffen soll. Für seine Recherche hat er Geflüchtete und Migrant*innen in München, entlang der Fluchtrouten um Europa und in seinem Heimatland Mexiko getroffen. Die Lesung fand am 21. November im Rahmen des Welcome Cafés in den Kammerspielen statt.

Migration in Mittelamerika und Europa

Hernández sucht für seine Arbeit Orte von Konflikten und Gewalt auf und will gemeinsam in einem weltweiten Kollektiv von Künstlern ein Bewusstsein für Migration und den damit einhergehenden Umständen schaffen. Es gibt dabei einige Gemeinsamkeiten zwischen Europa, dem Nahen Osten und Mittelamerika: Wie ‚La Bestia‘ Mexiko durchquert und von Durst und Hunger betroffene Migrant*innen samt ihrer Habseligkeiten an die Grenze der USA bringt, so brachten Regionalzüge im Sommer 2016 Geflüchtete aus Syrien, Nigeria, Eritrea, Afghanistan, Pakistan und vielen weiteren Ländern von Italien über Österreich an die Grenze Deutschlands.

Auch über die Balkanroute wählten viele Migrant*innen einen langen und unsicheren Weg mit Zügen, Bussen und Booten. Hernández und seine Begleiter*innen vergegenwärtigten sich die Situation der Migrant*innen auf dieser Route, indem sie die gleichen Transportmittel und Zwischenstationen auf der Flucht wählten. Ihr Ziel war es, sich auf Schiffen, Zügen und Bussen mit möglichst vielen Migrant*innen auszutauschen. Sofern möglich, wollten sie die Menschen zu ermutigen, von ihren Lebensumständen, den Migrationsbewegungen und Erfahrungen mit den sich ständig ändernden Klassifizierungen und Einwanderungsgesetzen zu sprechen. Um somit eine Öffentlichkeit für ihre prekären Lebensumstände zu schaffen.

Scheiße. – Was ist? – Ich ertrinke.

Die Erfahrungen aus Mittelamerika, Europa und dem Nahen Osten werden in der Lesung szenisch in Dialogen dargestellt. Währenddessen werden Videoaufnahmen verschiedener Stationen in Camps wie Idomeni in Griechenland oder von Gesprächen mit den Geflüchteten gezeigt.

Im Lager… stellen die Männer sich schlafend, während ihre Frauen in einer Migrationskontrollstelle für die Grenzverteidiger tanzen. Heute können wir sagen: Durch die Kehle dieser Männer fließt gleich ein Schluck Feindschaft gegenüber der Welt, die sie umgibt.

Mit eindringlichen Passagen in deutscher, spanischer und arabischer Sprache versuchen Hernández und seine Partner, das eigene Erlebte sowie die Berichte der Migrant*innen zu veranschaulichen. Es wird besonders auf die Aussichtlosigkeit gegen die Gewalt, der Konfrontation und die Unterdrückungsmaßnahmen eingegangen. So wird zum Beispiel ein Aufnahmegerät mit diesem kurzen Gesprächsfetzen auf offenem Meer abgespielt:

Scheiße. – Was ist? – Ich ertrinke.

Seien es nun Frauen, die während der Migration sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind, oder tausende von Toten und Verschwundenen, Namenlosen, die täglich einer Macht von Gewalt und Repression ohne Aussicht auf Konfliktlösung gegenüberstehen.

Wir brachten Künstler verschiedener Disziplinen zusammen, um Migrationsphänomene zu reflektieren, auf der Bühne der Maschinerie dieses Migrationszugs, der mittlerweile unaufhaltbar ist.

So beschrieben im zweiten Teil der Lesung, dem Logbuch der Unfälle. Die Lesung versucht, die Menschen im Exodus als das zu zeigen was sie sind: Opfer von Entmenschlichung. Heimatlose – aber auch Handelnde, die ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen versuchen.

Was bedeutet die Lesung für mich?

Ich habe die Orte in Belgrad selbst gesehen, an denen Migrant*innen in Parkhäusern auf alten, von Schimmel befallenen Matratzen schlafen. Ich war selbst dabei, als bulgarische Grenzpolizisten zwei Menschen mit den vermeintlich falschen Ausweispapieren abführten. Ich bin jedoch aus dieser Ohnmacht wieder aufgewacht.

Hernández hat gemeinsam mit seinen Kollegen gezeigt, dass es Menschen gibt, für die diese Ohnmacht der Hilflosigkeit gegen Macht- und Unterdrückungsmechanismen Normalität bedeutet.

Durch die Art und Weise der Darlegung der Erfahrungen in der Lesung werden aus den Menschen mehr als nur Bilder aus Berichten oder Objekte, die im Unterbewusstsein verschwinden: Sie sind Menschen mit Emotionen, Wünschen und Träumen, die viel zu oft missachtet, verachtet oder ignoriert werden. Voraussichtlich nächstes Jahr soll ein Buch von Ángel Hernández erscheinen, in dem er seine Erfahrungen darlegen möchte. Danke an Ángel und seine Freunde für ihre Anstrengungen und Bemühungen, das Leid der unterdrückten Migrant*innen in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

 

FESTIVALPROLOG: ÁNGEL HERNÁNDEZ: THE EXODUS LECTURE – DER KRIEG, DAS VERLANGEN UND DER VERRAT
IM WELCOME CAFÉ, EINTRITT FREI
Lesung

VON Ángel Hernández, Amadis de Murga, Susana Morales Carrera -Suetzu-, Gabriel Yépez
Eine Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen
Teil von ENDSTATION SEHNSUCHT – THEATER IN MEXIKO: EIN FESTIVAL ÜBER FLUCHT, IDENTITÄT UND DIE DARSTELLBARKEIT VON GEWALT

22. bis 27. November in allen Kammern

Mehr zum Thema